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Peter Glaser: Zukunftsreich

Der magische Schalter

Ich hatte Besuch, und der Besuch saß ungefähr zwei Meter vom Papierkorb entfernt. Er hatte ein Blatt Schmierpapier zerknüllt und zu einer Kugel geformt und zielte. „Wenn ich reintreffe, gehen wir noch etwas trinken“, sagte der Besuch. „wenn nicht, nicht.“ Die Papierkugel traf auf den Rand des Papierkorbs, sprang von dort hoch in den Vorhang und fiel aufs Parkett. „Heißgetränk?“, fragte ich.

Der Besuch ist ein technisch versierter, aufgeklärter Mensch, der überzeugt ist, dass die Sonne nicht im Mittelpunkt der Welt steht und der ironisch wird, wenn ihm jemand mit Esoterik kommt („Treffen sich zwei Homöopathen im Selbstverdünnungsrestaurant...“). Aber kein Mensch ist pure Vernunft. In Japan beten Priester für defekte Smartphones, und es gibt Bestattungszeremonien für Roboterhunde. Alles hat dort eine Seele, die Lebewesen und die Dinge. Bei uns läßt man Papierkörbe Schicksal spielen.

Alles schöner, lichter, neueste Technik

Ich vollzog das Kaffeeritual, dreimal nach rechts rühren, dann Milch, dann zweimal gegen den Uhrzeigersinn. Ich weiß nicht, weshalb ich das so mache, ich glaube, weil die Milch sich so am besten verteilt. Der Besuch erzählte von einem Freund, der ein Büro in Hongkong leitete, Finanzbranche. Der hatte angefangen, das Büro renovieren zu lassen, alles schöner, lichter, neueste Technik, und sich gewundert, weshalb seine Leute, alles Asiaten, so bockig waren. Eine Mitarbeiterin vertraute ihm an, er müsse einen Feng-Shui-Meister zu Rate ziehen. Er hielt das für Humbug, aber um das Betriebsklima zu erhalten, ließ er sich darauf ein.

Feng-Shui bedeutet, Häuser und Innenarchitektur nach chinesischem Vorbild den Geistern der Luft und des Wassers geneigt zu machen, um den Fluß der Lebensenergie Chi zu befördern. „Sportlich ausgedrückt“, sagte der Besuch, „um besser Chifahren zu können“. Das moderne Feng-Shui ist erst ein paar Jahrzehnte alt und hat mit der Tradition nichts zu tun, die bei der Anlage von Grabstätten angewandt wurde.

Es gibt in Hongkong Hochhäuser, in denen über mehrere Etagen reichende Löcher freigelassen sind und hunderte Quadratmeter Mietfläche verlorengeht, weil, wie es heißt, dem Drachen, der auf dem Berg dahinter wohnt, der Weg zu seinem täglichen Bad im Meer nicht versperrt werden darf. „Pling“, sagte mein iPhone vom Nebentisch aus und es klang, als hätte es Einwände. Ich beschloß, ein breites Kreuz zu machen und mich loyal zu meinem iPhone zu verhalten.

„Ich vermeinte den Facebook-Geräuschen Zustimmung zu entnehmen.“

„Man nennt das Aberglaube“, sagte ich. „Eine wunderbare Methode, sich die Arbeit und das Leben kompliziert zu machen. Aber man fühlt sich dann einfach besser. Also, warum nicht?“

„Immer nur Vernünftigsein ist doch schrecklich“, sagte der Besuch und klaubte die Papierkugel wieder auf.

„Die Verrückten haben einfach die besseren Geschichten“, sagte ich und vermeinte, dem dezenten metallischen Geräusch des Smartphones, das von den üblichen Facebook-Aktivitäten herrührte, so etwas wie Zustimmung zu entnehmen. „Wenn dir Wissenschaftler nach Jahren mühevoller, wahrhaftiger Forschung erzählen, dass die Pyramiden innerhalb von relativ kurzer Zeit von nicht einmal richtig versklavten Arbeitern fast nur mit Muskelkraft gebaut worden sind, dann klingt das grau und matt gegenüber den Verfechtern von, sagen wir: der Theorie, die Pyramiden seien als Landemarkierung für Captain Ashtars rosarote Ufoflotte gebaut worden.“

„Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, mach Pläne“, sagte der Besuch.

