Ob Lego Mindstorm, Guitar Hero, die eInk oder die Figuren für den Gremlin-Film - im Media Lab wurden schon zahlreiche erfolgreiche Produkte entwickelt.
Ob Lego Mindstorm, Guitar Hero, die eInk oder die Figuren für den Gremlin-Film - im Media Lab wurden schon zahlreiche erfolgreiche Produkte entwickelt.
© Gerald Reischl

Reportage

Media Lab: Der Heilige Gral der Innovation

Das Gebäude ist ein lebender Organismus aus Stahl, Beton und Glas. Joe Paradiso hat es in ein riesiges Labor verwandelt. Der Professor und Leiter der Responsive Environment Group hat hunderte Sensoren installiert, mit denen er den Zustand des Gebäudes in Echtzeit abrufen kann – rote und blaue Punkte etwa zeigen die Temperaturen an. „Je mehr die Punkte pulsieren, desto wärmer/kälter ist es“, erzählt Paradise. Bewegungssensoren detektieren die Menschen im Lab, Geräuschsensoren erfassen, was sie sprechen – „das Gesagte wird aber verzerrt“. Paradiso – der übrigens zwischen 1975 und 1987 den größten modularen Synthesizer der Welt gebaut hat - hat sein ganzes Forschungsleben der Sensorik verschrieben. Eines seiner aktuellen Projekte nennt sich Doppelleben, Paradiso beschäftigt sich mit Sensoren, die man Ausdrucken kann genauso wie mit Gestensteuerung oder Wearables. Vieles, was in seinem Labor entwickelt wurde, wird heute bei Fitnessbändern verwendet.

Media Lab am MIT - Joe Paradiso

Zwei Stockwerke darunter hat Hugh Herr sein Forschungsreich. Wüsste man nicht, dass er Hugh Herr ist, würde man dem Leiter des Biomechatronics-Labors am Media Lab nicht ansehen, dass er mit zwei Fußprothesen durchs Leben geht. Im Alter von 17 war der Bergsteiger in einen Schneesturm geraten, musste zwei eisige Tage am Berg verbringen. Da er so schwere Erfrierungen erlitten hatte, mussten ihm beide Unterschenkel amputiert werden. Da er aber weiter sein Hobby ausüben wollte, begann er sich mit dem Thema Prothesen zu beschäftigen und gründete 2007 sein Unternehmen BiOM und hat am Media Lab sein eigenes Labor. Heute wird Herr gerne auch als „bionic man“ bezeichnet.

Von außen schon sieht man das lange Laufband in seinem Labor, das sich fast durch die gesamte Breite des Labors zieht. Die riesigen Fenster sind aber mit einer Hightechfolie beschichtet, die das Glas in Milchglas verwandeln kann, damit bei Bedarf die Privatsphäre im Inneren des Labors gewahrt bleibt. Hier entwickelt Herr mit seinem Team bionische Prothesen, die natürliche Bewegungen möglich machen. Für fast 1000 Menschen hat er eine Prothese entwickelt, darunter auch für viele US-Soldaten, und für Adrianne Haslet-Davis. Die Tänzerin war eines der Opfer des Bombenattentats des Boston Marathons vor zwei Jahren. Für sie entwickelte Herrs Team eine Prothese, die für den Tanzsport geeignet ist und mit der sie wieder ihren Beruf ausüben kann. Auf dem Laufband in seinem Labor wurden die Bewegungen einer anderen Tänzerin analysiert, um einen speziellen Algorithmus für die Tanz-Prothese zu entwickeln.

Das Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist eine ganz besondere Ausbildungsstätte, sozusagen der Heilige Gral der Technologie-Freaks, dort wollen besonders viele junge Studenten ausgebildet werden bzw. ihre Ideen realisieren.

Der Run auf das Media Lab ist gewaltig. 146 Studenten (80 Graduate/66 Phd) zählt man derzeit im Lab, im Schnitt werden nur fünf von 100 Bewerbern aufgenommen. In manchen Gruppen wird gar nur einer von hundert genommen. Jeder der Media-Lab-Studenten muss sich vorher eine Reputation erarbeitet haben und in einem der Media-Lab-Themengebiete durch ausgefallene Arbeiten oder Ideen aufgefallen sein. 25 Forschungsgruppen gibt es, von Bionics über Opera of the future bis hin zu Changing Places, der Professoren-Stab umfasst 28 Professoren und 30 Wissenschafter und Gastprofessoren.

Das Media Lab wurde 1985 von Nicholas Negroponte gegründet. Ziel ist, dass sie sich über die Zukunft Gedanken machen – auch über eine, die erst in 20, 30 oder gar 50 Jahren kommt. Wissenschafter sollten frei, was bedeutet ohne Geld- und Zeitdruck, sowie interdisziplinär forschen können. Ein Architekt sollte also nicht nur als Architekt arbeiten, sondern in den anderen Forschungsabteilungen Anknüpfungspunkte finden, von der Sensorik über den Longlife Kindergarten bis hin zu City Science. „Wer anders ist, oder wer an eine andere Universität nicht so gut hinpasst, ist ein idealer Kandidat“, sagt Katja Schechtner. „Bei uns gilt – wenn er etwas wo anders auch machen kann, ist er bei uns an der falschen Adresse. Wenn er eine seltsame, bzw. etwas andere Umgebung braucht, dann ist er hier richtig aufgehoben.“

Österreich im Media Lab

Katja Schechtner am Media Lab/MIT

Katja Schechtner ist die Österreicherin im Media Lab. Sechs Jahre schon pendelt sie als Visiting Researcher zwischen Boston, Wien und Manila, wo sie für die Asian Development Bank arbeitet, hin und her und weiß das Media Lab zu schätzen. Schechtner koordiniert Forschungsarbeiten zwischen dem MIT/Media Lab und dem Austrian Institute of Technology. Das AIT arbeitet vor allem bei Smart City-Themen mit dem Massachusetts Institute zusammen. Das Media Lab ist für Schechtner eine inspirierende Atmosphäre, in der man sich voll auf Kreativität konzentrieren könne. „Ich schlafe manchmal im Büro, weil ich mir die Zeit zum Nach Hause fahren, nicht nehmen will.“ In Österreich sei ein solches Forschen nie möglich – das Arbeitsgesetz sei ein Hindernis. Ein Wissenschafter müsse die Wissenschaft leben, dürfe nicht von Stechuhren & Co. gehindert werden.

