Symbolbild

Symbolbild

© KURIER/Deutsch

Bezahlte Postings

Aufregung um Foren-Manipulation

Die Agentur Modern Mind Marketing (M3) hat für teilweise namhafte Unternehmen aus Österreich in Online-Foren Postings unter falschem Namen verfasst, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Laut Recherchen des Magazins "Datum" war früher auch die Wiener ÖVP Kunde von M3. Auf Anfrage der futurezone heißt es dort, gefälschte Postings seien "Teil, aber nicht der Schwerpunkt der drei Monate dauernden Zusammenarbeit im Jahr 2009" gewesen. Heute gebe es keine von der ÖVP beauftragten gefälschten Postings in Online-Foren mehr, auch nicht durch Parteimitarbeiter, wenngleich der Sprecher "nicht für jeden Mitarbeiter die Hand ins Feuer" legen könne.

Der österreichische PR-Ethikrat sieht das verdeckte Manipulieren von Online-Kanälen kritisch, egal ob die Auftraggeber aus der Politik oder der Wirtschaft kommen. "Wir haben klare Regeln, etwa den Codex des Public Relations Verbandes. Wenn nicht gibt es allgemeine Regeln, die wichtigste davon ist: Transparenz und Offenheit", sagt Wolfgang R. Langenbucher, Vorsitzender des PR-Ethikrats der futurezone. "Unter der Hand hören wir aber leider immer wieder von solchen Vorfällen."

"Keine juristische Handhabe"

M3 ist also nicht die einzige Agentur, die solche zweifelhaften Dienstleistungen anbietet. "Es wird immer wieder versucht, solche unethischen Geschäftsmdelle zu nutzen. Zuletzt gab es in Deutschland einen solchen Fall, der von Medien und Verbänden aufs schärfste kritisiert wurde. Oft gibt es leider keine juristische Handhabe für solche Fälle", sagt Langenbucher.

Das Ausmaß der Manipulationsversuche von M3 ist beeindruckend. Laut Dokumenten, die der futurezone vorliegen, haben M3-Mitarbeiter bislang ungefähr 1000 gefälschte Identitäten angelegt. Die Liste der potenziellen Zielplattformen umfasst rund 4000 Einträge, aktiv werden derzeit rund 400 bearbeitet. Allein für die Bank Austria, einen der größten Kunden von M3, wurden im Zeitraum zwischen Oktober und Dezember 2012 rund 600 Postings bei etwa 40 Online-Plattformen erstellt. Jeder der rund vierzig freien Mitarbeiter, die bei M3 Einträge verfassen, schafft selbst in einem 20 Stunden Arbeitsverhältnis rund fünf Kommentare täglich.

Wenn entsprechende Angebote auf dem Markt sind, werden sie auch genutzt, wie die Kundenliste von M3, die der futurezone vorliegt, beweist. Zu den Kunden von M3 gehören außer der Bank AUstria auch Anker Brot, Interwetten, die zur Novomatic-Group gehörende Firma Greentube, die Air France, Subway, Sigma, die ÖBB und TUI. Die Liste der Plattformen, auf denen interveniert wird umfasst neben sämtlichen namhaften österreichischen Online-Medien auch diverse Nischenplattformen, etwa zu den Themen Kochen oder Sport.

Die Postings sind meist nicht als Werbung zu erkennen, da oft neutrale oder ambivalente Einträge zwischen die Marketing-relevanten Texte gestreut werden. Oft sind auch mehrere falsche Identitäten in einem Forum tätig, die sich dann gegenseitig den Ball vorlegen, um die gewünschte Botschaft zu transportieren. Auch das Einsteigen in bereits vorhandene Diskussionen ist eine beliebte Taktik.

