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Spieletest

Risen 3 im Test: Gefangen im Gothic-Fluch

“Ist das ein Scherz?” So ganz möchte ich es nicht glauben, als ich Risen 3 zum ersten Mal nach fast 20 Minuten Installation auf der PlayStation 3 spiele. Die Grafik ist unfassbar hässlich, optisch fühlt man sich in die frühen 2000er Jahre zurückversetzt. “Vielleicht ein Retro-Modus?”, scherzt mein Mitbewohner, mit dem ich gemeinsam nach Erklärungen suche. Sind die Augen durch die Next-Gen-Konsolen zu sehr verwöhnt?

Haben wir uns noch nicht an den neuen Fernseher gewöhnt? Irgendwann geben wir es auf und kommen zum einzigen wahren Grund: Das Spiel sieht einfach mies aus. Doch zum Glück ist da noch die PC-Version, die eigentliche Stärke der Gothic-Macher Piranha Bytes. 30 Minuten später bin ich beruhigt, auf dem PC ist die Grafik auf dem aktuellen Stand der Technik. Friede, Freude, Eierkuchen also? Nicht ganz, wie der Test zeigt.

Wieder einmal startet das Spiel auf hoher See, dieses Mal bei einem Angriff der Piraten. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Piratenkapitäns, der gemeinsam mit seiner Schwester Patty auf der Suche nach einem Schatz ist. Angekommen auf der Insel sind die Piraten-Geschwister zu gierig und werden bei der Suche in einer Höhle von einem Schattenlord angegriffen. Patty kann fliehen, der Spieler stirbt jedoch.

Zumindest hat das den Anschein, denn drei Wochen nach dem Begräbnis wird der Spieler vom Voodoo-Prediger Bones (der bereits in Risen 2 seine Premiere hatte) wieder zum Leben erweckt. Doch auch wenn der Spieler wieder atmet, ihm fehlt etwas Wichtiges: Seine Seele. Wie er von Bones erfährt, wurde ihm die von den “Schatten” geraubt. Diese dämonischen Wesen steigen aus dem Untergrund herauf und bedrohen die Erde. Neben der Suche nach seiner Seele versucht der Spieler daher, die verschiedenen Fraktionen vereinen und eine Armee in die Schlacht gegen die Schatten zu führen.

So sind Freibeuter unterwegs

Das Spiel lässt dem Spieler alle Freiheiten, er kann sich jederzeit auf die Reise machen und eine der insgesamt neun Regionen besuchen. Diese werden von verschiedenen Fraktionen bewohnt. So finden sich auf der Donnerinsel die Wächter-Gilde (Magier), auf Kila die Eingeborenen, die Voodoo-Magie praktizieren, sowie auf Calador die Dämonenjäger. Einer dieser Gilden darf sich der Spieler nach einigen kurzen Quests anschließen. Jede Fraktion kann ihm spezielle Fähigkeiten beibringen und hat zusätzliche Quests im Angebot. Wenn man alle Quests spielen möchte, muss man das Spiel daher drei Mal neu beginnen.

Damit ist man jedoch eine Weile beschäftigt. Für die Haupt-Quest allein benötigt man schon gut 15 Stunden, alle weiteren Nebenaufgaben nehmen nochmals rund 40 Stunden in Anspruch. Die Quests sind gut gelungen und abwechslungsreich. Selten gibt es eine Mission, bei der es lediglich heißt “Sammle X davon” oder “Töte X Monster”, meist gibt es eine überraschende Wendung dazwischen. Hin und wieder wird der Spieler im Dialog oder bei den verfügbaren Lösungswegen auch vor die Wahl gestellt und kann so den Verlauf der Quest beeinflussen. Quests können jederzeit erledigt werden, auch bevor sie eigentlich angenommen wurden. So ist es zum Beispiel möglich, dass man bereits ein Wildschwein erlegt hat und wird erst später den Auftrag von einem Eingeborenen bekommen. Die Belohnung und die Erfahrungspunkte erhält man dennoch.

Wozu überhaupt eine Seele?

