Der Sprung von der Bühne ans Pornoset ist laut Simonian gar nicht so groß.
Der Sprung von der Bühne ans Pornoset ist laut Simonian gar nicht so groß.
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Erotik

Opernsängerin produziert Pornos: "Aufgeilen ist mir zu wenig"

Kann es eine Alternative zur Mainstream-Pornografie geben und würde das überhaupt jemanden interessieren? Diese Frage beschäftigt Adrineh Simonian seit über zwei Jahren und führte letztlich dazu, dass die Sängerin mit armenischen Wurzeln ihre Opernkarriere an den Nagel hing. Simonian, die über 15 Jahre lang mit großen Rollen wie Carmen und Cenerentola etwa an der Wiener Volksoper auf der Bühne stand, musste sich den Umgang mit der Videokamera sowie Filmschnitt- und Post-Production-Kenntnisse in mühevoller Kleinarbeit erst selbst aneignen.

Weibliche Pornografie

Nach längerer Vorbereitungszeit war es Anfang Jänner soweit. Die Plattform Arthouse Vienna, die einen „feministischen und ästhetischen Zugang zur Pornografie“ verspricht, ging online. „Feministisch bedeutet für mich, dass ich das ganze aus der Sicht einer Frau, aus meiner Sicht angehe. Geschlechtsteile in Nahaufnahme zu zeigen, ist fad. Jeder weiß ja, wie das aussieht. Mich interessieren mehr die Psychologie der Sexualität und der authentische Selbstausdruck beim Sex“, sagt Simonian im futurezone-Interview.

Mit ihrer Ansage, die Pornografie neu definieren zu wollen, ist Simonian nicht allein. Feministische Film-Produzentinnen wie Erika Lust und Petra Joy sind seit längerem gut im Geschäft. „Natürlich schauen auch Frauen Pornos. Ich denke aber, dass sie mit den von Männern gemachten Mainstream-Produktionen, die mit der Realität von Sexualität nichts gemein haben, meist wenig anfangen können. Aber auch immer mehr Männer wünschen sich einen alternativen Zugang“, ist Simonian überzeugt.

Feministische Dogmen

Strenge Dogmen, die einige der genannten feministischen Filmemacherinnen aufgestellt haben, befolgt Simonian nicht. „Natürlich werde ich ein erniedrigendes Verhalten gegen den Willen eines Darstellers oder einer Darstellerin nicht zulassen. Wenn eine Frau aber kein Problem damit hat, wenn der Mann auf ihren Körper ejakuliert, dann soll man das auch zeigen dürfen. Bei den bisherigen Produktionen gab es diesbezüglich von mir keine Anweisungen. Jeder kann vor der Kamera machen, was er oder sie mag.“

Adrineh Simonian
Dass das Portal vor allem auch Frauen ansprechen soll, obwohl in vielen der derzeit verfügbaren Clips keine Männer vorkommen, sieht die Filmproduzentin nicht als Widerspruch. „Wenn ich ehrlich bin, empfinde ich die Sexualität einer Frau im Moment interessanter, weil wir Frauen im Rahmen unserer Emanzipation erst jetzt so richtig lernen, mit unserer Lust und Sexualität offen umzugehen.“ Mit steigender Bekanntheit des Portals hofft sie, auch ältere Frauen über 50 oder 60 für ihre Produktionen gewinnen zu können, da diese sicherlich einen ganz anderen Zugang zu Sexualität hätten als eine 20- oder Anfang-30-Jährige.

Opernbühne vs. Porno-Set

Unter Freunden und ehemaligen Gesangskollegen seien die Reaktionen auf ihre neue Tätigkeit bisher überwiegend positiv ausgefallen. „Ich persönlich empfinde den Sprung von der Opernbühne ans Pornoset überhaupt nicht groß. Für mich war es immer das wichtigste, auf der Bühne Emotionen so authentisch wie möglich erlebbar zu machen. Um genau diese Authentizität geht es mir jetzt auch. Darum arbeite ich auch nicht mit professionellen Darstellern, sondern mit normalen Menschen, die mit der Kamera sonst nichts am Hut haben“, erklärt Simonian.