Offenlegung

Auch das KURIER-Medienhaus, zu dem die futurezone gehört, hat die Dienste der Agentur bereits in Anspruch genommen. KURIER-Marketing-Chefin Michaela Heumann sagt dazu: „Wir haben dieses Service auch schon zur positiven Unterstützung einer klassischen Marketing-Kampagne verwendet.“

In Online-Foren und auf Bewertungsplattformen im Netz tummeln sich unterschiedlichste User, deren Meinungen das gesamte Spektrum des Möglichen abdecken. Mitten in diesem Chaos verkehren dort aber mittlerweile auch Firmen, die sich als normale Personen ausgeben, um Debatten und Leser zu beeinflussen. Organisiert wird das von Agenturen, die Firmen gegen Bezahlung beliebig viele falsche Identitäten zur Verfügung stellen, um Diskussionen in die gewünschte Richtung zu lenken.

Die Zahl der Plattformen, auf denen Manipulationen versucht werden, ist dabei riesig. “Bei meiner Agentur wird diese Art von Marketing seit rund fünf Jahren gemacht. Rund 4000 Kanäle, meist Foren von Medien und Special-Interest-Seiten, stehen auf unserer Liste. Rund 400 - von regional bis zu international - werden derzeit aktiv bearbeitet”, sagt Martin (Name von der Redaktion geändert), der für die österreichische Agentur Modern Mind Marketing falsche Identitäten in Foren aufgebaut hat. Zu den Kunden der Agentur zählen unter anderem die Bank Austria, der Sportwettenanbieter Interwetten, Objektivhersteller Sigma, die Air France, Reiseanbieter TUI oder die Fastfood-Kette Subway.

Falsche Namen und Fotos

Der Prozess ist dabei immer gleich. “Mit den Firmenkunden wird ein Konzept erstellt, in dem die Zielgruppe, das Thema und der Umfang der Kampagne festgelegt wird. Wir erstellen dann Mail-Adressen bei Gmail, GMX oder Hotmail, um mit diesen neue Nutzer in den gewünschten Foren registrieren zu können”, so Martin. Dabei kommen meist erfundene Anmeldenamen wie “SelfieLover42” zum Einsatz. Echte Namen gibt es nur auf Wunsch der Kunden. Die Fotos suchen sich die Mitarbeiter der Agentur im Internet, ohne Rücksicht auf Urheberrechte. Wenn möglich werden auch bereits vorhandene Profile verwendet, da in manchen Fällen eine gefälschte Identität auch für mehrere Kunden genutzt werden kann.

Studentenjobs

Die Kosten für eine solche Kampagne schwanken je nach gewünschtem Personalaufwand. “Eine Kampagne über einen Monat mit drei Mitarbeitern kostet rund 1500 bis 2000 Euro”, erklärt Martin.

Die tatsächlichen Einträge auf den Online-Plattformen werden meist von den rund 40 externen Mitarbeitern, viele davon Studenten, für die Agenturen verfasst. In Kürze soll sich die Zahl der Angestellten allerdings erhöhen. Die Bezahlung ist relativ schlecht und der Druck hoch. “Es ist genau durchgeplant, welche Identität auf welcher Plattform zu welchem Thema schreibt. Platte Werbung wird hier nicht gemacht. Es muss beispielsweise zwischen den vermeintlich wirksamen Postings eine gewisse Anzahl von neutralen Beiträgen verfasst werden, um keine Aufmerksamkeit zu erregen”, sagt Martin.

Die Foren, in denen Beiträge gespielt werden, ändern sich je nach Kampagne, aber “ohne die Foren von Standard und Krone geht in Österreich nichts.” Neben den Foren sämtlicher großer Online-Medien werden auch Diskussionsplattformen wie das Gulli-Board oder Koch- und Sportforen. Auch der KURIER und die futurezone sind unter den Seiten, deren Foren schon manipuliert wurden, wie aus Unterlagen, die der futurezone vorliegen, hervorgeht.

Diverse Kunden

Die Kunden der Agenturen kommen aus den unterschiedlichsten Branchen. “Wir hatten schon Banken, Hotels, Wettanbieter, Thermen und Airlines. Jedes finanzkräftige Unternehmen wird versuchen, solche Manipulationen vorzunehmen, aber ich kenne nur die Liste unserer Kunden”, sagt Martin.

