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© Jim Schwabel

Reportage

Buffalo: „Stadt des Lichts“ kämpft gegen den Rost

Kaum etwas symbolisiert den Verfall von Buffalo besser als die bildhaften Attribute, die der Stadt im Nordwesten des Bundesstaats New Yorks über die Jahre zuteilwurden. Als Pionier der elektrischen Straßenbeleuchtung wurde Buffalo Anfang des vorigen Jahrhunderts als „Stadt des Lichts“ gefeiert. Auch die Bezeichnung „Stadt der guten Nachbarn“ am wirtschaftlichen Höhepunkt in den 1950er-Jahren zeugte vom damaligen Boom. Neben der günstigen Energieversorgung durch die Kraftwerke am Niagara hatte die Stadt vor allem vom Eriekanal profitiert, der bis in die 1950er-Jahre die wichtigste Transportverbindung von New York City und dem Atlantik zu den Großen Seen war.

Stadt im Rostgürtel

Der darauffolgende schnelle Niedergang der ehemaligen Industrie-Vorzeigestädte wie Detroit, Cleveland oder Cincinnati machte auch vor Buffalo nicht halt und verwandelte die gesamte Region um die Großen Seen in den berühmt-berüchtigten „Rostgürtel“ („Rust Belt“). Zahllose Initiativen und Finanzspritzen, um die maroden Stahl- und Produktionsanlagen zu revitalisieren und die Abwanderung von Firmen und Bevölkerung zu stoppen, scheiterten. Gegen Produktions-Billigländer wie China und Mexico, aber auch andere US-Bundesstaaten mit niedrigeren Steuern und geringeren Arbeiterprivilegien war die Region chancenlos.

City of Buffalo
Ein ambitioniertes Entwicklungskonzept mit Fokus auf moderne Technologien und Tourismus soll das Blatt nach Jahrzehnten erstmals wieder wenden. Verantwortlich dafür zeichnet Andrew Cuomo, der seit 2010 Gouverneur des Bundesstaats New York ist und Buffalo unter anderem mit einer Milliarden-schweren Initiative („The Buffalo Billion“) unter die Arme greift. Neben Investitionen in Hochschulen, die sich auf Nanotechnologie und Medizintechnik spezialisieren und als Inkubatoren für Start-ups fungieren, entsteht auf dem Grund einer ehemaligen Stahl-Produktionsstätte eine der größten Solarzellen-Fabriken der USA,an welcher der Technologie-Visionär Elon Musk beteiligt ist.

Strategischer Gesamtplan

„Der Unterschied zu früheren Initiativen ist, dass es nicht um ein einzelnes Vorzeigeprojekt geht, das die Erwartungen einer ganzen Region niemals erfüllen kann. Vielmehr geht es um einen strategischen Gesamtplan, der die Vorzüge der Region ausnützt und sich der Schwächen ebenso bewusst ist“, erklärt Howard Zemsky im Gespräch mit der futurezone in Buffalo. Zemsky zeichnet für die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten Bundesstaates New York verantwortlich, dessen Budget von 142 Milliarden Dollar selbst reiche Volkswirtschaften wie Österreich mühelos in den Schatten stellt.

Buffalo
Besonderes Augenmerk legen die Strategen zudem auf die Revitalisierung des Stadtkerns sowie die Neugestaltung von öffentlichem Raum, etwa am Ufer des Buffalo Rivers und des Erie Sees. „Wenn man eine Region nachhaltig verändern will, geht es nicht nur um Arbeitsplätze. Man muss Orte schaffen, wo Leute allen Alters sich aufhalten und leben wollen. Im New Yorker Stadtteil Brooklyn, wo ich geboren bin und wo damals jeder nur weg wollte, ist in den vergangenen Jahren genau das passiert – heute ist Brooklyn mit seinem kreativen Mix von Leuten, Start-ups, Gastronomie und Wohnraum zu einem Stadtteil geworden, wo jeder hin will“, sagt Zemsky.

Stadtverdichtung

Dass die riesige Solar-Fabrik unweit des Stadtkerns gebaut wird, entspricht der neuen Denkweise, die auf innerstädtische Verdichtung statt Zersiedelung setzt. „Vor fünf Jahren hätte man die Fabrik sicher irgendwo auf eine grüne Wiese außerhalb der Stadt gebaut, was vermutlich sogar einfacher gewesen wäre. Das fördert allerdings erst recht Armut und Zersiedelung, da Menschen ohne Autos gar keine Möglichkeit haben, diesen Arbeitsplatz zu erreichen“, erläutert Zemsky. Auch Start-ups sollen in der Stadt gehalten werden – sie müssen keine Steuern zahlen, wenn sie in einem Radius von maximal 1,5 Kilometer zum Uni-Campus ihre Zelte aufschlagen.

