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Wikipedia will weiblicher werden

Es gehe nicht um politische Korrektheit, sondern um Qualität, betont Sue Gardner im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa): „Wikipedia strebt danach, die Gesamtheit allen menschlichen Wissens zu sammeln. Und das können wir nicht, wenn unsere Autorenschaft aus einer kleinen Gruppe von Leuten besteht.“

Den typischen Wikipedianer gibt es nicht, doch einige Trends stechen heraus: Rund 60 Prozent haben einen Hochschulabschluss, wie die Wikimedia-Stiftung im April bei einer Befragung von 5300 aktiven Mitarbeitern herausgefunden hat. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) hat Programmierkenntnisse. Und vor allem: 91,5 Prozent sind Männer. „Es hat strategische Priorität, dieses Ungleichgewicht anzugehen“, schreibt die Stiftung in einem Bericht. Nun ist es nicht so, dass sich riesige Lücken in der Wikipedia auftun. Die deutsche Version hat 1,3 Millionen Artikel und ist damit umfangreicher als der Brockhaus, die englische Version kommt gar auf 3,8 Millionen Texte. Kaum ein Thema, das nicht abgedeckt wäre.

Unterschiede
Doch an den Details werden die Unterschiede deutlich. Neue Ego-Shooter, freie Betriebssysteme oder Regionalligisten aus der Fußballprovinz sind lang und breit beschrieben. Freundschaftsbänder und Schuhdesigner bekommen dagegen oft nur ein paar Absätze gewidmet. Hinzu kommt: Das Engagement in der Wissenssammlung lässt in vielen Sprachversionen nach, Neulinge verlieren schnell die Lust.

Eine Hürde tut sich gleich auf, wenn Nutzer auf „Bearbeiten“ klicken: Die Artikel sind in einer eigenen Syntax geschrieben, die vieleabschreckt. Die treuen Stamm-Mitarbeiter kennen sich damit aus oder haben sich längst dran gewöhnt. „Die Forschung zeigt, dass Männer eher Technologie als Spaß empfinden und lernen“, sagt Sue Gardner. Aber auch ältere, weniger technikaffine Nutzer dürften Probleme haben.

"Viele Konflikte"
Und wer sich von der Technik nicht abschrecken lässt, ist womöglich vom direkten, oft rauen rauen Ton abgestoßen, der im Kampf um die Hoheit über einen Artikel oder die richtigen Formulierungen herrscht. 24 Prozent der Befragten gaben in der Wikimedia-Studie gar an, Opfer von Belästigungen geworden zu sein. Es zeichne sich das „Bild einer Community, in der es viele Konflikte gibt“, bemerkt dazu das Projekt Wiki-Watch, das Wikipedia kritisch begleitet. „Ich vermeide Verallgemeinerungen, aber Frauen bevorzugen eine harmonische Umgebung, in der alle freundlich, warm und offenherzig sind“, sagt Wikimedia-Chefin Sue Gardner. „Die Wikipedia-Community ist anders, die Mitarbeiter mögen wirklich Kontroversen und Debatten.“

Warum so eine garstige Atmosphäre herrscht, ist schwierig zu sagen. Dass sie abschreckt, ist aber unstreitig. Es gebe eine „Organisationsblindheit“, meint der Soziologe Christian Stegbauer: „Man hat sich an die Kultur - oder Unkultur - gewöhnt und merkt nicht, was auf Außenstehende merkwürdig wirkt“, sagt der Wikipedia- Experte von der Universität Frankfurt. Ein Problem sieht er in der indirekten Kommunikation übers Netz: „Dadurch, dass man sich nicht in die Augen guckt, geht der Kontext verloren, den man bei einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht hat.“ So schaukle sich ein Streit schnell auf.

Neue Software für Artikel-Bearbeitung

Was also tun? Die Wikimedia-Stiftung setzt bei der Frauenförderung auf Software. Ein lange diskutierter Editor soll die technische Hürde senken: Er zeigt Bearbeitungen so auf dem Bildschirm anzeigt, wie sie auch nachher im Artikel erscheinen - ganz ohne Programmierkenntnisse. Gardner hofft, dass bis Ende des Jahres ein Prototyp fertig ist, den dann erfahrene Mitarbeiter testen können. Bis das nutzerfreundliche Programm allen zur Verfügung steht, wird es aber noch dauern: „Neue Software-Funktionen müssen in Zusammenarbeit mit der Community entwickelt werden, wir brauchen einen Konsens - das macht die Entwicklung sehr, sehr langsam“, weiß Gardner.

Zudem soll Wikipedia vielfältiger werden, indem es neue Gruppen von der Sammlung des Weltwissens begeistert und über diesen Umweg den bislang geringen Frauenanteil steigert. So gibt es Projekte für Schulen und Universitäten. „Forschungsergebnisse zeigen, dass Männer sich auch ohne besondere Einladung engagieren“, sagt Gardner. „Frauen tendieren dazu, dass sie eingeladen werden wollen.“ Diese Einladung soll deutlicher ausgesprochen werden. Über die Zeit, so hofft die Kanadierin, werde das die Geschlechterlücke schließen.

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