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Debatte

"Wer von Ihnen hat schon mal herumgetrollt?"

Das Thema ist so alt wie die Online-Foren selber, die Debatte darüber hat daher stets einen gewissen Retro-Charme. Warum sie dennoch immer wieder aufkocht? Weil noch niemand eine Patentlösung gefunden hat. Kern der Frage: Wo liegt die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und untragbarer Beleidigung? Wie schützt man sich vor letzterem, ohne ersters zu kompromittieren? Um hier Standpunkte und Überlegungen an einen Tisch zu bringen, lud die Initiative für Qualität im Journalismus Donnerstag Abend zur Podiumsdiskussion.

Gerlinde Hinterleitner (derstandard.at) sitzt in jener Position, in der man österreichweit am meisten mit dem Posting-Irrsinn konfrontiert wird. 20.000 Postings am Tag verzeichnet ihr Medium. Das sind im Jahr 5,8 Millionen Einträge von 60.000 unterschiedlichen Personen. Nicht nur für Österreich sei das gewaltig viel, so Hinterleitner, es bewege sich in den Dimensionen der Huffington Post. Bislang wurde dieses Volumen täglich von fünf bis sechs Community Managern beackert, aber das reiche absolut nicht aus. Hinterleitner: "Unsere Foren sind die bestmoderierten Foren in Österreich, aber es ist immer noch zu wenig!" Denn, ja: Es gibt ein Problem. Bei derstandard.at wurde daher mit Beginn des Monats auf zehn Community-Manager aufgestockt, eine neue Richtlinie soll darüber hinaus dafür sorgen, dass sich sämtliche Redakteure stärker in den Foren einbringen. Den angestrebten Effekt sieht man inzwischen an internationalen Beispielen: Sobald sich der Autor eines Artikels einmischt, ändert sich die Tonalität im Forum. Sofort. Hinterleitner: "Ich denke, es ist wichtig, nicht eine posting-zentrierte Moderation zu machen, sondern eine user-zentrierte." Es gelte, sich mit den "Menschen hinter den Postings" zu beschäftigen. "Aber Sexisten und Rassisten muss man konsequent rauswerfen."

Kein Forum für Sexismus und Rassismus

Auch für Puls4-Infochefin Corinna Milborn ist hier eine Grenze erreicht. Man könne als Medium fast nicht mehr gegen diese Missstände anschreiben, denn in den Foren unter solchen Artikel würde mehr "Rassismus publiziert als man an Anti-Rassismus im Artikel überhaupt unterbringen kann." Milborn definiert User-Kommentare als "Publikationen im selben Medium", somit schadeten menschenverachtende Kommentare unweigerlich der Reputation. "Am schlimmsten erlebe ich das bei der Presse. Der Tonfall im Forum lässt sich nicht mehr mit dem Anspruch als Qualitätsmedium vereinbaren."

Schmerzhaft empfindet Milborn Kommentare, wie sie etwa unter einem Standard-Artikel über Menschenhandel mit Frauen aus dem Niger zu lesen waren. Credo: "Menschenrechte muss man sich erst verdienen." Insbesondere, wenn persönliche Schicksale im Mittelpunkt der Berichterstattung stünden, müsse man bei Hass-Postings sofort eingreifen. "Natürlich sind diese Menschen tief verletzt, wenn sie lesen müssen, wie der Durchschnittsposter über sie denkt." Sie selber schaue auch nur noch dienstags auf diestandard.at. Da ist nämlich "forumsfreier Tag" und man ist vor sexistischen Trollen gefeit.

Dass Sexismus ein typisches Foren-Phänomen ist, weiß auch Ingrid Brodnig (Falter): "Es gibt eine anti-feministische Bewegung, die die gezielt das Internet als Kanal nützt, weil sie mit ihren radikalen Standpunkten bei herkömmlichen Medien nicht landen kann." Der gemeinsame Hass hätte etwas unheimlich Zusammenführendes, er sei sozialer Kitt, der diese Gruppen zusammenschweißt.

