Tumblr: Ein Teenie-Blog wird politisch
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Tumblr: Ein Teenie-Blog wird politisch

Tumblr: Ein Teenie-Blog wird politisch

Wenn man im vergangenen Jahr im Web über irrwitzige Sammlungen zu noch irrwitzigeren Themen gestolpert ist, dann steckte mit großer Wahrscheinlichkeit der Blogging-Dienst Tumblr dahinter, den der New Yorker David Karp 2007 gründete. Die skurrilsten Sager der iPhone-Sprachsteuerung Siri? Nordkoreanische Staatschefs beim Anglotzen von Dingen? Chinesen, die unabsichtlich wie New Yorker Hipster gekleidet sind? Tumblelogs wie Shit That Siri Says, Kim Jong Il Looking At Things (und sein Nachfolger Kim Jon Un Looking At Things) oder Accidental Chinese Hipsters bieten schnelle Unterhaltung in vielen Bildern und wenigen Worten - ideal für die Nutzerschaft von Tumblr, die zu 42 Prozent aus den USA stammt und zu 50 Prozent unter 25 Jahren alt ist.

Tumblelogs werden erwachsenDoch unter die etwa 60 Millionen Blogs (Tumblr hat seit einem Jahr mehr Blogs als Wordpress.com) und bis dato 25,2 Milliarden Postings mischen sich zunehmend politische Inhalte. Barack Obamas Wahlkampfteam hat die etwa 60 Millionen User große Nutzerschaft bereits für sich erschlossen und zeigt den Social-Media-Präsidenten unter http://barackobama.tumblr.com als volksnahen Wahlkämpfer mit Humor und viel Gefühl (inklusive Hundefotos und Instagram-Schnappschüssen).

Doch Tumblr dient nicht nur Politikern als weiterer Social-Media-Kanal neben Facebook, YouTube und Twitter. Unter die unzähligen Lolgifs, Meme-Variationen und Tierfotos des oft als Teenie-Blog abgestempelten Web-Dienstes mischen sich zunehmend kritische Meinungen. Eine beliebte Disziplin ist die Politiker-Persiflage: Neben Kim Jong Il bekommen etwa die US-Außenministerin (Texts from Hillary Clinton) oder der russische Präsident (Uncomfortable Moments with Putin) ihr Fett weg.

Folgen, rebloggen, favorisierenWas Tumblr bei vielen Nutzer so beliebt macht, ist, dass der Dienst die Stärken von Weblogs mit jenen des Social Web vereint. Design und Layout eines Tumblelogs sind relativ frei gestaltbar (siehe weiter unten) und können nach außen wie eine eigene Webseite mit eigener URL betrieben werden. Ein Tumblelog ist aber auch nach innen in der Community wirksam, können Einträge (Text, Foto, Video, Link, Audio) doch von anderen Nutzern kommentiert, weitergeleitet (reblog) und favorisiert (mit einem Herz markieren) werden. Grundsätzlich funktioniert Tumblr nach dem Follow-Prinzip, mit dem man andere Blogs im sogenannten Dashboard abonnieren kann - Twitter lässt grüßen.

Diese Social-Media-Funktionen können auch bei Tumblr virale Effekte auslösen - bestes Beispiel ist der Tumblelog Visible Children des kanadischen Studenten Grant Oyston. Sein Eintrag We Got Trouble übte harsche Kritik an der Social-Media-Kampagne KONY 2012 und verbreitete sich auf Tumblr wie ein Lauffeuer (38.600 Kommentare, Reblogs, etc.). Das wiederum löste eine internationale Protestwelle und tausende Medienberichte über die Praktiken der fragwürdigen Hilfsorganisation aus.

