Online-Community

Angel und Köder: “Wir alle haben den Troll in uns”

“The Art of Trolling” hieß der Vortrag, den Dirk Franke und Rebecca Cotton im Rahmen der re:publica in Berlin hielten. Beide haben jahrelange Erfahrung mit Community Management, beispielsweise bei Wikimedia, gesammelt und setzen sich mit dem Phänomen des Trollens auseinander. Die futurezone traf Franke und Cotton zum Gespräch über jene Nutzer, die sich einen Spaß daraus machen, andere zu provozieren.

futurezone: Was ist überhaupt ein Troll?
Dirk Franke: Ursprünglich ist ein Troll ein Köder im Angeln gewesen. Mit dem hat man Fische gefangen. In der Übertragung war ein Troll dann zunächst einmal ein provokativer Post, den man ins Internet gesetzt hat. Mittlerweile werden so die Personen bezeichnet, die das machen.

Was zeichnet solche Personen aus, was sind denn typische Troll-Merkmale?
Dirk Franke: Ich glaube, ein echter Troll ist relativ verspielt und hat Spaß daran, Reaktionen hervorzurufen.

Das klingt erstmal alles ganz lustig, wo verläuft dann aber die Grenze zu Mobbing und Belästigung?
Rebecca Cotton: Also da ziehen wir relativ klar eine Grenze. Beim Trollen geht es darum, dass jemand harmlos seinen Spaß hat. An der Stelle, wo es Mobbing und Harassment ist, sollte man das auch genau so nennen. Und nicht verharmlosen, indem man sagt, es wäre Trollen. Es ist wichtig für die Internet-Community, diese Begriffe auseinanderzustellen. Trollen hatte eigentlich nichts mit dem Jagen von Leuten oder mit Beleidigungen zu tun. Ich denke, wir sollten als Community auch wieder dorthin kommen, das zu unterscheiden.

Dirk Franke und Rebecca Cotton

Die Begriffe werden allerdings sehr stark miteinander vermischt.
Franke: Troll klingt ja eigentlich viel harmloser. Aber als Beispiel: Wenn ich jetzt jemanden hier am Tisch fertigmachen und beleidigen würde, dann würde kein Mensch sagen, ich bin ein Troll. Sondern die Leute würden ganz anders reagieren und mich hoffentlich auch hier rauswerfen.

Cotton: Das Problem ist auch, dass viele Leute, von denen die Beleidigungen ausgehen, sich hinter dem Begriff “Troll” verstecken. Wenn man sie dann drauf anspricht, reagieren sie nicht mit einem: “Ok, war Mist”, sondern reden sich darauf raus, sie hätten ja nur “getrollt”.

Wie soll man am besten mit solchen Leuten umgehen, die andere tatsächlich beleidigen?
Cotton: Leute, die vorwiegend Mobbing betreiben, mit denen sollte man umgehen, wie man das auch sonst im Leben tut. Wenn jemand in einer Gruppe ist und jemanden mobbt, dann sollte man ein Gespräch darüber führen und nach klassischer Krisen-Deeskalation vorgehen. Wenn das nicht funktioniert, dann bittet man diese Leute aus der Gruppe hinaus. Das ist im echten Leben ganz normal, im Internet stellen sich dann manche vor, dass man das nicht mehr darf. Aber natürlich darf man das. Man darf sich da nicht einlullen lassen von der Argumentation, es wäre eine Beschneidung der Meinungsfreiheit, weil sie das überhaupt nicht ist. Solche Dinge haben einfach mit Trollen in seiner originären Funktion nichts zu tun.

Wo finden sich denn heute im Netz die positiven Formen, also das Trollen in seiner ursprünglichen Funktion?
Cotton: Tatsächlich gibt es da einige Beispiele. Ein Beispiel wäre etwa, wenn man in ein Windows-Forum schreibt, wie toll Linux ist. Damit greift man niemanden persönlich an, man kann sich aber ansehen, wie sich Leute davon provozieren lassen. Wir haben den Vergleich gefunden: Trollen ist ein bisschen wie Dada. Diese Kunstrichtung beschreibt eigentlich relativ gut, was man beim Trollen so macht.

Kann man offline auch gut trollen?
Franke: Ja, klar.

