Ob Handystrahlung gefährlich ist, ist nicht restlos geklärt
Ob Handystrahlung gefährlich ist, ist nicht restlos geklärt
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Kontrovers

Handystrahlen: "Funkmasten am besten auf Kindergärten"

Kaum ein Thema hat seit den späten 1990er-Jahren für derart emotionale Diskussionen gesorgt wie die mögliche Gesundheitsgefährdung durch Handystrahlung. Immer wieder wurde versucht, einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Kopftumoren und der Handynutzung nachzuweisen, bislang allerdings ohne Erfolg. „Was gesichert ist, sind die thermischen Effekte, also die minimale Temperaturerhöhung des Gewebes durch die Aufnahme der Handystrahlung durch den Körper. Bei den gängigen Grenzwerten macht dieser Effekt im Gehirn maximal 0,1 Grad aus“, erklärt der Physiker Gernot Schmid von den Seibersdorf Laboratories im futurezone-Interview.

Zellabsorption

Dass diese marginale Gewebeerwärmung, die im natürlichen Schwankungsbereich des menschlichen Körpers liege, Zellschäden verursache, sei praktisch ausgeschlossen. „Darüber hinaus gibt es Hypothesen, dass Mobilfunkstrahlung unter Umständen Schäden an der DNA verursachen oder Reparaturmechanismen der DNA behindern könnte. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren ist es aber nicht gelungen, eine schlüssige Beweiskette zu finden“, sagt Schmid. Ein Restrisiko bleibt insofern, als Langzeitstudien, die bei der Entstehung von Kopftumoren relevant wären, immer noch Mangelware sind.

A child takes pictures with a mobile phone as Pope Francis leads the Angelus prayer from a window of the Apostolic Palace in Saint Peter's Square at the Vatican June 9, 2013. REUTERS/Max Rossi (VATICAN - Tags: RELIGION)
Das schlägt sich auch in der aktuell gültigen Bewertung der Weltgesundheitsorganisation WHO nieder, welche die von Handys erzeugten elektromagnetischen Felder zur Überraschung vieler als „möglicherweise krebserregend“ einstufte und für 2016 eine formale Risikoabschätzung ankündigte. Im gleichen Papier (zum PDF-Download) kommt die WHO aber zum Schluss, dass „bis heute keine negativen Gesundheitseffekte durch die Nutzung von Mobiltelefonen festgestellt werden konnten“ und in Tierversuchen auch „kein erhöhtes Krebsrisiko für die Langzeitexpositionen gegenüber Hochfrequenzfeldern“ nachweisbar war.

Krebsgefahr umstritten

„Dass elektromagnetische Felder Krebs auslösen können, ist extrem unwahrscheinlich“, meint auch Alexander Lerchl, der an der Jacobs University in Bremen die Gesundheitsrisiken von Mobilfunk und elektromagnetischer Strahlung erforscht. „Anders sieht es allerdings beim Tumor-Wachstum aus. Hier gibt es Indizien bei Tierversuchen, dass Mobilfunkfelder die Ausbreitung von Tumoren bei bereits erkrankten Tieren fördern. Das könnte eine Folge der Gewebeerwärmung und eine Erklärung für einige Studien sein, die Vieltelefonierern ein geringfügig höheres Risiko für Kopftumore bescheinigen“, sagt Lerchl zur futurezone.

Handy-Strahlen stehen nach dieser Theorie, folglich zwar nicht unter Verdacht, Krebs auszulösen, könnten aber befallenes Gewebe unter Umständen schneller wachsen lassen. Eine Studie des Fraunhofer Instituts war Jahre zuvor bereits zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Lerchl warnt gleichzeitig aber vor voreiligen Schlüssen bzw. die Ergebnisse auf den menschlichen Körper 1:1 umzulegen. „Über die Eigenschaften von Tumorgewebe hinsichtlich der Aufnahme von elektromagnetischer Strahlung ist sehr wenig bekannt. Hier ist definitiv noch Forschungsarbeit notwendig.“

Angst in Bevölkerung sinkt

In der Bevölkerung ist das Thema zwar weiterhin präsent, die besorgten Anfragen sind laut dem Forum Mobilkommunikation (FMK), der Interessensvertretung der österreichischen Mobilfunkbranche, in den vergangenen Jahren aber stark zurückgegangen. Bis zu 120 Anfragen pro Monat verzeichnet der Verein zu Mobilfunkthemen, nur ein Viertel davon dreht sich dabei aber um gesundheitliche Aspekte. Mindestens genauso viele, wenn nicht sogar mehr Menschen würden sich heute darüber beklagen, dass sie keinen guten Handyempfang hätten, sagt FMK-Geschäftsführerin Margit Kropik im Gespräch mit der futurezone.

Dass die gesundheitsbezogenen Anfragen weniger werden, hat laut Kropik einen verblüffend einfachen Grund: „Die meisten Beschwerden und Ängste gab es seit jeher, wenn ein neuer Sendemast gebaut wurde. Da der physische Netzausbau in Österreich praktisch abgeschlossen ist, fällt dieser Faktor jedoch weg.“

Funkmast auf Kindergarten

Dass in der Bevölkerung ausgerechnet Mobilfunkmasten die größte Gesundheitsangst auslösen, ist ein altbekanntes Phänomen. Was jedoch die wenigsten wissen: Die potenzielle Gefährdung geht, wenn überhaupt, vom Handy selbst aus, da das elektromagnetische Feld durch das Telefonieren in Körpernähe viel stärker ist als durch einen Handymast. Dazu kommt: Ist der Mast in Sichtweite, braucht das Handy eine viel schwächere Funkleistung, um eine Verbindung aufzubauen. Die Belastung ist ergo am größten, wenn das Netzsignal schwach ist bzw. der Mobilfunkmast eben nicht vor der Haustür steht.