Außerdem: Blödheit und Hass in Foren ist ansteckend. "Wer hier eintritt, der lasse alle Hoffnung fahren. Das Forum wird einen durchdringen, erzürnen, wird einen auf eigene Abgründe treffen lassen", schrieb jüngst die Autorin Julya Rabinowich und gab damit den Anstoß zur aktuellen Debatte. "Wer von ihnen hat schon mal herumgetrollt?" fragt die Moderatorin das Publikum. Vermutlich jeder. Aber niemand zeigt auf.

Eindeutige Identität als Lösung?

International gibt es inzwischen einige Zeitungen, die gegen die Anonymität ihrer User vorgehen. Zunehmend beliebt ist dabei die verpflichtende Registrierung via Facebook. Studien geben dem Ansatz recht, die Forenkultur wird dadurch besser. Brodnig: "Langfristig ist das aber keine Lösung, weil dann einfach ganz viele Leute nicht mehr posten. Und man schließt alle aus, die aus Überzeugung nicht bei Facebook sind." Auch Hinterleitner lehnt diesen Weg ab: "Ich finde, es ist Wahnsinn, wenn ein Medium seine Userdaten auf diese Art auslagert. Sowas Absurdes! Das sind meine Leser und die schicke ich an Facebook? Das geht gar nicht. Noch dazu wegen so etwas Lächerlichem wie Klarnamen!" Die Zweckhaftigkeit stellt auch Milborn in Frage: "Ich werde mit Namen auf Facebook genauso viel beleidigt, wie anonym auf derstandard.at – das hält sich total die Waage.“

Bei der Kleinen Zeitung ist die Registrierung im Forum an die Handynummer gekoppelt. Chefredakteurin Eva Weissenberger: "Als wir das eingeführt haben, ist zwar die Hälfte aller Postings weggefallen, aber der Ton hat sich nicht gebessert." Dennoch spricht sie sich für eine strengere Hand aus; bei Leserbriefen würden die Absender schließlich auch verifiziert, es würde kontrolliert, ob sie eine politische Funktion innehaben etc. Ergo: Warum nicht bei Postings?

Hinterleitner lässt das nicht gelten. Ein Posting sei kein Leserbrief, sondern ein Dialog. "Es war bislang unser Fehler, dass wir von redaktioneller Seite her nicht genug in den Dialog eingestiegen sind. Das wird sich ändern." Es sei Aufgabe eines Mediums, eine Diskursplattform zur Verfügung zu stellen, zumal es unglaublich viel Expertise und Know-How unter den Lesern gäbe. "Dem muss man Raum geben. Ein Medium, das das nicht tut, wird diese Revolution nicht überleben.“

Niemand liest ein politisch-korrektes Forum

Man müsse die Frage stellen, woher die Forderung nach Klarnamen kommt, wem sie denn etwas nütze und welche Auswirkungen sie – selbst in kleinem Rahmen – für "Whistleblower" hat. Milborn: "Anonymität schafft hierarchiefreien Raum. Es ist schon auffällig, dass die, die Klarnamen fordern, meistens jene sind, die in der Hierarchie weit oben stehen und es sich leisten können.“ Weniger von der gesellschaftspolitischen Seite, dafür aus der Perspektive der Medienmacherin sieht das Gerlinde Hinterleitner: "Ich hab nichts davon, wenn ich ein politisch-korrektes Forum habe. Das liest ja keiner, weil das ist uninteressant!"

So locker sieht das Ingrid Brodnig nicht. In vielen Foren würden demokratische Grundhaltungen massiv verletzt. "Wir werden in Zukunft demokratische Prozesse online aushandeln. Darum ist es wichtig, zu überlegen: Schafft das Forum diesen demokratischen Diskurs oder nicht?" Es wäre höchste Zeit, hier Verantwortung zu übernehmen.

