#1: "Star Wars" 12 Milliarden Dollar
#1: "Star Wars"
12 Milliarden Dollar
© A 1977 FILE PHOTO

Peter Glaser: Zukunftsreich

Action im Todesstern

Redmond im US-Bundesstaat Washington hat ungefähr so viele Einwohner wie die Stadt Villach. Zu den namhaften Persönlichkeiten der amerikanischen Gemeinde gehört unter anderem der zweimalige Donkey Kong-Weltrekordhalter Steven J. Wiebe. Größter Arbeitgeber vor Ort ist die Firma Microsoft mit über 42.000 Mitarbeitern, gefolgt von dem Baumaschinenkonzern Terex, und Eurest Dining Service, einem britischen Catering-Multi, der in den Microsoft-Cafes für das Essen sorgt.

Und dann ist da noch die Firma BrickArms. Das Einmann-Unternehmen wird betrieben von Will Chapman, nach eigenen Worten ein AFOL (Adult Fan Of Lego), dem im Deutschen das Akronym ELF (Erwachsener Lego-Fan) entspricht. BrickArms ist ein Familienbetrieb, Chapmans Frau und die drei Söhne packen mit an. 2006 hatte sich der Jüngste, damals 9 Jahre alt, für‘s Lego-Spielen nach Waffen aus dem 2. Weltkrieg erkundigt. Daraus hat sich inzwischen ein Business entwickelt, das hunderte unterschiedlicher Waffen nebst Zubehör hervorbringt, kompatibel zu den Original-Knopfsteinen und Minifiguren „und weltweit von Sammlern hochgeschätzt.“

Lego hat seine Produktlinien in den letzten Jahren ständig erweitert. So gibt es die schon etwas erwachsenere „Mindstorm“-Reihe mit programmierbaren Robotern oder Meisterwerke der modernen Architektur, und es gibt „Lego Friends“ für Mädchen und rosa Steinebehälter. Die Noppensteine sind nicht unbedingt pazifistisches Spielzeug. „Wehre ihre Überfälle mit coolen Doppel-Waffen und Schnellfeuer-Werfern ab“, heißt es im Online-Shop zu einer Serie von Fantasy-Figuren – „Lego Bionicle Sets ermöglichen Kindern ein intuitives Bauerlebnis, intensives und actionreiches Spielen mit coolen Waffen und die Möglichkeit, die Welt vor dem Bösen zu retten!“ Auch das Star Wars-Merchandising verheißt „aufregende Action im Todesstern“ („Achtung, Erstickungsgefahr! Kleine Teile!“). Das mondgroße Monsterraumschiff der Jungs von der bösen Seite der Macht ist mit 419,99 Euro im übrigen nicht gerade auf Taschengeldniveau.

Von der Offiziersmütze bis zur Flak

Aber die dänische Firma ist nie so weit gegangen, ihre Minifiguren mit realer Mordgerätschaft auszustatten. Die Lücke füllt BrickArms. Mit erstaunlicher Akkuratesse wird militärisches Equipment en miniature nachgefertigt, von der deutschen Offiziersmütze bis zur 8,8-cm-Flak und einer schier uferlosen Auswahl an Handfeuerwaffen und Maschinengewehren, die man den bisher waffenlosen Minifiguren paßgenau in die Hand drücken kann.

Nun könnte man erwachsenen Legoisten eine Art ernsthaftes historisches Interesse unterstellen, tatsächlich gibt es auch antikes Hieb- und Stichgerät wie ein römisches Pilum oder mittelalterliche Hellebarden und Schwerter. Aber genauso wie man Chapmans Neunjährigem die geschichtswissenschaftlichen Ambitionen nicht abnimmt, klingt umgekehrt auf der Website des deutschen Vertriebspartners Brickizimi Toys an, dass nicht nur „tausende erwachsener Lego-Baumeister täglich“ mit BrickArms-Produkten umgehen, sondern auch Nichterwachsene damit „neue Wege zum Spielen zu entdecken“ haben.

Es sind auch nicht nur Ausrüstungsgegenstände, aus denen man sich Lego-Männchen für strategische Sandkastenspiele zusammenstecken kann. Es sind zu einer gefährlichen Niedlichkeit geschrumpfte Waffen aller Art, sei es ein Dolch, der ausdrücklich der Mördersekte der Assassinen zugeschrieben wird, ein Schlagring; oder eine Zeitbombe mit Dynamitstangen und Wecker-Zünder. Man kann auch einen bis hin zur Helmkamera komplett ausgerüsteten modernen Soldaten erwerben, Micro-Uzis wie auch Bazookas.

Miniaturisierte Militärtechnik

Es ist keine gute Idee, schon Kinder durch die miniaturisierte Militärtechnik an solches scheinbar harmloses Spielzeug zu gewöhnen. Seit Jahren häufen sich in den USA tragische Unglücke mit Waffen in Kinderhand. Ein zwei Jahre altes Kleinkind erschießt beim Spielen mit einer Pistole seinen Großvater. Beim jährlichen Kürbisschießen eines Schützenvereins schießt sich ein Achtjähriger versehentlich mit einer Maschinenpistole in den Kopf und stirbt. Ein vierjähriger Junge greift sich eine geladene Pistole und trifft die Ehefrau eines Manns, der gerade seine Waffenkollektion vorführt. Der Zugriff auf Waffen wird mit den Spielzeugversionen zu einer versierten Selbstverständlichkeit.

Etwa 3.000 Kinder und Jugendliche werden pro Jahr in den USA erschossen, statistisch sind das sieben Kinder pro Tag. Schußwaffen sind die zweithäufigste Todesursache bei unter 17-jährigen. Meist kommen die Schüsse aus den Waffen der Eltern. Im Oktober 2014 startete die Brady Campaign to Prevent Gun Violence die Aktion ASK („Asking Saves Kids“): Eltern sollten zumindest nachfragen, ob ungesicherte Waffen im Haus sind, wenn ihre Kinder bei Freunden eingeladen werden. Schon das könne Leben retten. Der im August 2014 verstorbene James S. Brady war Pressesprecher von US-Präsident Reagan, er war 1981 bei dem Attentat auf den Präsidenten schwer verletzt worden und war von da an auf den Rollstuhl angewiesen. Seine Frau und er engagierten sich für eine Verschärfung des amerikanischen Waffenrechts, was unter anderem zu dem nach ihm benannten Brady Handgun Violence Prevention Act führte.

Auf einer Karte haben Mütter, die mehr Bewusstsein beim Umgang mit Waffen fordern, einen interaktiven NotAnAccident-Index erstellt, auf dem alle Unfälle mit Schußwaffen dokumentiert sind, bei denen Kinder und Jugendliche jemanden - oder sich selbst - mit einer Schußwaffe verletzt oder getötet haben. Im September 2015 waren es 203 solcher Vorfälle mit 60 Toten und 143 Verletzten.

Und auch was das Nachspiel angeht, befindet sich der Minirüstungsgigant BrickArms in realistischen Lage. Ganz wie für amerikanische Soldaten, die ihren Dienst für die Nation in Afghanistan, im Irak oder anderswo geleistet haben, gibt es auch in der letalen Lego-Welt kein Hospital oder Sanatorium, in dem ihnen geholfen werden könnte, ihr Trauma aufzuarbeiten.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

mehr lesen
Peter Glaser

Kommentare