Tatsächlich begeistern jedoch die Nebenquests deutlich mehr als die eigentliche Kampagne. Bestes Beispiel ist die Seelen-Thematik. Da der Spieler seine Seele verloren hat, kann er auf Knopfdruck zwischen realer und Geisterwelt wechseln. Doch der Sinn dieser Geisterwelt erschließt sich zu Beginn nicht und auch im weiteren Verlauf des Spiels ist die Funktion relativ entbehrlich. Es wirkt so, als hätten die Entwickler eine gute Idee gehabt, dann aber nicht so recht gewusst, was sie damit machen sollen. Das gleiche gilt für das Seelensystem, das die Reputation in der Spielwelt widerspiegelt.

Eine gute oder neutrale Wertung führt dazu, dass sich normale NPCs dem Spieler als Begleiter anbieten. Bei einer schlechten Wertung wollen sie nichts mit dem Spieler zu tun haben. Die Wertung lässt sich aber durch zurückhaltendere Antworten in Gesprächen oder mit Hilfe von Seelenstaub oder Schwarze Herzen wieder bereinigen. Das führt die Warnungen der Begleiter (“Du musst deine Seele retten, bevor es zu spät ist!”) jedoch ad absurdum, denn Zeitdruck gibt es nicht.

Die Qualität der Dialoge schwankt zwischen normalen Gesprächen, die gut in das Setting passen, und Aussagen mit Fremdschäm-Charakter. Einen großen Teil dazu tragen die mangelhaften Sprecher bei, die die meisten Sätze mit geradezu absurd viel Pathos sprechen. Lediglich die zentralen Charaktere des Spiels, unter anderem der Spieler selbst, wurden gut vertont. Irgendwann geht man dazu über, die Gespräche einfach zu überspringen. Da der Spieler die Informationen nur durch diese Unterhaltungen bekommt, ist man jedoch dazu gezwungen, alle verfügbaren Fragen zu stellen und dann Aussage um Aussage zu überspringen. Wenn etwas Wichtiges gesagt wurde, findet es sich meist in der Quest-Beschreibung wieder.

Risen 3 spiegelt die innere Zerissenheit von Piranha Bytes recht gut wider. Seit bereits 17 Jahren arbeitet der deutsche Entwickler nach dem gleichen Konzept und darf sich guten Gewissens Experte für Rollenspiele nennen. Doch dieser konservative Ansatz, den viele Rollenspiel-Fans schätzen, frustriert und schreckt Einsteiger ab. Deutlich wird das am unfreiwillig komischen Tutorial, das vieles erklärt, nur die Spielmechanik nicht. Die Entwickler versuchen, mit der Hilfe von Dialogen dem Spieler Anweisungen zu geben, diese sind aber ziemlich plump. Ständig erzählt der Spielcharakter oder Patty, was er denn jetzt machen soll. “Was wohl dieser Schalter macht?” ist auf ähnlichem Niveau wie einst “Warum liegt denn hier Stroh?” und damit ziemlich entbehrlich. Beim Kämpfen wird der Spieler wiederum ins kalte Wasser geworfen. Mehr als kurze Hinweise, welche Taste man drücken muss, bekommt man nicht. Da ist es ja passend, dass das Spiel bereits mit einem großen Kampf beginnt.

Apropos Kampf-System: Das wurde zwar verbessert, ist aber nach wie vor träge und nicht besonders vielseitig. Der Spieler kann zwei Waffen tragen, eine Fern- und eine Nahkampfwaffe, sowie verschiedene Tränke und Zaubersprüche auf Quick Slots legen. Mit der Ausnahme von Blocken sowie Angriff (lange gedrückt halten für einen schweren Angriff) sind die Möglichkeiten des Spielers jedoch beschränkt. Die Hechtrolle auf Knopfdruck ist zwar ein wichtiges Werkzeug, hin und wieder kesseln Gegnermassen den Spieler so ein, dass er keine Chance auf Ausweichen hat. Im späteren Verlauf des Spiels lernt der Spieler jedoch neue Fähigkeiten, beispielsweise den Gegenangriff.

Die Spielwelt von Risen 3 hat zudem ein kleines Problem. Denn obwohl sie offensichtlich mit viel Liebe zum Detail gestaltet wurde und zum Entdecken einlädt, wirkt sie oft wie ausgestorben. Man könnte fast glauben, die Menschheit stehe kurz vor der Ausrottung (von den Schatten jetzt einmal abgesehen). Selbst in Dörfern oder Siedlungen tummeln sich nur wenige NPCs herum, die alles andere als lebhaft sind. Optisch machen die von Hand gestalteten Landschaften dennoch viel her.