Dabei ist Vernunft etwas Feines. Mit ihrer Hilfe läßt sich zum Beispiel ganz einfach zeigen, dass Astrologie Käse ist. Wenn sich die Sterne auf das Schicksal auswirken würden, müßten alle Horoskope bis 1846 falsch sein – James Challis hat erst damals den Planeten Neptun entdeckt.

Man möchte gern seine Selbstverantwortung abgeben

Mein Rechner signalisierte eintreffende Mails, Wettergeräusche im Kommunikationszeitalter. „Feng Shui, Astrologie, Pyramiden-Ufos – die ganze Esoterik folgt einer bestimmten Leitlinie: Man möchte gern seine Selbstverantwortung abgeben. Man möchte, dass es eine Instanz gibt, die einem die ganze Leberei und Arbeiterei und Existiererei abnimmt. Schicksal, du überschüttest mich mit Unvorhersehbarem! Ich kann da nichts dafür und erleide alles nur.“ Mein iPhon schwieg und hörte zu. Es weiß immer, was ich tue. Nachts ist es still, und erst wenn ich es in der Früh das erste Mal wieder bewegt habe, um nach der Uhrzeit zu sehen, fängt es wieder an, mich mit Benachrichtigungen zu bepiepsen.

Der Besuch erzählte von dem magischen Schalter, den es in den Sechzigerjahren an einem Computer am Massachussetts Institute of Technology gab. Er hatte zwei beschriftete Stellungen, „magic“ und „more magic“, und er war auf „magic“ geschaltet. Hinein führte nur eine einzige Kabel-Ader, nicht zwei, die nötig gewesen wären, um Strom in den Schalter zu schicken. Und jedesmal, wenn man den Schalter auf „more magic“ stellte, stürzte der Computer ab.

In den Steintafeln der Hacker-Kultur, dem Jargon File hat ein ehemaliger MIT-Student die Geschichte aufgeschrieben, die sich noch mit exotischen Theorien über Kriechströme befaßt und dann berichtet, der alteingesessene MIT-Hacker Richard Greenblatt habe den Schalter mit einem Teppichmesser abgeschnitten, und ab da sei der Rechner nie mehr abgestürzt. Der Mann, der die Geschichte aufgeschrieben hat, erzählt, dass er den Schalter immer noch im Keller aufbewahrt, „und vielleicht bin ich ein bißchen verrückt, aber ich habe ihn immer auf „more magic“ stehen.“

Der Fachchinese setzt den Wert von Immobilien fest

Feng-Shui funktioniert im übrigen ziemlich profan. Mit dem Lo Pan, einer scheibenförmigen Art Kompaß mit Symbolen, ermittelt der Fachchinese die Qualitäten eines Orts. In Hongkong werden gern als Armbanduhr getarnte Mini-Lo-Pans verwendet, damit niemand erkennt, dass das Feng Shui einer Immobilie eingepeilt wird. Ein Gerücht über guten oder schlechten Harmoniefluß eines Grundstücks kann dessen Preis explodieren oder kollabieren lassen. Man kann mit Aberglauben eine Menge Geld verdienen.

Wir teilten uns zwei Glückskekse zum Kaffee. Ich sage nicht, was auf dem Papierstreifchen stand, nur dass es wie eine SMS wirkte, die von einer höheren Macht ausgesandt worden war. Plötzlich wollte der Besuch doch noch los in den jungen Abend. Fand ich gut, mein iPhone auch. Ehe wir losgingen, führte ich noch einen YouTube-Clip vor, den ein junger Büroangestellter in Tokio aufgenommen hatte. Eine Woche aus seinem Leben, in einer Minute. 13- und 14-stündige Arbeitstage. Ganz am Ende steht er erschöpft in seiner winzigen Wohnung und versucht, eine Papierkugel in einen Papierkorb zu werfen, wie in einen Basketballkorb. Und daneben.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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