Den künstlerischen Anspruch abstreifen kann die ehemalige Opernsängerin bei ihrer Auseinandersetzung mit der Pornografie aber ohnehin nicht. Mehrere Filmreihen experimentieren mit einem besonderen Setting. In der Blackbox etwa werden die Darsteller in einem leeren, behutsam ausgeleuchteten Raum mit den Kameras und ohne explizite Regieanweisung alleingelassen. Eine Kran-Kamera filmt statisch von oben, zwei weitere von der Seite. Aus dem aufgenommen Material schneidet Simonian anschließend den Clip.

Künstlerisch, experimentell

Eine weitere Serie namens Blind Date, aus der derzeit nur ein Filmclip online gestellt wurde, lässt zwei Menschen mit verbundenen Augen aufeinandertreffen, die sich noch nie in ihrem Leben begegnet sind. Ohne miteinander reden zu dürfen oder sich sehen zu können, sollen die beiden Personen ihre Körper und Sexualität in dieser außergewöhnlichen Situation vor der Kamera ausloten. Interviews mit den Personen vor dem Akt, der aber auch nicht per se stattfinden muss, geben dem Zuseher Einblick in die Persönlichkeit der Darsteller.

Leute zu finden, die sich auf solche Experimente einlassen, sei tatsächlich auch die größte Hürde gewesen, gibt Simonian zu. Neben der Furcht, erkannt zu werden – auf Wunsch der Darsteller wird das Gesicht ausgeblendet – hätten vor allem Frauen Bedenken gehabt, dass ihre Körper einfach nicht schön oder schlank genug seien. „Ästhetik hat für mich nichts mit Topmodel-Maßen zu tun. Sie wird in meinen Produktionen vielmehr durch die Intimität der Situation erreicht. Dass man als Zuseher in diese sehr persönliche Atmosphäre eintreten darf, macht den Reiz für mich aus“, sagt Simonian.

„Aufgeilen ist mir zu wenig“

Plattformen wie Makelovenotporn von Cindy Gallop, auf der User ihre Aufnahmen von realem Sex als Kontrast zur verzerrten Darstellung in pornografischen Videos hochladen können, findet Simonian zwar spannend. Den Upload von wackeligen, schlecht ausgeleuchteten User-Homeclips sieht sie aber zwiespältig: „Mir persönlich ist das zu wenig. Solche Clips mögen vielleicht aufgeilend sein, aber genau darum geht es mir ja nicht. Ich will zeigen, was passiert mit dem Menschen, wie erlebt er den Sex, was passiert mit den Augen, mit dem Gesicht. Wie kann der Raum, das Licht dazu beitragen, dass man daran Anteil nimmt?“

Derzeit steht das Portal sowohl von der Bekanntheit, als auch von den angebotenen Clips am Anfang. Die meisten Videobeiträge kosten zwischen 2,50 und 3,90 Euro, der erste Film aus der Blind-Date-Reihe kann um 8,20 Euro heruntergeladen werden. Ab März wird zudem ein Schreibblog auf der Seite integriert. Die bestehenden Clipreihen werden ständig erweitert. Mit „Let’s fuck porn“ wird die Filmemacherin in Kürze mit der Produktion einer neuen Reihe starten, die in besonderen Settings in Szene gesetzt wird und zumindest nach einem losen Drehbuch mit Regieanweisungen gefilmt wird. Sobald die Seite genug Material anbieten kann, möchte Simonian auf ein Flatrate-Modell umstellen.

Persönlicher Erfolg

Ungeachtet dessen, ob der ambitionierte Plan aufgeht, die Pornografie und somit auch die Branche neu zu definieren, empfindet Simonian den eingeschlagenen Weg schon jetzt als persönlichen Erfolg. „Der Sängerberuf ist in Wahrheit ein einsamer Beruf. Damit derart intime Filmsituationen mit unbekannten Menschen überhaupt möglich sind, muss man mit offenen Armen und Respekt aufeinander zugehen. Dass mir als misanthropisch veranlagtem Menschen das gar nicht so schwer gefallen ist und mir im Gegenzug so viel Vertrauen entgegengebracht wurde, hat mich sehr überrascht und auch berührt“, sagt Simonian zur futurezone.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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