Buffalo
Für mehr Verwunderung als die Steuerbefreiung sorgt aus europäischer Sicht wohl der Umstand, dass die SolarCity-Fabrik inklusive des Equipments komplett vom Bundesstaat New York finanziert wird (rund 750 Millionen Dollar) und zumindest die nächsten zehn Jahre auch in dessen Eigentum verbleibt. Die Produktionsstätte wird vom Unternehmen geleast, gleichzeitig verpflichtet es sich große Summen in die Beschäftigung und Ausbildung von Mitarbeitern zu tätigen und auch den laufenden Betrieb zu finanzieren. Zumindest 1900 Beschäftigte sollen ab 2016 in der Fabrik beschäftigt sein, 1400 weitere Jobs sollen durch Zuliefererfirmen direkt in Buffalo entstehen.

Erfolgsgeschichte Silicon Valley

„Das Silicon Valley ist auch nicht per Zufall entstanden oder weil nur dort fähige Leute leben. Der Auslöser war, dass der Bundesstaat dort investierte und die Start-up-Szene eng an die Universitäten gebunden war“, sagt David Doyle vom SUNY Polytechnic Institute, das als überregionale universitäre Einrichtung stark in das Solarprojekt in Buffalo eingebunden ist und dort auch die wichtigsten Technologie-Hubs im Bereich Medizintechnik und IT betreibt und verantwortet. „Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Aus der Stadt der 1950er-Jahren mit den rauchenden Schornsteinen wird nun ein Ort des 21. Jahrhunderts, der sich auf grüne Energie spezialisiert“, so Doyle zur futurezone.

City of Buffalo
Wie schon Anfang des 20. Jahrhunderts soll Wasser eine wesentliche Rolle bei der Transformation der Stadt spielen. „Wir können Firmen saubere, günstige Wasserkraft bieten, was für die Produktion ein wichtiger Faktor ist. Mit den Niagara-Fällen haben wir zudem eine Touristenattraktion vor der Haustür, die Jahr für Jahr 15 Millionen Besucher anzieht“, ist Zemsky überzeugt. Der Großteil der Besucher, auch die meisten US-Amerikaner pilgerten bislang allerdings über die Grenze zur kanadischen Seite, die schönere Sehenswürdigkeiten und eine bessere Infrastruktur bietet.

Kanada als Chance

Es müsse folglich gelingen, dass Touristen länger auf der US-Seite als in Kanada verweilen und dort ihr Urlaubsgeld ausgeben. Die unmittelbare Nähe zu Kanada werten die Wirtschaftsstrategen aber eher als Chance denn als unmittelbare Konkurrenz für die US-Region. „Die Löhne und Produktionskosten sind in Kanada weitaus höher als bei uns. Neben Exportmöglichkeiten für unsere Unternehmen ist unsere Region folglich auch für kanadische Firmen interessant, die ihre Waren im weitaus größeren US-Markt produzieren und vertreiben wollen“, sagt Zemsky.

Ungeachtet der bei so einem Großprojekt wohl unvermeidlichen kritischen Stimmen, wie der des Journalisten Jim Heaney, der der Cuomo-Administration Intransparenz bei der Buffalo-Milliardevorwirft, und dem politischen Widersacher Rob Astorino, der den demokratischen Gouverneur der Verschwendung von Steuergeld bezichtigt, bleiben viele Menschen in der Region optimistisch. „Noch vor wenigen Jahren war Buffalo ein wirklich hartes Pflaster. Wenn man 2015 mit 2008 vergleicht, ist das wie Tag und Nacht. Überall stehen Kräne, Leute gehen zur Arbeit und man fühlt den Optimismus und Enthusiasmus“, sagt Doyle, der selber aus der 470 Kilometer entfernten Stadt Albany stammt.

Tourismus hofft auf Aufschwung

„In welch kurzer Zeit sich Buffalo zum Positiven verändert hat, ist in der Tat verblüffend. Dass von dieser ‚Wiedergeburt‘ der Stadt die gesamte Region profitiert, liegt auf der Hand“, meint auch Don Vidler, der ein Familienunternehmen im Städtchen East Aurora, etwa 30 Kilometer außerhalb der Stadt, betreibt. Der seit 1930 existierende Gemischtwarenhandel „Vidler’s 5 & 10“ ist aufgrund seiner langen Geschichte mittlerweile selbst zu einer überregionalen Tourismus-Attraktion geworden. Viele, gerade auch kanadische Besucher, die das neue Buffalo sehen wollen, würden die Gelegenheit nutzen, um anschließend einen Ausflug in eine traditionelle US-Kleinstadt zu unternehmen.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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Martin Jan Stepanek

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