Kampagnen werden hauptsächlich in der DACH-Region durchgeführt, aber auch in Italien, Griechenland oder Spanien wurden schon Foren manipuliert. “Dann nutzen wir einen VPN, um die Herkunft der Beiträge zu verschleiern”, sagt Martin. Zu den Regeln seines Arbeitgebers gehört es, keine Negativkampagnen zu fahren. “Wir machen keine Kampagnen für Pharma, Alkohol, Tabak oder Waffen”, sagt auch David (Name von der Redaktion geändert), der in derselben Agentur in leitender Position tätig war. Dass diese Regel immer eingehalten wird, ist aber zweifelhaft, wie Einträge in der Kundenliste beweisen, die mit pflanzlichen Pharmaprodukten handeln.

Aus der Politik wurden während Davids Dienstzeit ebenfalls keine Aufträge durchgeführt, auch wenn “durchaus schon Anfragen da waren”, so David. Ob auch andere Agenturen solche Angebote ausschlagen, kann er nicht mit Sicherheit sagen. “Prinzipiell wird alles, was gemacht werden kann, auch verkauft”, so der Insider.

Nutzen zweifelhaft

Ob die Manipulation von Diskussionen im Netz überhaupt Sinn macht, ist keinesfalls sicher. In einem kleinen Land wie Österreich sind die Chancen aber höher, da Diskussions- und Bewertungsplattformen nicht so viele Teilnehmer haben wie in größeren Ländern. Die Agenturen versuchen zwar, den Erfolg ihrer Tätigkeit messbar zu machen, aber eine statistische Auswertung ist schwierig, da eine Kaufentscheidung nicht nachvollziehbar mit einem Forenkontakt in Verbindung gebracht werden kann.

“Da wird viel Zahlen-Voodoo betrieben, etwa mit einer effektiven Reichweite, die auch das Weiterverbreiten durch Mundpropaganda berücksichtigen soll”, so Martin. Vielfach haben die Firmen selber nicht verstanden, wie Online-Kommunikation funktioniert. “Es gibt viel Naivität, nicht nur bei den Internetnutzern, sondern auch bei Firmen”, so David. Für die Agenturen ist das ein lukratives Geschäft.

Medien profitieren

Die Betreiber der betroffenen Portale haben oft ebenfalls kein Interesse daran, die Situation zu bereinigen. “Die Medien profitieren ja auch vom Traffic, der durch diese falschen Identitäten entsteht”, so David. Der Anteil der gefälschten Firmenidentitäten in den Foren ist aber trotzdem gering. “Beim Standard etwa gibt es vielleicht 30 falsche Identitäten von unserer Agentur, insgesamt werden es vermutlich so an die 200 sein”, erklärt David.

Auf Bewertungsplattformen wird ebenfalls interveniert und zwar “vor allem im Tourismusbereich, etwa bei Hotelbewertungsportalen wie Booking.com oder Tripadvisor”, wie Martin erzählt. Bewertungen bei riesigen Portalen wie Amazon werden dagegen kaum manipuliert, weil der finanzielle Aufwand bei der Menge an Bewertungen zu groß wäre. “Man müsste ja für jede negative Bewertung eine positive schreiben, um den Schnitt zu retten”, so David.

Angebote, die von den Agenturen bewertet werden, werden im Normalfall auch tatsächlich zuerst von den zuständigen Mitarbeitern getestet, damit die auch wissen, wovon sie reden. Die Bewertungen bleiben aber trotzdem gekauft. Auch Frage- und Antwortportale wie Netdoktor oder Gutefrage.net werden von den Agenturmitarbeitern genutzt, um Stimmung für Firmen zu machen.

Vorsichtiges Vorgehen

Ziel all dieser Arbeit ist stets, gewisse Schlüsselbegriffe in der Debatte unterzubringen. Das sind oft Namen oder positive Eigenschaften von Firmen oder Produkten. “Wenn schon ein Thread existiert, wird darauf eingegangen. Oft werfen sich dann zwei gefälschte Identitäten den Ball zu oder es wird anderweitig versucht, die Debatte weiterzudrehen”, sagt Martin.

Gibt es keine Diskussionen, in die eingestiegen werden könnte, wird ein neuer Thread eröffnet. “Das Thema wird aber nicht direkt angeschnitten. Wenn ein Schlafmittel beworben werden soll, wird beispielsweise ein Eintrag unter dem Motto “Ich kann nicht schlafen, habe keine Erfahrung - Bitte um Hilfe” eröffnet”, beschreibt Martin.