Wenn die Debattenkultur im Web selber Thema einer Debatte wird, geht es bei dieser auch nicht zivilisierter zu als in den derzeit wieder einmal massiv in Kritik geratenen Online-Foren. Sind diese nun "Habitate der Schwarmbosheit" (wie die Wiener Zeitung schreibt) oder regt der – oft rauhe – Umgangston nur "Wichtigmacher und Innen" auf, "die alles menschenverachtend und rechtsextrem finden, was nicht im Bobostan-Grundgesetz steht" (Michael Fleischhacker in seiner Kolumne)?

Wie das Amen im Gebet fällt dann auch immer der Begriff "Klarname". Menschen pöbeln im Schutz der Anonymität mehr, lautet das Argument der Befürworter. Dass es aber ausreichend Gegenbeispiele gibt, dass in anonymen Foren oft sehr respektvoll, hingegen in Foren mit "Ausweispflicht" durchaus auch untergriffig gepostet wird, führen die Gegner ins Feld.

Die Journalistin Ingrid Brodnig setzt sich in ihrem aktuellen Buch mit dieser Fragestellung auseinander ("Der unsichtbare Mensch. Wie die Anonymität im Internet unsere Gesellschaft verändert", erscheint im Jänner 2014 im Czernin-Verlag). Wir haben bei ihr nachgefragt.

KURIER: Welchen Effekt hat eine Klarnamen-Policy in Foren? Bessert sich dadurch das Klima in einer Community?

Brodnig: Sind Klarnamen die Lösung? Nicht unbedingt. Der springende Punkt ist nämlich, dass es gelindere Mittel gibt, um für einen guten Ton im Onlineforum zu sorgen. Entscheidend ist Moderation: Es ist wichtig, dass Onlinemedien Verantwortung für ihren Ton im Forum übernehmen und eingreifen, wenn Beleidigungen und Untergriffe kommen. Das passiert leider viel zu selten. Beleidigungen bleiben unkommentiert und ungelöscht und das führt dazu, dass konstruktive Stimmen leiser werden oder verstummen. Die Debatte um Klarnamen lenkt vom eigentlichen Problem ab: In vielen Foren wird viel zu wenig moderiert und zugeschaut, wie einzelne Trolle das Wort an sich reißen.

Den Wunsch nach einem konstruktiven Forum, in dem Poster respektvoll miteinander umgehen, haben alle. In Österreich scheitern aber so gut wie alle daran. Woran liegt das?

Gute Moderation kostet Geld, daran scheitert es sehr oft. Dieses Geld fließt einerseits ins Personal, das die Kommentare liest und eingreift, ehe der Ton zu aggressiv wird. Andererseits braucht es auch Geld für technische Entwicklung: Es gibt mittlerweile Tools und Mechanismen, um möglichst spannende Wortmeldungen sichtbarer zu machen und weniger Konstruktives in den Hintergrund zu drängen. Das ist entscheidend: Wir sollten nicht immer nur über die sogenannten „bösen Poster“ reden, sondern vor allem die Frage stellen: Wie machen wir die guten Poster, also die konstruktiven User sichtbarer? Wenn man solche lesenswerten oder eloquenten Wortmeldungen in den Vordergrund rückt, ist das das richtige Signal. Damit stellt man jene in die Auslage, die das verdient haben.

Gibt es ein Best Practice Beispiel im deutschsprachigen Raum, an dem man sich orientieren kann?

Der deutschsprachige Raum hinkt hier noch hinterher. Die Onlineredaktion Zeit.de leistet sich aber zum Beispiel eine sehr gute Moderation, da wird wirklich jeder Kommentar gelesen.

Hat sich schon einmal jemand ausgerechnet, was ein sinnvoller Betreuungsschnitt wäre? Quasi: Wieviele Poster pro Moderator, damit es klappt?

