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Interview

"Lehrer stehen unter enormen Druck"

Wie hat sich die Rolle des Lehrers durch die Popularisierung des Internets verändert?

Andreas Salcher: Sehr radikal. Die Lehrer hatten früher ein Wissensmonopol. Wenn ein Lehrer etwas Falsches gesagt hat, hat der Sohn am Abend den Vater gefragt. Drei Tage später hat er, wenn er bis dahin nicht den Mut verloren hat, den Professor darauf angesprochen. Heutzutage geht dieser Prozess in Sekundenschnelle. Der Schüler schaut mit seinem Smartphone auf Wikipedia nach und kontrolliert, ob die Information stimmt. Da kann kein Lehrer mithalten. Früher waren Lehrer die Wissensvermittler, jetzt sind sie dafür da, eine Lernumgebung zu schaffen und den Schülern als Unterstützer zur Seite zu stehen.

Das Web ist dabei kein Gegner, denn gute Lehrer wissen, wie sie Inhalte vermitteln. Ein Lehrer, der frontal unterrichtet und seine Informationen von einem Zettel abliest wird durch einen PC ersetzbar sein – und sollte meiner Meinung nach auch ersetzt werden. Ein guter Lehrer ist heutzutage ein Motivator, ein Coach, der Schüler unterstützt.

Wie sieht die perfekte Situation im Klassenzimmer aus?

Der Professor Sugata Mitra hat zahlreiche Experimente zur optimalen Lernsituation durchgeführt. Er hat dabei herausgefunden, dass der größte Lerneffekt dann stattfindet, wenn sich vier Schüler einen PC teilen und es mehrere Gruppen gibt, die sich auch untereinander austauschen können. Das ist die optimale Lernsituation, in der auch schwierige Aufgaben bewältigt werden. Die technischen Mitteln sollen gute Lehrer aber keinesfalls ersetzen. Ein guter Lehrer ist immer noch der Schlüsselfaktor.

In Österreich gibt es einen Erlass vom Bundesministerium für Unterricht und Kultur, der allen Lehrern die Vermittlung von digitaler Medienkompetenz nahe legt. Sollte Medienkompetenz Ihrer Meinung nach ein eigenes Schulfach werden?

Nein, es sollte kein eigenes Fach dafür geben. Die Schüler haben sich das glücklicherweise bereits selbst beigebracht, mit einem Schulgegenstand hätte man ihnen die Freude verdorben. Es sind die Schüler, die ihren Lehrern und Eltern digitale Kompetenz beibringen sollten, denn Kinder kennen sich mit dem Web oft besser aus als diese. Schüler nutzen etwa bei Schularbeiten ihr Smartphone, um die Antworten auszutauschen. So etwas lässt sich heutzutage nur schwer verhindern. Nur die Schulpolitik hinkt hinterher. Statt Erlässen sollte es mehr Freiraum an Schulen geben.

Laut der neuen Kinderstudie von A1 hinterfragen nur 12 Prozent der Schüler die Richtigkeit der Inhalte im Web. Finden Sie das alarmierend?

Ich denke, dass das nicht nur auf die Schüler zutrifft. Es ist die Aufgabe der Lehrer, dies zu thematisieren und ihren Schülern zu erklären, wie etwa Informationen auf Wikipedia zustande kommen. 80 Prozent der Erwachsenen glauben sicherlich auch, was in der ZIB1 gesagt wird. Wir glauben auch so gut wie alles. Man muss Kindern daher Plausibilität beibringen, damit sie die Richtigkeit einfacher Dinge hinterfragen können.

Wie kommen die Lehrer mit ihrer neuen Rolle zurecht?

Lehrer stehen heutzutage unter einem enormen Druck, denn das Smartphone unterm Tisch ist spannender als der Frontalunterricht. Es wäre daher sehr wichtig, mehr Austausch untereinander zuzulassen und Teamarbeitsräume zu schaffen. Das wird noch viel zu wenig genutzt. In Singapur, das als eines der Länder mit den besten Schulergebnissen gilt, gibt es etwa keine Tafeln mit Kreide mehr. Was bei uns noch Standard ist, stammt in Wahrheit aus dem letzten Jahrhundert. Da müssen wir noch einen gewaltigen Sprung machen. Außerdem sollten neue Lehrer besser auf die neue Art des Unterrichtens vorbereitet werden. Ein Erlass bringt nichts, wenn die technische Infrastruktur nicht vorhanden ist und auch die Ausbildung nicht angepasst wird.

Wie sieht die Schule der Zukunft aus?

Die gibt es schon, ich habe sie bereits bei meinen Reisen, aber auch in Österreich gesehen. Sie orientiert sich an der Neugier und dem Interesse ihrer Schüler. Es sind Lehrer und Schüler motiviert, beide gehen gerne hin. Das ist aber ein Kulturbruch, denn derzeit sind zu viele Schulen noch wie Kasernen organisiert. Die Schule hierzulande hinkt der Entwicklung noch nach.

Mehr zum Thema

Andreas Salcher hat am Mittwoch beim Internationalen Kongress "Kinder und digitale Medien" in Wien das Eröffnungsstatement zum Thema "Der talentierte Schüler und seine Freunde" gehalten.

Der Internationale Kongress findet von 6. bis 7. April 2011 an der Technischen Unversität (TU) in Wien statt und dreht sich um Themen wie "Web 2.0 als Herausforderung für Lehrer", "Unser Leben im Web 2.0" sowie um erfolgreiche Web 2.0-Projekte. Auch die aktuellsten Studien werden beim Kongress präsentiert.

 

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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