Piranha Bytes setzt weiterhin auf die hauseigene Genome-Engine, die bereits seit Gothic 3 zum Einsatz kommt, aber mittlerweile kräftig aufgebohrt wurde. Mit den höchsten Details merkt man der Engine ihr Alter kaum an, vor allem die Animationen von Zaubern und der ansehnliche Tag- und Nachtwechsel sind gut gelungen. Etwas hölzern wirkten lediglich die Animationen des Spielers und der NPCs, zudem hätten die Texturen durchaus hochauflösender ausfallen dürfen. Dennoch überzeugt die Vielfalt an verschiedenen Landschaften, die zwischen dichtem Dschungel und kargen Steinwüsten variieren.

Das geht so nicht!

So hübsch die PC-Version auch sein mag, auf PlayStation 3 und Xbox 360 muss man sich mehrmals verwundert die Augen reiben. Die Grafik ist dort, gelinde gesagt, eine bodenlose Frechheit und dabei kaum besser als das mittlerweile zwölf Jahre alte Morrowind. Klobige Landschaften, unscharfe Texturen und teilweise haarsträubende Grafik-Fehler - das Spiel macht fast den Eindruck, als hätte es keine Qualitätskontrolle gegeben. Die getestete PS3-Version strotzte nur so vor Clipping-Fehlern. Einem Spielermodell, dem der Bauch fehlte, ragte ein Kegel aus dem Hintern. Quasi wie bei den Sims, nur unten statt oben. Anfangs ist das noch lustig, irgendwann bleibt einem aber das Lachen im Hals stecken.

Starke Ruckler bei Kämpfen gegen mehrere Gegner stellten die Geduld ebenso auf die Probe wie gelegentliche “Hänger”, bei denen das Spiel für rund zehn Sekunden stecken bleibt. Das hässliche Tearing ist im Vergleich dazu schon fast eine Kleinigkeit. Für ein Spiel, das rund 50 Euro im Handel kostet, sind diese Probleme untragbar. Damit setzt sich das Fiasko fort, denn auch die Vorgänger waren auf den Konsolen eine Zumutung. Liebes Piranha Bytes, so gut eure PC-Spiele auch sein mögen, mit derart unfertigen Konsolen-Versionen macht man sich keine Freunde: Macht es vernünftig oder lasst es!

Die Gothic-Reihe, Piranha Bytes größter Erfolg, könnte dem Unternehmen noch einmal den Kopf kosten. Es ist bequem, an einem mittlerweile 13 Jahre alten Spielkonzept festzuhalten, das nach wie vor erfolgreich ist, aber dennoch reichlich unkreativ. Das spürt man auch in Risen 3, das große Teile der Spielwelt von Risen 2 recycelt und kaum Innovatives bietet. Die altbekannte Spielmechanik, die liebevoll gestaltete Spielwelt und die guten Quests haben aber dennoch einen gewissen Charme, der Risen 3 zu einem soliden Spiel macht, sowohl für Serien-Fans als auch Neueinsteiger. Wer jedoch bislang mit Gothic oder Risen nichts anfangen konnte, wird auch mit Risen 3 nicht glücklich. Von der fehlerhaften Konsolen-Version sollte man aber grundsätzlich die Finger lassen.

Risen 3 ist ab sofort für PC, PlayStation 3 und Xbox 360 (50 Euro UVP) erhältlich. Das Spiel ist DRM-frei und beinhaltet drei DLCs. Des weiteren gibt es eine Steelbook-Edition mit Fan-Artikeln (Almanach, Art-Cards, Poster, Weltkarte) um 70 Euro sowie die limitierte “Shadow Lord”-Edition mit Figur, Fan-Artikeln und den Vorgängertiteln um 100 Euro.

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Michael Leitner

derfleck

Liebt Technik, die Möglichkeiten für mehr bietet - von Android bis zur Z-Achse des 3D-Druckers. Begeistert sich aber auch für Windows Phone, iOS, BlackBerry und Co. Immer auf der Suche nach "the next big thing". Lieblingsthemen: 3D-Druck, Programmieren, Smartphones, Tablets, Open Hardware, Videospiele

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