© Richard Ankrom

Peter Glaser: Zukunftsreich

Der Schild-Bürger

Entdeckt ein Mensch ein unberührtes Stück Land, so macht er es urbar, indem er Schilder aufstellt, zum Beispiel „Vorsicht – ziemlich viele Schilder in 200 m!“ Das El Dorado der Schilderfreunde aber ist das Internet. Es gibt keine Straßen mehr, nur noch Schilder. Verweise, Abzweigungen, Piktogramme. Die pure Regelung. Und Regelung heißt aber noch lange nicht Ordnung.

Mit dem Internet hat der Mensch eine vollkommen neue Dimension des Durcheinanders erschaffen, einen reichen, schöpferischen Humus. Das großartigste Hilfsmittel dabei ist das Web, das es ermöglicht, nicht mehr nur Bücher und Zettel durcheinanderzuschmeißen, sondern nun auch Bilder, Filme, komplette Diskurse und - Stichwort Internet of Things - inzwischen auch zunehmend reale Dinge aller Art.

Der Hypertext des Web ist ein über die ganze Welt miteinander verbundenes Komplettchaos, in dem sich die immer weiter anwachsende Weltinformations- und -kulturmasse klumpt. Hyper heißt, man kann einen Text nicht mehr nur einfach von vorne bis hinten lesen, sondern nun auch noch nach oben, unten, links, rechts und in die Tiefe. Um die Wirrnis zu lichten, gibt es Google und verschiedene Formen von Ignoranz.

In den virtuellen gordischen Knoten der Hyperlinks ist inzwischen die ganze Welt in die Globalisierung der Unaufgeräumtheit eingebunden. Dazu gibt es nun Ent-Ordnungssysteme wie das Tagging, in denen die Idee des Strukturierens überhaupt aufgegeben wird. An ihre Stelle treten dynamische Wortwolken.

Ziel der digitalen Revolution ist es, die Unübersichtlichkeit zu universalisieren. Jeder soll alles von überall aus durcheinanderbringen können. Ordnen kann jeder Depp. Der wahre Fortschritt kommt aus dem Chaos.

Ein künstlerisch wertvolles Verbrechen

Nun gibt es einige gesellschaftliche Strukturen, die sich der Ent-Ordnung hartnäckig entziehen, zum Beispiel der Straßenverkehr. Es ist einfach zu gefährlich, obwohl sich auch hier schon das digitale Verhängnis heranarbeitet. Mit immer smarteren und bald autonomen Fahrzeugen öffnen sich die Fahrzeuge, so wie es die abgeschlossen auf den Schreibtischen stehenden PCs in den Achtzigerjahren getan haben, dem Netz und damit der unendlichen Welt neuer Fehlerquellen. Zwar sind in einem modernen Auto bereits bis zu Hundert Sensoren zugange, aber der Verkehrsfluß ist davon noch nicht in seiner Ordnung berührt. Die wiederum erreicht an manchen Stellen bemerkenswerte, stille Höhepunkte.

In den frühen Morgenstunden des 5. August 2001 traf sich der kalifornische Künstler Richard Ankrom mit ein paar Freundenauf der einer Brücke über den Freeway 110 in Los Angeles, um ein Verbrechen zu begehen, das Ankrom jahrelang geplant hatte. Vor vielen Jahren war er einmal aus seinem heimatlichen Orange County Richtung Norden auf dem Freeway unterwegs gewesen und hatte auf dem Weg durch Downtown Los Angeles eine Ausfahrt verpaßt und sich verfahren. Aus irgend einem Grund kam er darüber nicht weg.

Jahre später, als er nach Los Angeles gezogen war, fuhr er die gleiche Strecke und sah zu dem großen, grünen rechteckigen Schild hoch, das über dem Freeway angebracht war, und ihm wurde klar, warum er vor Jahren die Ausfahrt verpasst hatte.

Das Schild war nicht ausreichend beschriftet.

Caltrans - das California Department of Transportation - hatte einen Fehler gemacht.

Ankrom, ein Künstler und Schildermaler, beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und die fehlende Information auf dem Schild unterzubringen. Er wollte das Schild hacken.

Das perfekte Verkehrszeichen

Ankrom sah sich als eine Art gemeinnützigen Guerilla. Er begann die Verkehrzeichen von Los Angeles zu studieren, hielt Farbfächer dagegen, um die perfekte Lackfarbe zu bekommen und kletterte auf den Cerkehrszeichenbrücken herum, um die genauen Abmessungen der Schilder in Erfahrung zu bringen. Er vergrub sich in ein Handbuch mit dem Akronym MUTCD, das „The Manual on Uniform Traffic Control Devices“, die Verkehrszeichenbibel, in der alle einheitliche Standards und Spezifikationen für alle offiziellen Verkehrseinrichtungen in Kalifornien beschrieben sind.

Er kopierte alles bis hin zum Schriftbild und besprühte sein Schild sogar mit einer dünnen Schicht Grau, so dass es nicht allzu neu aussah. Wäre er erfolgreich, würde niemand wissen, dass das Schild nicht von Caltrans stammte. Ankrom signierte sein Schild auf der Rückseite mit einem schwarzen Marker, wie ein Maler seine Leinwand.

Entdeckt!

Die Installation war mit der Präzision eines Bankraubs geplant. Er schnitt sich die Haare, kaufte sich Arbeitskleidung, einen Schutzhelm und eine orange Weste und brachte einen Aufkleber an seinem Pick-up an, der aussah wie von einem Caltrans Auftragnehmer. Er hatte Angst, verhaftet zu werden, aber es war zu spät. Die Installation dauerte keine 30 Minuten.

Ein Jahr lang wußte nur eine Handvoll Leute, dass das Schild über dem Freeway 110 eine Fälschung war, dann erzählte einer von Ankroms Freunden einer Lokalzeitung davon und Caltrans bekam Wind von der Sache. Ankrom hoffte, dass er zumindest sein Schild zurückbekommen würde, um es in einer Galerie ausstellen zu können. Aber Caltrans hatte das Schild nicht herunternehmen lassen. Sein Guerilla-Verkehrszeichen hatte vor den strengen Augen der Prüfer bestanden. Sie ließen es hängen. Beim nächsten Erneuerungsdurchgang wurde der von ihm angebrachte Hinweis auch auf zwei weiteren Autobahnschildern übernommen.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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