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Gamification: Der Alltag als Spiel

Videospiele sind nicht nur eine Freizeitbeschäftigung. Unter dem Schlagwort “Gamification” sollen sie zunehmend auch in den Alltag integriert werden. Gemeint ist die Übertragung von spielerischen Elementen in alltägliche Lebensbereiche. “Gamification soll Leute motivieren, bestimmte Tätigkeiten auszuführen. Die Tätigkeit soll Spaß machen, wie ein Spiel eben”, sagt der deutsche Kommunikationswissenschaftler und Gamification-Experte Sebastian Deterding vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg.

Die Einsatzmögilchkeiten sind vielfältig und reichen von der Bildung über den Gesundheitsbereich bis hin zur Arbeitswelt. Ursprünglich kommt das Schlagwort, das auf einschlägigen Kongressen bereits allgegenwärtig ist, aus dem Marketing-Bereich. Mit spielerischen Elementen, die an Produkte gekoppelt werden, sollen Kunden an Unternehmen gebunden werden. Als Blaupause dafür können etwa Vielfliegerprogramme gelten. Kunden von Airlines werden durch gesammelte Flugkilometer auf die nächste Stufe gehoben und erhalten Vergünstigungen und Bonus-Meilen.

Mit „Check-ins“ zum Bürgermeister
Auch Foursquare wird gerne als Beispiel für “Gamification” zitiert. Die Geo-Anwendung kombiniert Funktionen aus Online-Netzwerken wie Facebook oder Twitter mit GPS-Technologie und Elementen aus dem Gaming-Bereich. Nutzer teilen mit, wo sie sich gerade befinden. Für das "Einchecken" werden Punkte vergeben. Wer besonders häufig an einem Ort anzutreffen ist, wird zum "Bürgermeister" ernannt und kann seine erspielten Punkte gegen reale Belohnungen eintauschen und erhält etwa Preisnachlässe bei Getränken. „Diese Anwendungen liefern Nutzern im Austausch gegen persönlichen Daten einen Lustgewinn", sagt Georg Russegger, Scientific Manager for Ludic Interfaces an der Kunst-Universität in Linz.

"Tätigkeiten motivierender gestalten"
In der Praxis werde "Gamification" häufig als “Belohnungssystem” missverstanden und verkürzt, kritisiert Deterding. "Gamification" lasse sich aber in vielen Bereichen durchaus sinnvoll einsetzen, so der Kommunikationswissenschaftler: “Wir können von Spielen lernen, Tätigkeiten motivierender zu gestalten.” Als Beispiel nennt er die Online-Anwendung Healthmonth. Das Programm will Menschen dabei helfen, gesünder zu leben. Nimmt sich etwa ein Nutzer vor, seinen Alkoholkonsum zu veringern, erhält er Feedback und Punkte für den Alkoholverzicht. “Die Nutzer sind bereits motiviert gesünder zu leben, brauchen aber Unterstützung den eigenen inneren Schweinehund zu überwinden”, sagt Deterding.

Problemlösungen

Auch die US-Spieleentwicklerin und Autorin Jane McGonigal denkt bei ihrer Definition von “Gamification” nicht an Belohnungssysteme oder Programme zur Kundenbindung. In ihrem Buch „Realitiy is broken“, das in den USA längst ein Bestseller ist, vertritt sie die These, dass Online-Gamer auch Probleme in der “echten Welt” lösen können. Voraussetzung dafür sind laut McGonigal Spiele, die glaubhafte Szenarien und Feedback liefern.

In Pilotprojekten, wie dem von ihr entwickelten Spiel „World without Oil“, werden die Nutzer vor das Problem einer virtuellen Ölkrise gestellt. Sie sollen sich auch im “echten Leben” so verhalten, als wäre die Ölkrise real. McGonigal ist von der positiven Wirkung solcher Spiele überzeugt: „Niemand würde sein Leben ändern, nur weil es gut für den Planeten ist. Sagt man den Spielern aber, dass sie sich in einem Abenteuer befinden, werden sie es tun und ihr Leben vielleicht auch danach so fortsetzen, als wären sie noch im Spiel”, sagte sie in einem TED Talk aus dem Jahre 2010.  Solche Spiele stehen aber noch am Anfang.

“Marketing-Schwachsinn”
Der Trend alles zu „verspielen“ ruft auch Kritiker auf den Plan „Gamification ist Schwachsinn“, meint der US-Videospieltheoretiker Ian Bogost, der zu den Gründern von Persuasive Games zählt, einem Spieleentwicklerteam, das Videospiele mit sozialen- und politischen Problemstellungen entwickelt. „Um genau zu sein, Gamification ist Marketing-Schwachsinn, erfunden von Unternehmensberatern, die die wilde Energie der Videospiele für die Geschäftemacherei domestizieren wollen", so Bogost in einem Blog-Posting. “Was ‘Gamification’ kann und woher ‘Gamification’ kommt sind zwei verschiedene Paar Schuhe”, meint hingegen Deterding.

Unter anderen Gesichtspunkten aber dennoch kritisch sieht die Entwicklungspsychologin Ursula Kastner-Koller von der Universität Wien den "Gamification"-Trend. „ Entwicklungspsychologisch gesehen hat ein Spiel die Funktion sich zweckfrei, selbstbestimmt und lustbetont mit Umweltanforderungen auseinanderzusetzen. Lerneffekte sind nicht beabsichtigt und entstehen eher nebenbei. `Gamification` hingegen scheint mir, fehlt die spielerische Komponente, da es Menschen dazu bringen will etwas zu tun, was sie eigentlich nicht möchten.“, sagt Kastner-Koller.

"Hype-Kurve, die in Enttäuschungen enden wird"
Entsteht der Hype um das Spielerische im Alltag weil die erste Generation, die mit Videospielen aufgewachsen ist, nun die Führungsetagen erreicht hat und das Interesse der Werbewirtschaft weckt? Stephan Kreissler, Digital Media Director der Agentur MediaCom, glaubt das nicht: "`Gamification` erreicht nicht nur Nerds und Spieler aus den 1970er Jahren, die mit Atari & Co. aufgewachsen sind", meint er: "Sehr viele Menschen von jung bis alt haben einen Spieltrieb."

"Der Mensch spielt schon seit der Steinzeit", sagt Russegger: "Bei `Gamification` geht es nicht darum das Rad neu zu erfinden, sondern bekannte Dinge durch einen Innovationsprozess neu zu gestalten.“ Die Zukunft des Hypes beurteilt er skeptisch: "Er wird abflachen." Auch Deterding ortet "eine Hype-Kurve, die sehr bald in Enttäuschungen enden wird". Spielspaß sei nicht gleich Belohnung, wie es von sehr vielen `Gamification`-Anbietern vorgegaukelt werde, so der Wissenschaftler: "Die grundlegende Idee wird aber bleiben und langsam aber sicher in Bildung und Selbstmanagement Fuß fassen."

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