Kommentar

Datenflut: Weg mit der Angst, her mit dem Risiko

Ein Smartphone, das „über ein Gesichtserkennungstool verfügt und persönliche Informationen aus unterschiedlichen Quellen, darunter auch das Straf- und Gesundheitsregister, miteinander verknüpft und daraus Persönlichkeitsprofile generiert“,

. Das ist nicht wirklich verwunderlich. Die „Reduzierung“ der Menschen auf Datensätze, die als „herabwürdigend“ bezeichnet wird, ist letztendlich kein neues Phänomen – egal ob im Zuge eines Auswahlverfahrens beim Arbeitgeber, ob bei der Suche nach einem Partner mittels Agentur oder bei Versicherungspolicen: Stets wird der Mensch auf seine (bekannten) Daten reduziert und an Hand dieser beurteilt.

Sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatleuten liegt dieser Datensammelei der Wunsch zugrunde, das Risiko des Verlustes zu minimieren und möglichst noch einen Gewinn einzufahren. Dieser muss nicht monetär sein, gerade im privaten Bereich ist der emotionale Verlust, das „Investieren von Gefühlen in den Falschen“ ein Bedrohungsszenario, das viele einfach verhindern wollen. Auch der Verlust einer geliebten Person ist ein ständiges Angstthema.

Wo ist mein Schatz?
Handys werden beispielsweise auch gerne als „Kidfinder“, also als Geräte angepriesen, mittels derer leicht erkundet werden kann, wo sich die eigenen Kinder aufhalten. Auch entsprechende Software in diesem Bereich boomt. Hier wird deutlich, wie die Angst vor dem Kontrollverlust mit der Angst vor dem realen Verlust des Kindes einhergeht und damit weiteren Überwachungstendenzen den Weg ebnet. So mehren sich die Stimmen, die eine Veröffentlichung von Datenbanken fordern, die Daten über Sexualstraftäter enthalten, damit jeder ohne viel Mühe überprüfen kann, ob sich in der Nachbarschaft ein solcher Straftäter befindet. Die Angst der Eltern, nicht zuletzt durch die mediale Aufblähung der Thematik geschürt, blendet bei solchen Forderungen nicht nur die datenschutzrechtlichen und gesellschaftlichen Aspekte aus (Wo sollen diese Menschen dann wohnen? Wie verträgt sich das Ganze mit der Resozialisierung?), sondern stellt diese als Randbemerkung von Paranoiden oder Menschen ohne Empathie in die „nicht ernstzunehmen“-Ecke.

Ebenso wollen Partnersuchende nicht einem solchen „Sexgangster“ auf den Leim gehen und möchten daher am liebsten schon vor dem ersten Kennenlernen wissen, wie die strafrechtliche Vorgeschichte des potenziellen Partners lautet. Interessanterweise wird eher selten der Ruf nach der kompletten Vorgeschichte laut, vieles fixiert sich auf den sexuellen Aspekt des Ganzen. Zynisch betrachtet scheint es manchen egal zu sein, ob sie an einen notorischen Schläger geraten, wenn sie nur wissen, ob er schon einmal wegen Exhibitionismus angeklagt war.

Gesundheitsspionage
Auch die gesundheitliche Vorgeschichte kann wie in der Fernsehserie „Dr. House“ dann zum Puzzlestück werden, das über die Wahl oder Nichtwahl des Partners entscheidet. Neben der Angst, gegebenenfalls mit einer Krankheit angesteckt zu werden, greift auch hier wieder die Angst vor dem Verlust oder aber auch vor Erbkrankheiten. Die Idee, die hinter all diesen Datenpuzzles steckt, ist eine Illusion,  ein Sirenengesang, der von Sicherheit, Risikominimierung und Glück singt, letztendlich aber die ihm verfallenden Menschen nur an die Klippe der Stigmatisierung und „Überwachung aus freien Stücken“ treibt. Denn das Versprechen der Risikominimierung kann nur ansatzweise eingehalten werden, wenn gleichzeitig die Privatsphäre größtmöglich geopfert wird. Das könnte allerdings fatale Folgen haben, da die Gesellschaft nicht die notwendige Toleranz für eine derartige Privatsphärenaufhebung besitzt.