(Weitgehend) frei gestaltbarEin Tumblelog ist wie im Falle von Visible Children in wenigen Minuten aufgesetzt und kann schnell mit Inhalten befüllt werden. So ist es möglich, einen Blog gemeinsam zu führen und Einreichungen von externen Quellen entgegenzunehmen. Vorzelebriert hat das der Tumblr We Are The 99 Percent, auf dem tausende Lebensgeschichten von betroffenen US-Bürgern veröffentlicht wurden und der zum Hauptsprachrohr der Occupy-Bewegung wurde.

Anders als eine Facebook-Seite mit ihrer vorgegebenen Gestaltung ist ein Tumblelog relativ frei gestaltbar: Dutzende kostenfreie bzw. kostenpflichtige Templates können mit wenigen Klicks eingerichtet werden, und Spezialisten richten sich das Layout per HTML nach ihren eigenen Vorstellungen ein. Hat man eine eigene Domain, kann man die xyz.tumblr.com-Adresse durch diese ersetzen, und blendet man die kleinen Tumblr-Schaltflächen rechts oben aus, merkt ein Besucher gar nicht mehr, dass er gerade bei Tumblr zu Besuch ist. Im Hintergrund sorgen Verknüpfungen zu Twitter und Facebook sowie ein RSS-Feed dann trotzdem dafür, dass sich die Beiträge im Social Web verbreiten. Auch Google Analytics oder das Kommentar-System von Disqus sind schnell eingebaut.

Anonymität und Porno erlaubtWas viele Nutzer von Tumblr ansprechen dürfte, sind die vergleichsweise liberalen Nutzungsbedingungen. Während bei Facebook Klarnamenpflicht und Nippel-Verbot herrschen, werden bei Tumblr pornografische Inhalte (Blogs werden mit “Not Safe For Work”, kurz NSFW, gekennzeichnet) und Pseudonyme toleriert - letzteres wohl ein Grund, warum sich auch die Anonymous-Aktivisten von AnonNewsAUT und AnonNewsDE bei Tumblr eingefunden haben.

Doch auch wenn man bei Tumblr der Ansicht ist, dass “Hass nicht durch Zensur, sondern durch Worte bekämpft werden sollte”, hat die Freiheit ihre Grenzen. Copyright-Veretzungen, “böswilliger Fanatismus”, die “Förderung und Glorifizierung von selbstschädigendem Verhalten” und “blutige Inhalte” sind Löschungsgründe und können mit IP- und Account-Sperren - auch ohne Vorwarnung - geahndet werden.

“Nur geborgt”Dass Tumblr auf der einen Seite sehr frei, auf der anderen aber so wie jeder andere Social-Media-Dienst eine zentrale Plattform mit all ihren Nachteilen ist, darauf weist auch der deutsche Blogger Sascha Lobo hin: „Nur ein Blog gehört dir“, sagte er im Rahmen der

-Konferenz. “Das ganze Social-Media-Zeugs ist nur geborgt.“

Das könnte mittelfristig zum Problem werden: Tumblr zählt neben Spotify, Dropbox, Evernote und Pinterest derzeit zu den prominentesten Übernahme-Kandidaten und könnte bereits auf der Liste von Google oder Facebook stehen. Und sollte vor allem letztere Firma Tumblr-Gründer David Karp seinen Preis nennen, dann wäre es mit der Freizügigkeit der Inhalte wohl schnell vorbei.

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Finanzierung: Neben dem Verkauf von Templates will Tumblr seit Mai 2012 auch mit Werbung Geld verdienen. Mit "Tumblr Radar" bzw.  "Tumblr Spotlight" (ab 25.000 Dollar) kann man ganze Blogs bewerben. Einzelne Einträge können Nutzer um 2 Dollar in den Streams optisch hervorheben.

Konkurrenz aus Österreich: Mit Soup.io hat Christopher Clay von Wien aus einen Tumblr-Rivalen aufgebaut. Der Erfolg von Tumblr hat den Dienst allerdings unter Druck gesetzt, weswegen Clay mit

soup.me(die futurezone berichtete) einen neuen Weg in Richtung Visualisierung von Online-Content eingeschlagen hat.

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Jakob Steinschaden

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