Kaum Risiko

Schöpfen andere User oder der Plattformbetreiber trotz der Vorsichtsmaßnahmen Verdacht, wird der kritisierte Eintrag manchmal gelöscht, im Extremfall wird die Identität stillgelegt und einfach eine neue erstellt. “Das passiert aber nicht oft”, sagt David. Aktivitäten, die der verdeckten Manipulation des Unternehmensimages dienen, werden oft unter euphemistischen Angebotsnamen wie “Online-Reputation-Marketing” zusammengefasst. Die Agenturen sprechen über diese Art der PR ungern. Martin hat in seinem Vertrag etwa eine Klausel, die ihm verbietet, Details auszuplaudern. Bei Verstoß drohen hohe Strafzahlungen.

Viele österreichische Agenturen distanzieren sich auch ganz klar von solchen verdeckten Kampagnen. “Ich halte verdeckte Foren-Manipulation für dumm. Wer das anbietet, ist kein Profi. Reputation hat etwas mit Offenheit und Transparenz zu tun”, sagt Knallgrau-Geschäftsführer Dieter Rappold der futurezone. Agenturen, die trotzdem entsprechende Angebote im Portfolio haben, kennt Rappold laut eigenen Angaben nicht, “aber das wird es als Schattenseite eines offenen Internets wohl geben. Ich mag naiv sein, aber ich glaube nicht, dass kluge Kunden dafür viel Geld ausgeben würden.”

Internet leidet

Darüber, inwiefern verdeckte Kampagnen die Glaubwürdigkeit von Informationen im Netz beeinflussen, gehen die Meinungen auseinander. “Man kann heute alles kaufen. Die User müssen sich bewusst sein, dass der Informationsfluss immer von Interessen geleitet wird. Das ist in klassischen Medien nicht anders. Am Anfang war ich vom Ausmaß der Aktivitäten überrascht, aber eigentlich finde ich das nicht tragisch. So haben wenigstens auch Unternehmen die Möglichkeit, sich gegen Trolle zu verteidigen. Die Grenze liegt für mich bei der Verbreitung von falschen Informationen”, so David.

Moralisch ist die Praxis, sich als Firma hinter fiktiven Personen zu verstecken, um manipulierte Information zu verbreiten jedenfalls nur schwer zu rechtfertigen, auch wenn es sich bei der Größe des Internets nur um einen Kampf gegen Windmühlen handelt.

“Da existiert anscheinend kein ethisch-moralischer Anspruch an die Arbeit. Das Feigenblättchen “Keine verdeckten Kampagnen für Pharma und Co” ist lächerlich und erinnert an Ablasshandel. Firmen, die solche Dienste in Anspruch nehmen, haben das Internet nicht verstanden. Wenn so etwas auffliegt, ist es für das betroffene Unternehmen katastrophal. Mit drei bis vier bezahlten Hanseln kann ich im Netz außerdem gar nichts bewirken”, sagt Agenturchef Rappold. Dass allein die "paar Hanseln" einer einzigen Agentur aktuell mit rund 1000 falschen Identitäten agieren, zeigt aber, wie viel Druck im Netz aufgebaut werden kann.

Keine ehrliche Meinung im Netz

Wenn aber selbst Wikipedia, das Vorzeigeprojekt für offene Informationsverbreitung im Netz, nicht mehr sicher vor Manipulationen ist, leidet der Ruf aller Online-Informationsquellen. “Firmen manipulieren Wikipedia. Auch wenn das schwierig ist, weil die Einträge ja neutral erscheinen sollen”, so David. Sicher vor den Trollen der Konzerne ist also keine Plattform.

„Für mich ist die ehrliche Meinung in Internet tot. Ich traue den Informationen in Foren und Kommentaren nicht blind und hinterfrage sofort, welche Interessen und Absichten hinter einem Posting stehen könnten“, sagt Martin. „Ich war von dem großen Ausmaß der Manipulation wirklich überrascht.“

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Markus Keßler

mehr lesen
Markus Keßler

Kommentare