Cotton: Trollen ist kein Internetphänomen. Es gab immer schon Leute, die gerne provoziert haben und gerne Kommunikation aufgebrochen haben. Im Netz haben sie halt ein größeres Publikum.

Was leistet der Troll für Diskussionen? Leistet er überhaupt etwas?
Franke: Ein Troll bricht Diskussionen auf. Was das dann genau bedeutet, ist eine schwierige Frage. Es kann sein, dass die Diskussion danach zuende ist. Dann leistet er nichts. Es kann aber auch sein, dass man eine festgefahrene Debatte hat und dann dadurch Leute innehalten und sich fragen: Was machen wir hier eigentlich?

Cotton: Ich glaube, man kann den Troll da auch gar nicht als “Leistungsträger” sehen. Eine Trollaktion ist in der Regel ein Impuls. Ob das nun etwas bei meinem Gegenüber bewirkt oder nicht, ist freigestellt. Das ist wie in der Kunst. Sie kann etwas aufbrechen, Diskussionen anregen, muss sie aber überhaupt nicht.

Kann jeder ein Troll sein?
Franke: Ja.

Cotton: Ja, absolut. Wir alle haben den Troll in uns. Die Frage ist, gehört man zu den Menschen, die sich fallenlassen und so etwas machen, oder gehört man eher zu denen, die sich zurückhalten.

Die Debatte über Online-Trolle bzw. Belästigungen und Mobbing wird häufig auch in Zusammenhang mit der Klarnamen- bzw. Anonymitätsdebatte geführt. Wie sinnvoll ist diese Diskussion überhaupt?
Franke: Die Sache ist, dass Grenzüberschreitungen generell oft nicht sanktioniert werden, auch nicht mit realem Namen. Das Problem in der Klarnamendebatte ist ja auch mehr auf der Opferseite. Die Anonymität kann die Opfer weitaus mehr schützen als die Trolle. Beleidigen und Nachstellen geht sehr leicht im Real Life, daher ist es für die Opfer von Vorteil, wenn sie anonym bleiben können.

Cotton: Das Problem mit Mobbing im Internet ist dasselbe wie mit Mobbing im echten Leben. Online nimmt man die Dinge nur stärker wahr, weil es sich nicht im eigenen kleinen Kreis abspielt, sondern potenziell auf der ganzen Welt. Die Art und Weise, wie es abläuft, ist aber gleich. Sowohl in der physischen Welt als auch im Netz bleibt Mobbing leider oftmals ohne Konsequenzen. Man muss sich generell von der Vorstellung verabschieden, dass im Internet irgendetwas anderes passiert, als in der realen Welt. Die Reichweite ist nur größer.

Ist Aufmerksamkeit die Nahrung des Trolls?
Franke: Jein. Man macht es ja für den Spaß, den kann man auch alleine haben. Aber natürlich: Geteilter Spaß ist mehr Spaß.

Cotton: Ich glaube, schon ja. Denn es geht um Provokation, natürlich. Wenn man komplett ignoriert wird, dann geht man wahrscheinlich woanders hin. Zum Trollen gehören definitiv mehr als nur eine Person.

Kommt es oft vor, dass eigentlich harmloses Trollen aus dem Ruder läuft und dann eben doch die Grenzen hin zu Beleidigungen überschreitet? Eventuell auch, weil sich böswilligere Personen von solchen Diskussionen angezogen fühlen und in die Debatten einsteigen?
Franke: Ja, das kann vorkommen.

Cotton: Es kann passieren, dass dann auch die Trolle keine Kontrolle mehr darüber haben. Man hat dann plötzlich einen Mob an Leuten, irgendjemand will sozusagen abrechnen und wird persönlich. Das kann man dann auch nicht steuern, selbst wenn man derjenige ist, der die Diskussion initiiert hat.

Würden Sie beide sich selbst als Trolle bezeichnen?
Cotton: Gelegenheitstroll. Ich überlege aber auch vorher: Ist das jetzt der richtige Ort und die richtige Zeit. Es gibt bestimmte Räume, wo ich sage: Nein, das ist jetzt unangemessen. Wenn ich trolle, kommt für mich persönlich der Impuls oft daraus, dass ich mich von etwas persönlich provoziert fühle.

Franke: Ja, ich glaube, wir haben beide Spaß am Trollen.

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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