© Fraunhofer

Klangforschung

„Die mp3 wird noch in 15 Jahren wichtig sein“

Karlheinz Brandenburg war bei der Entwicklung des Formats mp3 von Anfang an dabei. Sein Team am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) arbeitete seit den 1980ern daran. Für erste Praxistests musste das Lied Tom`s Diner von Suzanne Vega herhalten. Am Freitag, den 23. September 2011, ist der Erfinder und Professor auf der FH St. Pölten beim EU-Event

zu Gast und erzählt über seinen Forschungsweg und die Entwicklung der mp3.

Sie werden am Freitag an der FH St. Pölten "Brain Stretching" machen, heißt es im Programm. Das ist mehr als Gag zu verstehen, oder?
Ja, das ist nur ein Gag. Ich werde über die Entwicklung der mp3 erzählen, was wir dabei alles gemacht haben und was man braucht, um kreativ zu sein.

Was braucht man Ihrer Meinung nach denn, um kreativ zu sein?
Die Grundlage für Innovationen bilden Wissen und Fähigkeiten. Man braucht also zunächst eine gute Ausbildung. Das ist der erste Teil. Der andere ist, dass man auch Querdenken können muss. Man muss die Erkenntnisse anderer dazu verwenden, neue Probleme zu lösen. Man muss auch über den Tellerrand hinausschauen. Fachidioten erzielen keine großen Fortschritte.

Zum Erfinden sind nicht nur Wissen und Kreativität wichtig, sondern auch ein gewisses Durchhaltevermögen.
Das ist richtig. Der Erfolg setzt sich zusammen aus Vision, Überstunden und Sturheit. Und ein bisschen Glück muss man auch haben.

Die Erfindung der mp3 war sicherlich auch nicht nur Innovationsgeist, sondern harte Arbeit. Sie haben ja bereits bei der Diplomarbeit mit der Forschung zur Audio-Kompression begonnen.
Direkt anschließend. Allerdings ist es nicht nur einfach eine Erfindung, sondern eine, die aus vielen Teilen besteht und bei der viele verschiedene Leute mitgearbeitet haben. Ein Schlüsselerlebnis dabei hatte ich im Februar 1986. Damals haben wir uns gefragt, ob man es nicht einfach anders machen könnte, als bisher. So ist dann tatsächlich die Grundstruktur der mp3 entstanden. Insgesamt sind aber viele verschiedene Details zum Patent angemeldet.

Wie viele Patente besitzt die Fraunhofer-Gesellschaft an der mp3 und wie hoch sind die Einnahmen pro Jahr?
Die genaue Zahl ist schwer zu sagen, zur Patent-Familie gehören etwa 20 Patente. Die Patent-Einnahmen belaufen sich auf eine hohe zweistellige Zahl, ich schätze knapp über 50 Millionen Euro pro Jahr.

1997 hat ein Student einen der wichtigsten Codes geknackt und das Ganze mit einem "schönen Dank an Fraunhofer" kostenlos ins Netz gestellt. Ein großer Schaden für Fraunhofer?
Damals haben wir die Software über eine kleine Firma verkauft. Ein Student hat diese mit einer gestohlenen Kreditkarte gekauft und erfolgreich analysiert, wie die Software zusammengesetzt war. Über eine US-Website hat er dann den Encoder-Code mit unserer Programmbibliothek und einem eigenen Benutzer-Interface als Freeware veröffentlicht. Das war damals eine Katastrophe, doch im Nachhinein hat es die Verbreitung des Formats beschleunigt. Wir haben daraufhin unsere Geschäftsmodelle angepasst und Fraunhofer hat den Schaden in einen Nutzen umgewandelt.

Die mp3 wurde und wird auch weiterhin intensiv für Filesharing eingesetzt. Wie stehen Sie persönlich zu Filesharing? Bedrückt Sie diese Entwicklung oder sehen Sie es als etwas Positives?
Genauso wie wir für die Patente bezahlt werden wollen, ist es nur fair, wenn die Künstler für ihre Arbeit bezahlt werden. Ich heiße Methoden, die es ermöglichen, sich Musik illegal aus dem Netz zu holen, für nicht gut.

Hat die Musikindustrie die Krise teilweise nicht selbst mitverschuldet?

