SMS, Internet, Facebook – die Ablenkungen durch das Smartphone in der Schule sind groß. Eine Lösung für das Problem um die neuen Medien hat aber bisher niemand parat.
SMS, Internet, Facebook – die Ablenkungen durch das Smartphone in der Schule sind groß. Eine Lösung für das Problem um die neuen Medien hat aber bisher niemand parat.
© KURIER/Franz Gruber

Kein Stoppknopf

Experte sagt "Digitale Bildungsrevolution" voraus

"Die Bildung wird digital." Das prognostiziert der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung und frühere Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger in seinem neuen Buch "Die digitale Bildungsrevolution". "Dafür gibt's auch keinen Stoppknopf", betonte er am Donnerstag Abend vor Journalisten in Wien. "Es wird geschehen - ob wir das wollen oder nicht."

Dabei gehe es aber nicht um Tablet-Klassen oder die Smartboards in den Schulen. "Das ist viel mehr." Als Beispiel nannte Dräger eine Brennpunktschule in New York City. Dort säßen 90 Kinder aus drei Jahrgängen in einem Klassenzimmer. "Jeder lernt für sich, alle digital - die einen schauen sich Videos am Tablet an, die anderen machen Lernspielen. Ok, und ein paar diskutieren auch miteinander." Am Nachmittag absolvieren dann alle einen Test, der über Nacht in einem Rechenzentrum per Computer ausgewertet wird, der für den nächsten Tag anhand der Testergebnisse für jeden Schüler ein maßgeschneidertes individuelles Lernprogramm zusammenstellt. Das wiederhole sich Tag für Tag. Ergebnis: "Die Schule verzeichnet um 50 Prozent mehr Lernfortschritt als eine 'normale' Schule - und das, obwohl 80 Prozent der Eltern Sozialhilfe beziehen."

Lehrer begleiten

Das verändere nicht zuletzt die Rolle des Lehrers, so Dräger: "Der Lehrer ist nicht mehr Erzähler, sondern Lernbegleiter." Dabei gelte oft: "Die Faktenvermittlung funktioniert oft besser mit einem zehnminütigen Video als mit 20 Minuten Erklärung durch den Lehrer. Die Zeit, die ich so gewinne, kann ich für Interaktion, für persönliche Gespräche mit den einzelnen Schülern nutzen - und wenn es über die Scheidung der Eltern ist."

Anderes Beispiel: An einer Uni in Tennessee scheiterten zahlreiche Studenten, weil sie offenbar nicht einschätzen konnten, ob ein Studium für sie auch geeignet ist. Lösung: Ein Algorithmus - "so wie es Algorithmen für Amazon gibt, die anhand früherer Bestellungen wissen, was ich lesen oder hören will, oder für Netflix, die wissen, was ich sehen will", so Dräger. Die Daten der einzelnen Studenten über ihre bisherigen Kurse und deren Noten wurden mit einer halben Million Datenpunkten aus der Vergangenheit verknüpft - daraus erstellte der Computer Vorschläge für passende Kurse: Die Erfolgsquote stieg merklich an.

Maßgeschneidert

Ein US-Startup wiederum schaffe es, mittels eines 20-minütigen Computerspiels ein Kompetenzraster eines Menschen zu erstellen, das besser zeigt, ob dieser zu einem Jobprofil passt, als Lebensläufe, Prüfungsergebnisse etc. "Die können mit unglaublicher Präzision vorhersagen, ob jemand für einen Job geeignet ist oder nicht. 20 Minuten Computerspielen ist entscheidender als 20 Jahre Schule, Uni mit tausenden Seiten Hausarbeiten etc."

Natürlich sei das alles immer mit Vorsicht zu betrachten, meinte Dräger. "Aber das ist natürlich ein Angriff auf bisherige Eliten und schafft auch ein Stück globale Gerechtigkeit." Deshalb müssten sich Politik und etwa Lehrerfortbildung überlegen, wie sie mit dieser Entwicklung umgingen.

Druck in den USA

Während in Asien sowie Nord- und Südamerika alle bereits von digitaler Bildung redeten, hinke man in Europa da noch hinterher. In Deutschland - und wahrscheinlich auch Österreich - sei "der Druck noch nicht groß genug": "Die US-Amerikaner leiden unter einer erheblichen Kostenproblematik. Das Studium ist dort so teuer geworden, dass viele es sich nicht mehr leisten können. Uruguay hat Probleme, seine Lehrer zu finanzieren. Daher gilt dort vorerst mal: Digital ist besser als nix." So verfüge etwa ein deutsches Bildungs-Startup mit einem seiner Programme dort über eine landesweite Lizenz, während es am Heimmarkt gerade einmal eine für 200 Schulen bekommen habe.

Im Rechtebereich stellten sich derzeit auch noch zahlreiche Fragen, so Dräger. "Bisher haben die Lehrer ihre Materialien wie wild zusammengeschnipselt oder was rauskopiert. In dem Moment, wo alles digital wird, stellt sich natürlich die Frage, wem die Rechte gehören." oder: "Ist ein Lernprogramm, mit dem die Kinder täglich lernen, genauso genehmigungspflichtig wie ein Schulbuch?" Unis wiederum sagten sich: "Bloß keine Online-Vorlesungen anbieten, weil sich Leute dann eventuell einen Platz an der Uni einklagen könnten - all das ist noch nicht geklärt."

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