Da gibt es noch keinen fixen Schlüssel: In Wahrheit stehen wir bei dieser Fragestellung erst ziemlich am Anfang, aber das Tolle ist, dass sich derzeit viel tut. Viele Zeitungen investieren in der letzten Zeit zunehmend in Moderation oder probieren neue technische Lösungen aus. Da findet ein Umdenken in der Branche statt: Immer mehr Onlinemedien wollen aktiv gegen die Trolle in ihrem Forum vorgehen. Eine Zahl, die interessant ist: Zeit.de, also die Onlineausgabe der deutschsprachigen Wochenzeitung, leistet sich zwei Community-Redakteure und 12 Moderatoren, die sich sämtliche Kommentare ansehen und auch einen Grund angeben, wenn sie etwas löschen.

Trotz allem stellt sich die Frage: Warum wird online so viel mehr getrollt als offline? Kaum jemand würde an der Billa-Kassa die Kassierin ohne Anlass beleidigen. Im Web ist so ein Verhalten Alltag.

Dazu gibt es großartige psychologische Erklärungen. Eine ist der „Online Disinhibition Effect“, die sogenannte Online-Enthemmung. Sie erklärt, warum Menschen online oft aggressiver werden, Dinge in Chats und Foren niederschreiben, die sie niemals jemanden ins Gesicht sagen würden. Die Anonymität ist bei dieser Online-Enthemmung ein Faktor, wichtig ist aber zum Beispiel auch die sogenannte „Unsichtbarkeit“. Soll heißen: Wenn ich am Computer sitze und mit jemandem online leidenschaftlich streite, dann sehe ich mein Gegenüber nicht. Dadurch fehlen non-verbale Signale, die mir sofort zu erkennen geben, wenn ich jemanden zutiefst verletze oder zu privat werde. Der Augenkontakt hat zum Beispiel nachweislich eine hemmende Wirkung. Wenn man jemanden in die Augen schaut, sagt man vielleicht nicht: Du Arschloch!

Als "Heilsversprechen" werden derzeit Reputations-Systeme gehandelt, wie sie beispielsweise die New York Times verwendet. Hilft das?

Ja, Reputationssysteme sind sicher ein guter Ansatz, aber es gibt noch keine Patentlösung, wie man das technisch am besten umsetzt. Zum Beispiel funktioniert es nicht, nur rote Striche zu verteilen, denn oftmals fühlen sich Trolle durch diese roten Striche erst recht bestätigt. Im Kern geht es darum, Algorithmen und Mechanismen zu entwickeln, um die Störenfriede zurückzudrängen und interessante Postings hervorzuheben. Derzeit werden Kommentare meist chronologisch gereiht, das neueste Posting erscheint dann ganz oben. Das ist allerdings oft ein Unsinn. Warum sollte ausgerechnet das letzte Posting jenes sein, das am lesenswertesten ist? In meinem Buch bringe ich Beispiele, wie man es anders machen könnte.

Stichwort: "Don't Feed The Trolls". Ist das der richtige Ansatz? Wie soll ich mich persönlich verhalten, wenn ich attackiert werde?

Das Schlimmste für einen Störenfried ist, wenn er keine Aufmerksamkeit bekommt. Deswegen ist es sicherlich eine gute Strategie, Trolle einfach zu ignorieren. Oft gehen sie dann woanders hin, wo sie Opfer finden, die sich sichtbar aufregen. Die Schadenfreude treibt Trolle quasi an. Aber ich warne davor, „Don’t Feed The Trolls“ als Patentlösung zu sehen: Denn manche Untergriffe sind einfach so bösartig und verlogen, dass man notgedrungen reagieren muss. In solchen Fällen bräuchte es mehr Verantwortung von den Forenbetreibern. Die Opfer von Trollen sollen nicht allein im Regen stehen gelassen werden. Mehr und mehr wird das auch zum Thema, das Unrechtsbewusstsein wächst.

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Nicole Kolisch

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