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Zwischenbilanz

Ein Jahr Apple-CEO: Tim Cook schlägt Steve Jobs

Dass der als bescheiden und öffentlichkeitsscheu geltende Südstaatler einmal an vorderster Front von Apple stehen und seinen Vorgänger in puncto Geschäftserfolg sogar überflügeln würde, hat der 51-Jährige wohl kaum zu träumen gewagt. Zu übermächtig war Steve Jobs in den 14 Jahren seiner zweiten Regentschaft bei Apple, selbst wenn er im Laufe der Jahre krankheitsbedingt die operative Führung mehrfach an den Produktions- und Vertriebs-Mastermind Cook abgeben musste.

Wie unvorstellbar ein Apple ohne Steve Jobs auch für Cook war, ließ dieser in seinem einzigen großen Interview seit Amtsantritt auf der AllThingsD-Konferenz durchblicken: „So sehr man es wohl vorhersagen oder auch erwarten hätte müssen, habe ich es einfach nicht erwartet“, so Cook über das Sterben von Steve Jobs, das er als „die traurigsten Tage in meinem ganzen Leben“ bezeichnete. Diese Traurigkeit sei irgendwann Ende 2011 aber einer Entschlossenheit gewichen, die von Jobs begonnene Reise zielstrebig weiterzuführen.

Höhenflug 2012
Die Apple-Zahlen sprechen bislang eindeutig für Cook, der auf die Erfolgsjahre unter Steve Jobs in seinem ersten Jahr als CEO noch einmal einen draufsetzen konnte. Unter seiner Führung hat die Aktie einen Höhenflug von knapp 384 auf 648 Dollar

, allein in den ersten drei Quartalen 2012 konnte Apple seinen Umsatz um 50 Prozent von 80,04 auf 120,53 Milliarden US-Dollar und seinen Nettogewinn um über 70 Prozent von 19,3 auf 32,92 Milliarden US-Dollar steigern. Lediglich im vergangenen Quartal machte sich die Käuferzurückhaltung aufgrund des erwarteten iPhone 5 ein wenig bemerkbar.

Apple hat sich im vergangenen Jahr hervorragend geschlagen“, meint auch Helge Rechberger, Analyst bei der Raiffeisen Bank International, im Gespräch mit der futurezone. „Befürchtungen, dass nicht nur die Innovationskraft, sondern vor allem auch die Vermarktung ohne das Marketing-Genie Steve Jobs leiden werde, haben sich absolut nicht bestätigt“, so Rechberger, der für den Aktienkurs noch weitere Luft nach oben sieht. Nach Börsenwert gemessen ist Apple aktuell 608 Milliarden US-Dollar wert, mehr als Google und Microsoft zusammen.

Eigene Handschrift
Ungeachtet der von Jobs an Cook ausgegebenen Anweisung, „sich nicht mit der Vergangenheit aufzuhalten“ und „niemals zu fragen, was Steve gemacht hätte, sondern einfach das Richtige zu tun“, ist eine eigene Handschrift bei Tim Cook in seiner letztlich kurzen Zeit als alleinverantwortlicher CEO bisher jedoch kaum erkennbar. Auch über die Persönlichkeit des langjährigen operativen Geschäftsführers ist ein Jahr nach Amtsübernahme wenig bekannt. Für einen Sturm im Wasserglas sorgte kurzfristig lediglich die von US-Journalisten losgetretene Debatte um seine

.

Auch inwieweit sich die internen Abläufe im Konzern durch seine Führung ändern werden, kann bislang nur vermutet werden. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass Mitarbeiter in Cupertino nun mehr „Luft zum Atmen“ hätten, der unter Jobs herrschende Druck habe sich ein wenig gelockert. Anders als Jobs gibt sich Cook zudem zugänglicher für Mitarbeiter und mischt sich in der Kantine schon einmal unter das normale „Apple-Fußvolk“, wie ein Fortune-Bericht suggeriert.

