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Interview

Twitter: "Wir sind kein Social-Media-Service"

Vor etwa einem Jahr ist Twitter in sein neues Zuhause in der Market Street 1355 in San Francisco umgezogen. Seither breiten sich die Mitarbeiter im Headquarter der Social-Media-Plattform dort über drei Stockwerke aus und genießen an warmen Tagen die Aussicht von der begrünten Dachterrasse quer über die Stadt hinweg. Wenngleich Tenderloin, das Viertel in dem sich Twitter hier niedergelassen hat, nach wie vor als Problemzone mit hoher Kriminalitätsrate in San Francisco gilt, setzt auch hier langsam ein Gentrifizierungsprozess ein. Nach Twitter wird sich nun auch bald der Bezahldienst Square in der Nachbarschaft ansiedeln, wie Karen Wickre der futurezone bei einem Rundgang durch das Twitter-Büro erzählt.

Schlicht und elegant
Dieses wirkt - natürlich inklusive der typischen Merkmale und Annehmlichkeiten eines Westküsten-Start-ups - durchaus erwachsen, vergleicht man die Büroräumlichkeiten beispielsweise mit den bunten und verspielten Google-Offices. Der Eingangsbereich ist schlicht und elegant gestaltet, ebenso präsentieren sich auch die Arbeitsbereiche. Die Mitarbeiter sind alle mit mobilen Geräten ausgestattet und somit nicht an ihren Schreibtisch gebunden. Zentraler Treffpunkt, sei es für Meetings oder auch nur zum Essen, ist ein großer offener Kantinenbereich, der auch hinaus auf die eindrucksvolle Dachterrasse führt. Hier macht es sich auch die futurezone mit der Twitter-Kommunikationschefin für ein Gespräch gemütlich.

futurezone: Wo steht Twitter zur Zeit, wenn wir mal von harten Zahlen und Fakten ausgehen?
Karen Wickre: Weltweit haben wir jetzt 200 Millionen aktive Nutzer im Monat, die Leute verschicken mehr als 400 Millionen Tweets pro Tag, das heißt wir kommen alle zweieinhalb Tage auf etwa eine Milliarde. Wichtig vielleicht auch: 70 Prozent der Twitter-Nutzung stammen von außerhalb der USA. Demografische Daten haben wir allerdings nicht, weil wir keine Profile unserer User erstellen. Wir fragen nach nichts anderem als einer E-Mailadresse.

Kürzlich hat Twitter einen eigenen Musikservice gestartet, wird es in Zukunft stärker in die Richtung Unterhaltung gehen, gibt es da Ausbaupläne?
Es ist nicht direkt so, dass wir in diese Richtung gehen, es geht darum, was die Nutzer auf Twitter machen. Nehmen wir etwa den Bereich Sport, das ist ein riesiges Thema, oder Politik, wenn es gerade einen Wahlkampf gibt. Das gleiche gilt auch für TV-Sendungen. Wir sagen nicht: Die Leute werden das oder das mögen. Wir sehen einfach, dass die Nutzer an bestimmten Dingen Freude haben, wir sehen dass sie Musik und Künstler auf Twitter mögen. Daraus werden solche Angebote dann angetrieben. Twitter ist bereits stark in das Thema Musik involviert, wir sind bei Konzerten und Preisverleihungen.

Gibt es auch Überlegungen für neue Einnahmequellen im Unterhaltungsbereich?
Das leitet sich alles von unserem Werbegeschäft ab und betrifft alle Bereiche. Wir haben große multinationale Marken und Werbetreibende an Bord.

Müssen die Twitter-Nutzer künftig mit mehr Werbung rechnen, also beispielsweise mit mehr Sponsored Tweets?
Nein, es werden nicht mehr sein, man wird nicht nach jedem Tweet einen Werbetweet sehen. Es sieht ja auch nicht jeder dieselbe Werbung, weil sie auf Basis der persönlichen Interessen bzw. dessen, welchen Accounts man selbst folgt, ausgespielt wird. Ein Musikfan wird daher eher Sponsored Tweets aus dem Bereich Musik zu sehen bekommen. Ich sehe es als ein schönes Modell an, weil es komplett kontextabhängig und nicht aufdringlich ist.

Gibt es abseits von Werbung irgendwelche Überlegungen für neue Einnahmequellen? Wären zusätzliche kostenpflichtige Angebote oder Freemium-Modelle in irgendeiner Weise eine Option für Twitter?
Nein, ich wüsste nicht, was das sein könnte. Unser Werbegeschäft funktioniert bestens.

Wie sieht es im Wettbewerb mit anderen Social Networks aus, sieht sich Twitter selbst in Konkurrenz zu Facebook?
Ehrlich gesagt, sind wir grundverschieden. Natürlich werden diese Vergleiche immer gerne herangezogen, aber ich denke, es ist wohl einfach nur bequem, die beiden Plattformen gegenüberzustellen. Wir sind kein Social-Media-Service.