Technologie muss Spaß machen. Auch wenn eine ausgefallene Idee kein Renner wird, so kann sie die Initialzündung für eine andere Idee sein, die nicht nur ein Erfolg wird, sondern die Welt revolutioniert.

Media Lab am MIT Stefan Seer
„Hier hat man keine Angst, etwas auszuprobieren“, sagt Stefan Seer, Der Mobility-Experte des AIT ist mehrere Monate pro Jahr in Boston und arbeitet an neuen Mobilitäts-Konzepten für die Stadt der Zukunft. „Wenn es funktioniert ok, wenn man scheitert, auch egal.“ Denn aus einer verrückten Idee kann eine andere Idee werden, mit der man dann erfolgreich ist oder die andere inspiriert.

190-Millionen-Dollar-Bau

Das sechsstöckige Gebäude wurde von Fumihiko Maki geplant und hat 190 Millionen Dollar gekostet – finanziert durch Spenden. Es umfasst 15.000 Quadratmeter und ist nicht nur ob seiner Sensorik ein Zeichen der Innovation. Die offene Architektur – das Gebäude ist bis zum vierten Stock offen – soll die Kommunikation im Media Lab ankurbeln. Ein Drittel der Fläche ist „fürs Rumsitzen“ reserviert. Jeder Student hat einen Schreibtisch und einen Arbeitstisch – zum Löten und Schrauben sozusagen.

Alles was an neuester Technologie vorhanden ist, wird zur Verfügung gestellt. Im Erdgeschoß gibt es einen Shop, in dem Materialeien, vom Lötdraht bis zum 3D-Druckmaterial gekauft werden können, bezahlt wird mit einer gemeinsamen Kreditkarte, jede Gruppe hat ihre eigene. Die Studenten können ordern, was sie brauchen und sollte tatsächlich einer zu viel verbrauchen – was praktisch nicht vorkommt – gibt es eine Rücksprache beim zuständigen Professor. Seer: „Diese Eigenverantwortung finde ich wirklich super, weil man damit auch zeigt, welches Vertrauen man in die Studenten und in ihre Forschungsarbeiten hat.“

Man sei mitunter mit Kritik anderer technischer Universitäten konfrontiert, die dem Media Lab vorwerfen, zu verspielt zu sein. Allerdings sind genau in dieser verspielten Welt erfolgreiche Produkte entwickelt worden: Das Hologramm auf Kreditkarten, das Musik-Spiel Guitar Hero, Lego Mindstorm, eInk oder das One Laptop per Child. Der Screen, auf der Tom Cruise im „Minority Report“ in den digitalen Akten gestöbert hat, wurde hier genauso entwickelt wie die Gremlins. Lenny aus dem Film ist noch immer im Roboter-Lab zu sehen. Auch Regisseure schauen regelmäßig vorbei, „Lost“-Regisseur J.J. Abrams ist sogar einer der Director’s Fellows, die von Media-Lab-Direktor Joi Ito höchstpersönlich nominiert werden.

Inmitten dieser Welt von Robotern, bionischen Prothesen, Sensoren, intelligenten Fortbewegungsmitteln und Hologrammen, fällt eine Idee besonders auf. Obwohl äußerst simpel, hat sie einen im Wegwerf-Land USA einen nachhaltigen Effekt, die Foodcam. Wer etwa Mahlzeiten in seiner Lunch-Box nicht aufessen kann, platziert (freilich nicht angebissenes) Essen direkt unter der Cam, drückt auf die „Foodcam“-Taste und informiert damit alle Studenten und auch Professoren, die auf ihrem Rechner live sehen können, was (kostenlos) angeboten wird. Per Klick kann man das Essen reserviert werden.

Kein Budgetproblem

Das Media Lab hat auch einen anderen großen Vorteil – anders als viele andere technischen Universitäten auf der Welt, muss die Führung dem Geld nicht hinterherjagen, es kommt zu ihnen. An Geldgebern mangelt es dem Media Lab nämlich nicht, es gibt eine große Liste von Sponsoren und Partnern. Wer bereit ist, eine Drei-Jahres-Partnerschaft für 300.000 Dollar pro Jahr abzuschließen, hat Zugang zu Forschungsergebnissen – bevor sie öffentlich werden. Die Liste der Partnerunternehmen liest sich wie das Who-is-Who der Unternehmer-Welt, von Google über Samung und Cisco, von Jaguar bis Gucci oder von British Telecom bis Bank of America, selbst eine Brauerei – Asahi aus Japan – ist unter den Partnern. Die etwa 80 „Consortium Lab Members“ unterstützen das Lab mit etwa 45 Millionen Euro pro Jahr. Zusätzlich können ans Lab auch noch bestimmte Forschungsaufträge übertragen werden. „Es war noch nie so leicht, Geld aufzustellen“, sagt Media-Lab-Chef Joi Ito, „Eher werden Geldgeber abgelehnt.“ Denn auf das Besondere legt man im Media Lab wert.

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