Als öffentlichkeitswirksame Verdienste werden Cook unter anderem ein Mitarbeiter-Programm zugeschrieben, das die Verdoppelung von Spenden an karitative Organisationen bis zu einer Summe von 10.000 Dollar im Jahr vorsieht. Auch die von Jobs jahrelang verhinderte Ausschüttung einer

an Apple-Aktionäre trägt Cooks Handschrift. Darüber machte Cook im Gegensatz zu Jobs die vielfach kritisierten Arbeitsbedingungen in den Apple-Fabriken in China zur
und kündigte mehrfach an, Apple auch in diesem Bereich zum Vorzeigekonzern machen zu wollen.

Wenig Bahnbrechendes
Im für Apples Image so wichtigen Produktbereich konnte sich Cook in seinem ersten Jahr bisher wenig profilieren. Lediglich mit der Präsentation des neuen

-Modells mit einem Super-HD-Display konnte Apple einen Akzent setzen. Das unter seiner Führung präsentierte
und das
wurden hingegen als wenig innovativ kritisiert, und auch das erwartete revolutionäre TV-Gerät blieb der Konzern unter Cook bislang schuldig. Ungeachtet der Kritik konnte Apple in den ersten drei Quartalen 2012 die iPhone-Verkäufe im Vergleich zum Vorjahr von 55,23 auf 98,14 Millionen Geräte sowie die iPad-Verkäufe von 21,27 auf 44,23 Millionen Geräte steigern.

Kritiker des iPhone 4S und des iPads der 3. Generation, die ins Treffen führen, „unter Steve Jobs wären diese Produkte nicht veröffentlicht worden“, übersehen allerdings die Vorlaufzeit der Produktentwicklung und lassen zudem einige weniger spektakuläre Updates unter Jobs wie bereits das iPhone 3GS oder das jahrelang kaum veränderte Macbook- und iMac-Portfolio außer Acht. Hinsichtlich neuer Produkte werden die von Tim Cook getroffenen Entscheidungen wohl frühestens in den kommenden Monaten, wenn nicht sogar Jahren sichtbar werden.

Kein großer Showman
Daran, dass Cook im Gegensatz zu Jobs die große Bühne nicht unbedingt sucht, hat sich auch in seinem ersten Jahr als CEO wenig geändert. Das zeigte sich auch bei der Eröffnungs-Keynote der Apple-Entwicklerkonferenz, auf der neben dem neuen Betriebssystem Mountain Lion auch iOS 6 sowie das neue Macbook mit Retina-Display vorgestellt wurden. Cook präsentierte sich dort zwar energiegeladen, beanspruchte aber gerade einmal neun der 153 Minuten auf der Bühne für sich. Die Präsentation des neuen Macbooks sowie sämtlicher anderer Neuerungen überließ er Marketing-Vizechef Phil Schiller und anderen Apple-Verantwortlichen.

Dass mit dem als spröde und wenig charismatisch geltenden Cook nun eine Art personifizierte Anti-These zum unberechenbar exzentrischen Steve Jobs an der Spitze von Apple steht, mag eine Ironie des Schicksal sein. Gerade dieser Gegensatz könnte Cook letztlich aber helfen, aus den übermächtigen Fußstapfen seines längjährigen Chefs und Mentors zu treten. Angesichts des enormen Wachstums und den damit verbundenen Herausforderungen in puncto Produktion und Lieferketten ist es jedenfalls kein Nachteil, dass mit Tim Cook einer der effizientesten Manager der Welt das Geschäft führt.

Auf der Trauerfeier für Steve Jobs am Apple-Campus überraschte der bei vielen als uncharismatisch und allzu nüchtern geltende Cook hingegen mit seiner offen zur Schau gestellten Emotion und Sensibilität. Auch die Leidenschaft für Apple und dessen Produkte kann man Cook bei seinen wenigen öffentlichen Auftritten bislang kaum absprechen. Ob auf lange Sicht der Innovationsgeist Apples unter Cook leiden wird, wird sich allerdings erst zeigen.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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