© Screenshot

Entwicklung

SMS: Der Anfang vom Ende einer Ära

“Wir wollen eine bessere Alternative zu SMS bauen. Weil eines Tages jeder ein Smartphone haben wird.” Die beiden Ex-Yahoo-Ingenieure Jan Koum und Brian Acton haben Großes vor und schicken sich an, eine fast 20 Jahre alte, aber nach wie vor unglaublich populäre Technologie abzulösen. Mit ihrer Handy-Software “WhatsApp” (die futurezone berichtete

und
) erlauben sie Nutzern das unbegrenzte Verschicken von Kurznachrichten, Fotos, Videos und ihren Standort über mobiles Internet. iPhone-Nutzer zahlen dafür einmal 79 Cent, Besitzer von Android-, Nokia- und RiM-Handys im ersten Jahr gar nichts. Die Einschränkungen: Der Empfänger muss ebenfalls WhatsApp am Mobiltelefon installiert haben, und die Kosten für die Datenübertragung tragen natürlich die Nutzer.

Sieht so die Zukunft von SMS aus? Die Riesen der IT-Branche gehen jedenfalls davon aus: In Apples kommendem mobilen Betriebssystem iOS 5, das ab Herbst iPhones und iPads antreiben wird, ist mit “iMessage” eine Funktion an Bord, die ähnlich wie WhatsApp den Versand von Kurznachrichten, Fotos und Videos und Aufenthaltsorten an etwa 230 Millionen andere iOS-Nutzer erlaubt. Für Android-Handys (derzeit mehr als 130 Milionen weltweit) bringt Google “Huddle” als Chat-App in Stellung - genauso, wie Facebook für die mehr als 250 Millionen Nutzer seiner Handy-Apps einen Gruppen-Chat anbieten wird (wofür sonst hätte man die Web-Firma Beluga im Jänner aufgekauft?). Vom 140-Zeichen-Dienst Twitter mit 200 Millionen verschickten Tweets pro Tag ganz zu schweigen.

IT-Konzerne gegen Mobilfunker
“Das große Match lautet ganz klar: Google und Apple gegen die Mobilfunker”, sagt Martin Pansy, Geschäftsführer der Grazer Web-Firma sms.at. “Dienste wie iMessage sollen die Position der Handy-Betreiber schwächen.” So wie Apple, Google und Facebook derzeit im Bereich des Videochats vorpreschen (die futurezone berichtete

), wollen sie den Handy-Betreibern auch im Reich der 160 Zeichen die Vorherrschaft streitig machen. Denn “Short Message Services” sorgen in der Mobilfunk-Branche für gewaltige Gewinne. “In den USA machen die Mobilfunker 25 Prozent ihres EBITDA (Gewinn vor Steuer und Abschreibungen, Anm.) mit SMS”, so Pansy. Das Bedürfnis, kurze Botschaften an andere Menschen zu verschicken, würde sich nicht ändern - die Technologie dahinter, und wer damit Geld verdient, aber schon.

Denn die globalen Marktzahlen sind gewaltig: Dem britischen Marktforschungsunternehmen Portio Research zufolge werden 2011 weltweit mehr als 200 Milliarden Dollar (mehr als 140 Mrd. Euro) mit den so genannten Mobile-Messaging-Diensten gemacht, davon 127 Mrd. Dollar mit SMS. “Aber es gibt Zeichen, dass SMS eines Tages nicht mehr König der mobilen textbasierten Kommunikationswege sein wird”, heißt es in dem Report. Ab 2012 würden die Umsätze mit SMS stagnieren, während die Umsätze mit mobilen Messaging-Diensten insgesamt bis Ende 2015 auf 334.7 Mrd. Dollar (236 Mrd. Euro) anwachsen werden. Die großen Gewinner könnten dann nicht die Telcos, sondern heutige Kleinunternehmen wie WhatsApp oder Hardware-Hersteller wie Apple sein.