Wir haben durch die mp3 bei Fraunhofer früh die Chance für den Weg gesehen, den die Musikindustrie erst seit kurzem geht: Die Stores von iTunes, Amazon - den Weg, im Netz legal Musik zu kaufen - diese Vision hatten wir bereits 1994. Damals haben wir mit der Musikindustrie geredet und sie winkte uninteressiert ab. Vielleicht wären die Umsätze besser, wenn die Musikbranche sich frühzeitig anders verhalten hätte.

Wie stehen Sie zu dem missglückten Einsatz von Kopierschutz?
Der Kopierschutz, so wie er implementiert wurde, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Eine andere Variante wäre besser gewesen.


Neben der mp3 haben Sie auch an der Entwicklung von AAC mitgewirkt. Was ist Ihrer Meinung nach das bessere Format?

Bei AAC haben wir Dinge eingebaut, die wir durch die Entwicklung der mp3 gelernt haben. Wenn die Bitrate hoch genug ist, ist AAC besser als mp3. AAC ist sehr nahe an "perfekt". Bei einem 256 kbit AAC-File dauert es sicher lange, bis man eine Person findet, die noch einen Unterschied zu einem unkomprimierten Audio-File hört.

Wie sieht es mit der mp3 im Vergleich zur CD aus: Hört man den Unterschied?
Bei einer 192 kbps mp3 mit guter Codierung ist der Unterschied sehr gering. Für Leute, die wissen, was sie hören müssen, sind die Unterschiede aber noch klar wahrnehmbar. Bei trockenen Kastagnetten von der Test-CD hören junge Leute mit gutem Gehör sicher einen Unterschied.

Viele junge Leute hören heutzutage nur noch Musik als mp3s. Ein Frevel?
Die mp3 von heute bietet dem Durchschnittshörer sicherlich eine bessere Tonqualität, als es je zuvor für portable Geräte gegeben hat. Wenn das File zudem mit einem guten Encoder und hoher Bitrate komprimiert wurde, ist es überhaupt kein Problem. In meiner Jugendzeit hat man Musik am Mittelwellenradio gehört, da ist die mp3 sicherlich viel besser.

Wie sehen Sie die Zukunft der mp3?
Derzeit können fast alle Geräte mp3s abspielen. Nach AAC ist es das zweitwichtigste Format für den digitalen Musikvertrieb im Internet. Die Bedeutung hat nicht nachgelassen und mp3 wird auch in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren wichtig sein und einen gemeinsamen Nenner darstellen.

Wodurch könnte die mp3 in Zukunft überhaupt Konkurrenz bekommen?
Man hört Musik vielleicht wieder unkomprimiert und im Originalzustand. Wir arbeiten außerdem an anderen Tonformaten, die es erlauben, den Ton flexibler wiederzugeben. Das ganze Klangbild soll dabei in einzelnen Teilen gespeichert und dreidimensional werden. Diese Forschung geht zurück auf die Wellenfeld-Synthese, zu der an der TU Delft in Holland zuerst geforscht wurde. Diese Entwicklung namens Iosono ist allerdings erst in zehn bis zwanzig Jahren für Endkonsumenten interessant. Erste Anwendungen sind derzeit allerdings schon marktreif.

Wo gibt es diese Entwicklung schon zu hören?
In einem Themenpark in München, in einem Kölner Museum, in Disneyworld Florida, in diversen Referenz-Kinos in Hollywood und bald auch in Asien.

Mehr zum Thema

Wissenschaftsnacht in St. Pölten
Unter dem Titel "FIT für Forschung" werden an der FH St. Pölten in der Nacht vom 23. September Forschung, Kunst und Lifestyle verknüpft. Zeitgleich mit über 50 anderen Events in 33 Ländern ist dies Österreichs Beitrag zur European Researchers` Night 2011.

Der Vortrag von Karlheinz Brandenburg ist neben der Uraufführung der Medienoper "Pitoti - Echoes of the Echoes" und einer Modenschau mit futuristischer Kleidung und sogenannten "Wearables" eines der Highlights im Programm. Die Veranstaltung beginnt um 15 Uhr.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

mehr lesen
Barbara Wimmer

Kommentare