„Wenn man auf Nummer sicher gehen will, sollte man Handymasten eigentlich auf dem Dach von Kindergärten, Schulen oder Krankenhäusern montieren“, sagt Universitätsprofessor Lerchl. Auch Schmid stimmt dieser Einschätzung zu: "Es ist ein Paradoxon, dass sich alle vor Basisstationen wie Handymasten mehr fürchten als vor dem Handy, obwohl es die viel stärkere Signalquelle für den Körper ist. Der psychologische Effekt, der bei körperlichen Beschwerden auch berücksichtigt werden muss, kommt hier stark zum Tragen - einfach weil ich den Mast vor meiner Haustür im Gegensatz zum elektromagnetischen Feld des Handys ständig sehe."

Wer ein Gerät sucht, das wenig auf den Körper abstrahlt, kann den sogenannten SAR-Wert auf Webseiten wie handywerte.de prüfen. Darunter versteht man die "spezifische Absorptionsrate", die im Wert von Watt/Kilogramm angegeben werden. Das ist die maximale Sendeleistung, die der Körper in einer Telefoniesituation (Handy am Ohr) abbekommt. Werte bis 0,60 Watt/kg gelten als gering, viele Highend-Handys wie das iPhone 6 liegen mit 0,97 Watt/kg nur im schlechten Mittelfeld. Als Grenzwert gilt 2 Watt/kg.

Der SAR-Wert ist allerdings nur bedingt aussagekräftig. Der Wert wird nämlich nur erreicht, wenn das Handy mit maximaler Sendeleistung arbeiten muss - etwa bei schlechtem Netzempfang - und ist auch von der Handhaltung abhängig. Verwendet man ein Handy normalerweise in einem Gebiet mit gutem Empfang verwendet auch ein Smartphone mit höherem SAR-Wert nur einen Bruchteil dieser maximalen Sendeleistung. Und auch sonst sind die Auswirkungen umstritten. Der thermische Effekt, also die Zellerwärmung, liegt selbst bei Werten um 1,5 bis 2 Watt/kg bei den besagten 0,1 Grad für das Gehirn.

Grenzwert bei Mobilfunkmasten

Bei der Errichtung von Sendestationen gibt es keine offiziellen Grenzwerte, Auflagen diesbezüglich sind in Österreich "nur" in der ÖNORM E8850 geregelt. So müssen gewisse Sicherheitsabstände eingehalten werden, damit Menschen nicht in unmittelbare Nähe der Stationen gelangen. Der Wert wird in dem Fall mit Watt pro Quadratmeter angegeben, bei UMTS liegt der Höchstwert etwa bei 10 W/m².

Menschen bekommen laut Experten außerhalb der abgesicherten Zone maximal Werte von 10 bis 100 Milliwatt/m² ab, was nur einem Bruchteil des tatsächlichen Grenzwertes entspricht und folglich Diskussionen aufkommen lässt, ob dieser nicht viel zu hoch angesetzt ist. „Sowohl die geltenden Grenzwerte für Mobiltelefone, als auch für die Basisstationen basieren auf den wissenschaftlich etablierten thermischen Effekten, schützen also vor schädlichen Gewebetemperaturerhöhungen“, sagt Schmid.

Die Wiener Ärztekammer warnt seit Jahren vor der sorglosen Handynutzung und hat einige Regeln diesbezüglich aufgestellt. So sollten Kunden auf einen geringen SAR-Wert (siehe oben) achten. Wer viel telefoniert, sollte das Handy mittels Freisprecheinrichtung benützen bzw. das Handy beim Gesprächsaufbau vom Kopf fernhalten. Das permanente Tragen des Geräts in Körpernähe (Hosen-, Brusttasche) sei nicht empfehlenswert. Ebenso sollte in Räumen mit schlechtem Empfang (Keller, Aufzug) und Fahrzeugen (Bus, Bahn, Auto) nicht telefoniert werden. Wird das Handy primär zum Spielen oder Fotografieren genutzt, soll die Telefoniefunktion abgeschaltet werden (Flugmodus).

Wie praxisnah viele dieser Tipps sind, sei dahingestellt. Mittlerweile könnte auch zum Tragen kommen, dass viele junge Handy-Nutzer ihre Geräte gar nicht mehr zum Telefonieren, sondern in erster Linie zum Surfen benutzen, und somit den empfohlenen Sicherheitsabstand zum Körper von einer Armlänge ohnehin nur selten nicht einhalten. „Es gibt keine Langzeitergebnisse. So lange nicht restlos geklärt ist, ob Handystrahlen gefährlich sind, gilt für uns das Vorsorgeprinzip“, sagt Umweltmediziner Piero Lercher von der Wiener Ärztekammer zur futurezone. Er vermisst klare WHO-Grenzwerte für die Errichtung von Handymasten, auch wäre es wünschenswert, wenn die SAR-Werte beim Handykauf immer automatisch ausgewiesen wären.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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