Sondern, wie bezeichnet sich Twitter dann nach eigener Definition?
Sicherlich auch nicht als Microblogging-Plattform. Es ist wohl nicht besonders eingänglich, aber auf beschreibende Art würde ich sagen: Wir sind ein Echtzeit-Informationsnetzwerk. Niemand sonst hat sich so auf Echtzeit konzentriert, wie Twitter das gemacht hat. Facebook verlangt, dass man sich mit seinen Freunden vernetzt und bildet so eine Art geschlossenen Kreis. Twitter hingegen ist eine offene Plattform, es gibt keine symetrische Struktur. Man folgt, wem immer man möchte, das muss nicht gegenseitig sein.

Wie hat sich die Twitternutzung in den USA entwickelt? Im Vergleich zu der überschaubaren Twitter-Landschaft in Österreich, die sich zu einem großen Teil nur aus Journalisten, Medienexperten und vereinzelt politischen Vertretern zusammensetzt,  scheint es von außen betrachtet doch etwas anders bzw. sehr viel breiter abzulaufen.
Es trifft auf jeden Fall zu, dass Leute aus den Medien, zuerst einzelne Reporter und dann ganze Redaktionen, Twitter sehr früh aufgegriffen haben. Mittlerweile ist es durchaus üblich, dass man Hashtags im Fernsehen sieht oder eingebunden bei Zeitungen. Davon abgesehen versuchen wir aber stets, Leuten, die noch gar nicht wissen, was Twitter ist, das auf noch einfachere Weise zu zeigen. Es ist oft schwer zu verstehen, was der Service ist, wenn man Twitter noch nie benutzt hat. Wir wissen, dass es wohl nicht reicht, jemandem zu sagen, er soll sich einfach anmelden und zu tweeten beginnen. Viele Leute schreiben überhaupt nichts, folgen aber anderen und nutzen Twitter als Info-Stream, das ist auch ok. Grundsätzlich ist Twitter hier in den USA mittlerweile sehr gut bekannt, nicht zuletzt weil die Medien die Richtung vorgegeben haben.

Steht Twitter aus Ihrer Sicht in Konkurrenz zu klassischen Medien, beispielsweise Zeitungen? In Österreich sorgte unlängst eine Kampagne des Zeitungsverlegerverbandes in diesem Zusammenhang für Aufregung. Man gewinnt manchmal den Eindruck, bestimmte Medien fühlten sich durch Social Media bedroht.
Nein, ganz und gar nicht. So etwas ist wirklich schade. Ich erinnere mich aber, dass es mit Google News anfangs ganz ähnlich war. Ich kann es nicht verstehen, weil die Plattformen auch ein Stück weit auf Medien und Journalisten aufbauen. Ich folge ganz vielen Medien auf Twitter, das ist mein Informationskanal. Es wäre nichts ohne sie. Daher arbeiten wir auch ständig aktiv mit Newsrooms und Journalisten zusammen, und helfen ihnen auch, das Beste aus der Plattform herauszubekommen. Hinzu kommt doch, dass es den Traffic auf den Webseiten ankurbelt.

Aber klar, wir haben solche Dinge anfangs auch in den USA beobachtet, da ist teilweise die Panik ausgebrochen. Vereinzelt gibt es immer noch Vorbehalte oder Medien, die ihren Mitarbeitern nicht erlauben, zu tweeten. Ich denke, am Ende wird es einfach Zeit brauchen. Wir sehen ja, wie Twitter genutzt wird, wie viele Accounts und News-Streams eingerichtet werden.

Twitter hat in den vergangenen Monaten international für Kritik gesorgt, weil Beschränkungen für Dritt-Clients eingeführt wurden. Was hat Twitter zu diesem Schritt veranlasst, wieso musste dieser Weg unbedingt beschritten werden?
Wir haben das eigentlich nicht so sehr als Beschränkungen betrachtet, vielmehr ging es darum unsere Richtlinien umzusetzen. Als Twitter gestartet ist, haben die Gründer alles und jeden willkommen geheißen, der etwas mit APIs ausprobieren wollte. Es war damals auch für niemanden abschätzbar, wie sich die Dinge entwickeln würden. Jetzt, viele Jahre und viele Millionen User später, ist man zu dem Schluss gekommen, dass das gesamte Twitter-Erlebnis ein im Gesamten funktionierendes sein sollte. Wenn man jetzt also externe Apps hat, wo man bestimmte Funktionen nicht nutzen kann, etwa den Zeitstempel sehen oder auf einen Link klicken, dann ist das kein gutes Twitter-Erlebnis. Wir haben also damit angefangen, bestimmte Parameter dafür zu definieren. Was man nicht mehr kann, ist Twitter imitieren. Man kann aber natürlich andere Sachen machen, neue zusätzliche Features entwickeln, die Twitter selbst nicht hat. Es geht mehr darum, bestimmte Definitionen für die APIs zu haben.

