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Überwachung

"Man kann nicht einfach den Stecker ziehen"

Im Theater heißt es gemeinhin, dass man sein Handy abschalten soll. In dem Projekt "Anonymous P" von Chris Kondek und Christiane Kühl, das vom 19. bis 21. Februar im Wiener Theater brut gastiert, ist das Smarphone integrativer Bestandteil der Performance. Anhand von Daten, die von den Handys der Besucher gesammelt und die während des Stücks auch thematisiert werden, soll Überwachung spürbar werden.

Auf einer zusätzlichen Ebene wird die Überwachungsthematik mit der griechischen Mythologie kurzgeschlossen. Edward Snowden wird kurzerhand zu Prometheus, statt Feuer, stiehlt er den Mächtigen Daten. "Wir drehen den Mythos aber auch um. Prometheus hat der Menschheit das Licht gebracht. Der neue Prometheus würde die Anonymität bringen", sagen Kondek und Kühl im Interview mit futurezone.

Chris Kondek & Christiane Kühl - Anonymous P. (Trailer) from brut Wien on Vimeo.

futurezone: Wie kann etwas vergleichsweise Abstraktes wie die digitale Überwachung dargestellt werden?
Christiane Kühl: Als wir uns überlegt haben, wie wir mit dem Thema arbeiten würden, war uns klar, dass wir Überwachung erfahrbar machen wollten. Wir wussten auch, dass wir mit Leuten zusammenarbeiten müssen, die technisch was davon verstehen. Wir haben mit Hackern gesprochen, die der Idee sehr aufgeschlossen gegenübergestanden sind. Uns wurde auch schnell klar, dass es schwierig ist, sich mit etwas auseinanderzusetzen, was kaum greifbar oder sichtbar und unmittelbar auch nicht spürbar ist.

Den Hackern kam dann das Bild von einem Einbruch. Die Leute finden es weniger schlimm, dass etwas weg ist, als dass jemand in ihrer Wohnung war. Das ist ein ganz unheimliches Gefühl. Wir versuchen, dieses Bild auf die digitale Überwachung zu übertragen. Wenn jemand in meinem Handy drinnen ist, wird auch eingebrochen. Ich weiss nicht wer es war und wie er reinkam. Das ist außerhalb meiner Kontrolle. Es ist eine Art Vergewaltigung.

Sie verknüpfen Whistleblower wie Edward Snowden mit der griechischen Mythologie. Sind Snowden und Co. mythologische Figuren?
Kühl: Wir haben uns gefragt, wie man heute eine Geschichte über Überwachung und Privatsphäre erzählen kann? In was für einer Sprache kann man davon reden, so dass die Leute noch mal aufhorchen? Die Sprache des Mythos ist eine tolle Sprache,weil sie keine großen Begriffe und keinen Theaterdonner scheut. Mythen geben uns die Möglichkeit, einfacher mit gut und böse umzugehen.

Kondek: Edward Snowden passt auch gut in die Helden-Mythologie hinein - der Kampf des Einzelnen gegen das System. Snowden spricht auch sehr mythologisch aufgeladen. Denken Sie nur daran, dass er gesagt hat, er habe es für die Menschheit getan.

Kühl: Es gibt viele Parallelen. Prometheus hat den Mächtigen das Feuer weggenommen, Snowden nahm ihnen die Daten. Genauso wie Prometheus musste auch er bestraft werden. Prometheus wurde an einen Felsen gekettet und Snowden wurde in der Transitzone am Moskauer Flughafen festgesetzt. Wie bei Prometheus ist auch niemand bereit, ihn zu befreien. Alle finden es klasse, was Snowden gemacht hat, aber er muss in Russland bleiben. Auch Prometheus wurde von der Welt vergessen.

Kondek: Wir drehen den Mythos aber auch um. Prometheus hat der Menschheit das Licht gebracht. Der neue Prometheus würde Dunkelheit bringen, die Möglichkeit anonym zu sein.

Kann man heute noch anonym sein?
Kühl: Vielleicht nicht. Unser Stück endet mit dieser Frage.

Das Smartphone wird bei Ihnen zur Büchse der Pandora?
Kühl: Nicht nur das Smartphone, der Computer an sich. In der Frühgeschichte des Internet fällt auf, dass viele darin ein Werkzeug zur Befreiung der Welt gesehen haben. Das Internet wurde mit Freiheit, Wissen und der Möglichkeit zu teilen in Zusammenhang gebracht. Aber vieles von dieser Technik lässt sich gegen uns wenden.

