Das Gedränge und Gedrücke in der digitalen Welt nimmt fortlaufend zu
Das Gedränge und Gedrücke in der digitalen Welt nimmt fortlaufend zu
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Peter Glaser: Zukunftsreich

Der Flaschengeist im Computer

Kann passieren: Irgendwo im Netz eine griffige Schlagzeile gelesen, den Link angeklickt – und plötzlich schiebt sich ein Abfragefenster zwischen das Leseerlebnis und mich. Die Website „möchte meinen aktuellen Ort verwenden.“ Ich möchte meinen aktuellen Ort aber nicht zur Verwendung freigeben, weil ich mich ausspioniert fühlen würde und mein Ort und ich in einen riesigen Datensatz eingesaugt werden könnten, aus dem wir beide uns aber gern raushalten würden.

Zum Glück hat man ja die Wahl und kann sich in dem Fensterchen zwischen „Nicht erlauben“ und „Erlauben“ entscheiden. Klick auf „Nicht erlauben“. Sogleich erscheint dasselbe Fensterchen wieder. Nach einigem verärgerten Mauspfeilgestocher ist klar: Es gibt scheinbar nur eine Möglichkeit: Man soll dazu genötigt werden, auf „Erlauben“ zu klicken, anderenfalls bleibt man in einer Endlosschleife gefangen. Ich kenne noch eine weitere Möglichkeit, sie ist allerdings unelegant, ein wenig, wie wenn man aus einem Flugzeug mit dem Fallschirm aussteigen muss. Browser-Neustart.

Das Ende des Internet

Das Gedränge und Gedrücke in der digitalen Welt nimmt fortlaufend zu, fortlaufend durchaus im Doppelsinn: Manch einer, der vom Netz erfolgreich zu profitieren versucht, will seine potentiellen Aufmerksamkeitskunden nicht fortlaufen lassen. Er hält sie fest. Und zwar, indem er ihnen die Wahl nimmt. Er nimmt ihnen das, was das Netz den herkömmlichen Medien gegenüber auszeichnet, nämlich die Möglichkeit, sich an jedem Punkt (außer auf Webseiten mit dem Text „Sie haben das Ende des Internet erreicht“) für verschiedene Richtungen zu entscheiden, in die es weitergehen soll.

Manche geben diese virtuelle Drückermentalität, die einen in eine ganz bestimmte Richtung schieben soll, auch als Fürsorglichkeit aus. Bei Apple etwa meldet sich der Flaschengeist im Computer gelegentlich mit der freudigen Meldung „Es gibt Updates“, die einem anschließend nur die eingeschränkte Wahl zwischen jetzt, in einer Stunde oder morgen lässt. Die Option, den Nutzer frei entscheiden zu lassen, ob er beispielsweise überhaupt möchte, wird gar nicht erst in Betracht gezogen.

Der Mensch, ein faules Tier

Womöglich geschieht das aus sicherheitspädagogischen Erwägungen, weil der Mensch eben ein faules Tier ist und keine Backups macht und zu wenig oft mängelbereinigte neue Softwareversionen installiert, in denen dann spaßige neue Fehler untergebracht sind. Ausgekochte Nutzer lassen sich ohnehin erstmal Zeit, bis nach dem ersten oder zweiten Update die Schmerzensschreie fehlergequälter Early Adopters, zu Deutsch Problemfrühadoptierer, endlich verklungen sind.

So werden wir eingeengt und auf Schienen gesetzt, auch wenn wir einen Spaziergang durch den digitalen Wald machen möchten. Keiner regt sich so richtig darüber auf. Man meint es nur gut mit uns, wir sollen es ja bequem haben.

In den Sechzigerjahren gab es eine Vorstellung der Zukunft, die einherging mit dem Leben in einer Kuppelstadt. Als Kind des Astronautenzeitalters fand ich das klasse, eine Art Raumfahrerhelm für eine ganze Stadt. Erst später fing ich an, mich zu fragen, warum eine Stadt unter einen Glassturz gesetzt werden sollte. Klar, man war nicht mehr abhängig von den Unbilden des Wetters. Es würde ein mildes Einheitswetter geben. Und es würde sich anfühlen, als habe jemand versucht. mit durchsichtigem Bitumen den Himmel zu asphaltieren.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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