Privatsphäre ist altmodisch
Die Ansichten der „Spackeria“, dass „Privatsphäre altmodisch“ sei, sind insofern nur bedingt kurzsichtig. „Spackeria“ geht zutreffend davon aus, dass eine Änderung in Bezug auf Privatsphäre auch zu einer gesellschaftlichen Änderung führen wird, lässt dabei außer Acht, dass in der Zwischenzeit diejenigen, deren Daten „verwerflich“ sind, zum zwangsweisen „Opfer auf dem Weg zur neuen Gesellschaftsordnung“ werden, was an die Zeit des Zwangsoutens von Homosexuellen erinnert. Wer also leichtfertig davon spricht, dass Privatsphäre mittlerweile out ist, der kann im Endeffekt nur jemand sein, der entweder selbst sicher ist, dass über ihn keine solchen „verwerflichen Daten“, die zur Stigmatisierung und Schlimmerem führen können, vorhanden sind, oder jemand, der sicher ist, sich mit all diesen Problemen nicht auseinandersetzen zu müssen, da er quasi „über den Dingen steht“.

Beides ist jedoch naiv, da dann davon ausgegangen wird, dass die derzeitigen Ansichten weiterhin gültig sein werden. Bedenkt man einen gewissen konservativen Rollback, so ist aber nicht klar ersichtlich, dass Promiskuität oder Homosexualität nicht bald schon wieder als verwerflich gelten, weshalb für jeden das Risiko steigen würde, zu den Stigmatisierten zu gehören. Zwar kann man nun sagen „tja, wenn alle stigmatisiert werden, ist es sowieso egal“, doch dies lässt das vorherrschende Machtgefälle außer Acht und geht von der Illusion der Gleichheit aller Menschen aus.

Trügerische Hoffnung
Die Hoffnung, sich selbst und andere durch eine Gläsernheit vor Verlusten jedweder Art schützen zu können, ist trügerisch und verlockend, doch sie ist auch eine Einbahnstraße zum Überwachungsstaat, der nicht nur auf Datensätze reduziert, sondern auch auf falsche Daten keine Rücksicht nimmt bzw. die Reaktion auf diese als Kollateralschäden hinnimmt. Wer einmal in seiner Krankenakte ein falsches Kreuz bei einer Erbkrankheit bemerkte, der wird sich denken können, was solche Fehlinformationen in den Händen von Versicherungen wie auch Privatpersonen bewirken können.

Angst macht Menschen schwach
Angst zu bekämpfen oder im Griff zu behalten ist nie leicht, doch um zu verhindern, dass Ängste immer stärker die Freiheit im Würgegriff haben, kann klein angefangen werden. Akzeptieren wir doch, dass wir von dem, den wir gerade kennengelernt haben, nicht sofort alles wissen können, widerstehen wir der Versuchung, seinen Namen per Suchmaschine durchs Netz zu jagen um mehr über ihn zu erfahren. Lassen wir ein Kind mal wieder mit Freunden weggehen, ohne dass das Handy als Ortungsgerät genutzt wird und ohne dass es zig Kontrollanrufe gibt. Und lernen wir, tolerant gegenüber den Daten zu sein, die wir erhalten, uns wieder auf Menschen zuzubewegen statt sie aus Angst zu meiden. Kein leichter Schritt, wird die Angst doch oft auch von Medien und Regierungen befeuert, doch eines sollte klar sein: Keiner derjenigen, die sich Mühe geben, uns die Angst nicht zu nehmen, sondern diese noch anzuheizen, agiert selbstlos. Im Gegenteil – ängstliche Menschen lassen sich leichter lenken und manipulieren. Zeit, daraus auszubrechen und wieder Risiken einzugehen.

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