Kondek: Der frühe Steve Jobs hat sich im übrigen auch einer mythologischen Sprache bedient. Es gibt ein Video zum Mac aus dem Jahr 1984, wo das gute Apple uns vor Big Brother befreien soll.

futurezone: Sehen Sie in der Technik auch positives Potenzial?
Kondek: Durch Technik wird alles einfacher gemacht. Aber man weiß nicht mehr, wie sie funktioniert. Wir müssen die Technik kennen- und beherrschen lernen, wir müssen uns mit ihr beschäftigen, dann gibt es auch die Möglichkeit, dass etwas gutes dabei herauskommt.

Kühl: Programmieren ist aktuell die wichtigste Sprache. Es sollte nicht die Mehrheit der Menschen Analphabeten sein.

futurezone: Wir wissen, das wir überwacht und ausgeforscht werden, aber die wenigsten ändern ihr Verhalten. Warum?
Kühl: Es sind nicht nur die Geheimdienste. Wir stehen der Kommerzialisierung der digitalen Sphäre genau so ohnmächtig gegenüber. Aber solange man das Gefühl hat, dass die Überwachung nichts mit einem selbst zu tun hat, bleibt sie abstrakt. Wenn Daten abgezogen werden, merkt man nicht, was passiert. Es ist schwer zu verstehen, dass es auch negative Effekte haben könnte. Auch die Werbung aufgrund persönlicher Daten finden die meisten nicht so schlimm. Die Vorstellung, dass solche Daten auch gegen einen verwendet werden können, ist vielen fern. Unsere Generation ist in einer Zeit aufgewachsen, in der immer alles gut war. Das ist nicht in unserem Denken drinnen. Wir denken, solange wir in einer Demokratie leben ist es egal. Hauptsache, es weiß niemand, das man Steuer hinterzieht.

Kondek: Man hat auf der einen Seite die Bequemlichkeit, die einem diese Dienste bieten und auf der anderen Seite ein abstraktes Problem. Wenn ich etwas bei Amazon bestelle, ist es schwer, die Nachteile abzuwägen.

futurezone: Sie zeigen auch eine Videoeinspielung von Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt, der sagt, "There is an off-button, learn how to use it" ("Es gibt einen Ausschaltknopf, lernen Sie ihn zu verwenden"). Kann man der Überwachung heute überhaupt noch entkommen?
Kondek: Was Schmidt sagt, ist Schwachsinn. Man kann nicht einfach den Stecker ziehen und ausschalten. Das ganze System ist vernetzt. Wir hinterlassen Spuren, wenn wir mit der Kreditkarte einkaufen, Tickets am Automaten ziehen oder jemand ein Foto von uns macht. Man kann nicht die ganze Welt ausmachen.

Ist Freiheit im digitalen Zeitalter noch möglich?
Kondek: Das Internet ist der Ort, wo man denkt, man hat die totale Freiheit. Man kann alles lesen und sehen. Man kann sich als jemand anderer ausgeben. Man kann eigentlich alles machen. Es ist irgendwie frei, aber es ist auch eine komische kontrollierte Freiheit.

Kühl: De facto fühl ich mich nicht unfrei. Wir sind aber an einem Punkt, wo es wichtig ist über bestimmte Sachen nachzudenken und Entscheidungen zu treffen. Wenn es kippt, dann ist es mit der Freiheit vorbei. Der Weg zwischen Demokratie und Tyrannei kann sehr kurz sein.

Der 1962 in Boston geborene und in Berlin lebende Regisseur und Videokünstler Chris Kondek hat unter anderem mit Robert Wilson, Michael Nyman und Laurie Anderson zusammengearbeitet. Gemeinsam mit der Dramaturgin Christiane Kühl setzte er sich am Theater unter anderem auch schon mit virtuellen Börsengeschäften auseinander. Bei der Inszenierung "Dead Cat Bounce" (2004) wurde noch während den Vorstellungen mit den Eintrittsgeldern der Zuschauer spekuliert.

"Anonymous P." ist von 19. bis 21. Februar, jeweils um 20.00 Uhr im brut (Künstlerhaus) zu sehen. Im Anschluss an die Vorstellung vom 20. Februar diskutiert der Netzaktivist und Künstler Wolfie Christl mit dem Team des Stücks über Themen wie Online-Tracking und Profiling.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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