Twitter ist sich aber im Klaren darüber, dass mit diesem Schritt, viele Entwickler, aber auch viele User verärgert wurden?
Klar, das ist uns bewusst, solche Dinge passieren. Ich denke, der Rahmen war vielleicht von Anfang an einfach zu weit gefasst und den haben wir nun mehr in Einklang mit unserem Geschäft gebracht.

Zuletzt gab es auch einige Vorfälle, die Sicherheitsbedenken ausgelöst haben. Man denke etwa an den Hack des AP-Accounts. Was unternimmt Twitter, um seine Plattform sicherer zu gestalten, gerade wurde ja auch die Zwei-Weg-Authentifizierung eingeführt?
Wir müssen eigentlich nicht großartig etwas Neues einführen, wir müssen die Leute an Dinge erinnern. Der genannte Fall entstand aufgrund eines schwachen Passwortes, nicht unbedingt aufgrund des Twitter-Systems. Das heißt also, was wir machen, ist die Nutzer daran zu erinnern, dass sie sich ein sicheres Passwort überlegen müssen. Wir posten diese Dinge auch regelmäßig in unseren Blogs und weisen die Leute laufend darauf hin.

Von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) hat Twitter zum wiederholten Male sehr gute Noten für seinen Umgang mit Nutzerdaten erhalten. Welche Rolle spielt das Thema Datenschutz und Privatsphäre ganz grundsätzlich für Twitter, wie sieht die Philosophie dahinter aus?
Wir kämpfen für den Datenschutz unserer Nutzer, wenn es um staatliche Anfragen und Strafandrohungen geht. Nach dem Vorbild von Google haben wir inzwischen auch einen Transparenzbericht geschaffen, damit die Nutzer nachvollziehen können, warum wir - wenn überhaupt - einen Tweet löschen mussten. Das Prinzip Datenschutz ist wirklich ein sehr wichtiges für uns und wir sind hoch erfreut darüber, dass die EFF uns dafür gelobt hat. Ein Aspekt dessen ist etwa auch, dass wir uns in der Diskussion um Klarnamen immer eindeutig auf eine Seite gestellt haben: Nämlich, dass die Leute völlige Freiheit haben, welchen Usernamen sie wählen möchten. Wir wollen nicht vorschreiben, wie Twitter genutzt werden darf. Und wir gehen sehr sensibel damit um, wie Twitter beispielsweise in bestimmten Regionen von Aktivisten eingesetzt wird. Wenn es zu Katastrophen kommt, wird Twitter oft zur Rettungsleine. Daher versuchen wir, Twitter als eine offene Plattform zu erhalten.

In welchen Fällen ist Twitter dazu gezwungen Nutzerdaten herauszugeben?
Es müsste in jedem Fall eine gerichtliche Anfrage sein, es kann nicht der Präsident eines Landes kommen und sagen: Ich will denjenigen oder diejenige sperren lassen oder so etwas. Es braucht eine Justizbehörde dafür. Und die Anfrage muss sich innerhalb des jeweiligen Rechtsrahmens des Landes bewegen.

Rund um die Geschehnisse im Arabischen Frühling hat Twitter keine unwesentliche Rolle gespielt. Hätte man das bei Twitter selbst jemals erwartet, dass die Plattform irgendwann auch so "politisch" werden könnte?
Nein, gar nicht. Und mittlerweile haben wir ja viele Beispiele gesehen, wo Twitter in solcher Weise zum Einsatz kam. Hätte man so einen Einsatz im Jahr 2006 im Rahmen des Businessplans erläutert, man wäre bestimmt von niemandem ernst genommen worden. Natürlich war es den Gründern wichtig, eine offene Plattform zu schaffen, aber eine solche Entwicklung hätte wirklich niemand voraussagen können. Auch hier muss man wieder darauf verweisen, wie wichtig der Echtzeit-Gedanke von Twitter ist. Letztlich ist das in Ausnahmesituationen ja auch für Journalisten hilfreich. Bürger können Geschehnisse via Twitter verfolgen und sie können aus dem Untergrund heraus Informationen von Orten liefern, an die Journalisten gar nicht gelangen. Diese Informationen können auch die Medien für ihre Berichterstattung nutzen.

Können Sie zum Abschluss einen kleinen Ausblick auf die Zukunft von Twitter geben?
Ich kann natürlich keine konkreten Pläne verraten. Was wir auf jeden Fall tun, ist einen starken Fokus auf den mobilen Bereich zu legen - auch in Hinblick darauf, dass 70 Prozent der Twitternutzung von außerhalb der USA stammen. Mobile wird sehr stark genutzt, wir sind also vor allem auf Verbesserungen in diesem Bereich bedacht.

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Claudia Zettel

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futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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