Das erste Opfer
Dass Konsumenten vermehrt IP-basierte Messaging-Dienste zu Lasten von SMS nutzen, zeigte sich erstmals in den Niederlanden. Der dort führende Mobilfunker KPN Netherlands (in Deutschland mit der Tochter E-Plus vertreten) sprach im Mai von “dramatisch” fallenden SMS-Umsätzen (minus zehn Prozent) im ersten Geschäftsquartal 2011. Der Rückgang wurde in erster Linie auf die steigende Popularität von Diensten wie WhatsApp und BlackBerry Messenger zurückgeführt, bei denen Kurznachrichten nicht als einzel verrechenbare SMS, sondern über mobiles Internet verschickt werden.

In Österreich schlagen sich Messaging-Dienste wie WhatsApp noch nicht in den Umsatzzahlen der Mobilfunker nieder - wohl auch, weil SMS-Kosten hierzulande anders als in Märkten wie Deutschland oder Spanien in Tarifpaketen verschwinden und in 1000er-Mengen pauschal vergeben werden. “Derzeit ist aufgrund der sehr guten Entwicklung der SMS-Zahlen keine Auswirkung von sozialen Netzwerken oder Messaging-Diensten bemerkbar”, sagt Gregor Wagner vom Forum Mobilfunkkommunikation, der Interessenvertretung der österreichischen Mobilfunkbranche. “Die Mobilfunkbetreiber hätten aber auch keine Möglichkeit, dies zu kontrollieren.” Wagner räumt aber auch ein, dass der Aufwärtstrend (plus 10,3 Prozent versendete SMS gegenüber dem Vorjahr) “auf hohem Niveau verflacht.”

Die wahren Kosten
Sollten sich WhatsApp und Co. flächendeckend durchsetzen, könnte den Mobilfunkern ihre “Cashcow” abhanden kommen. SMS trägt seit fast zwei Jahrzehnten wesentlich zu den Einkünften der Handy-Betreiber bei. Brancheninsidern zufolge, die nicht genannt werden wollen, haben die Mobilfunker 100 Prozent Marge auf SMS. Das Verschicken im eigenen Netz koste sie nichts, und das Senden in die Netze der Konkurrenz sei ein Nullsummenspiel, da meist genauso viele SMS ein- wie ausgehen.

Wer in Österreich sein SMS-Kontingent aufbraucht, zahlt im Schnitt etwa 25 Cent pro zusätzlicher Kurznachricht. Pro Short Message werden maximal 140 Byte (1120 Bit, Techvibes-Artikel dazu hier) an Daten verschickt. Zum Vergleich: Heimische Mobilfunker verrechnen im Schnitt pro zusätzlichem verbrauchtem Megabyte über der im Tarif beinhalteten Menge derzeit etwa 17 Cent - und mit einem Megabyte könnte man auch rund 7490 SMS verschicken. In Zukunft wird sich also der Anbieter durchsetzen, der nicht pro Nachricht oder SMS-Paket Gebühren einhebt, sondern das attraktivste Service bereitstellt. Für dieses sind immer mehr Kunden gewillt zu zahlen - etwa jene mehr als 15 Millionen Konsumenten, die sich WhatsApp aufs Handy geladen haben.

Mehr zum Thema

Short Message Service: Erste Überlegungen zur Errichtung eines Textnachrichtensystems über das Telefonnetz gab es bereits 1984 in Europa, die Deutsche Bundespost und die PTT (Vorläufer der France Télécom) erarbeiteten ein erstes Konzept. Die technische Umsetzung übernahm dann die norwegische Telenor und schließlich die britische Vodafone, über deren GSM-Netz am 3. Dezember 1992 die erste SMS verschickt wurde.

Die 160-Zeichen-Nachrichten wurden anfangs gratis zusätzlich zur Mobiltelefonie angeboten, erst nach dem überraschenden Erfolg begannen die Mobilfunker, für SMS Gebühren zu erheben. 2011 werden weltweit voraussichtlich acht Billionen (12 Nullen) SMS verschickt. In Österreich wurden 2010 6,4 Mrd. SMS versandt.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Jakob Steinschaden

mehr lesen
Jakob Steinschaden

Kommentare