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Peter Glaser: Zukunftsreich

Die große Verbindung

Zum ersten Mal aufgefallen war es mir wegen meiner Liebe zu alten James-Bond-Filmen. Ich kannte sogar ein kleines Kino, in dem sie ausschließlich Bond-Filme spielten, immer eine Woche lang einen, dann den nächsten, und wenn ein neuer rauskam, wurde er einfach dazwischengeschoben. Ein Freund von mir teilte meine Vorliebe, und wir sahen uns die Filme in dem Kino wieder und wieder an und beteten gelegentlich mal zum Unwillen der anderen Zuschauer minutenlang Dialoge, die wir auswendig kannten, im Tonfall einer Kirchenlitanei mit („Ist er jetzt tot?“ – „Das will ich doch hoffen“).

Ein sonderbares Phänomen

Selbstverständlich hatte ich die Filme alle auch auf Video, aber es gab ein sonderbares Phänomen. Obwohl ich also eigentlich jeden Tag Bond rauf und runter hätte sehen können, schaute ich mir die Videos, wenn ich allein war, so gut wie nie an. Wenn ich aber zufällig einen Bond im Fernsehen erwischte - ich hatte schon damals längst aufgehört, das Fernsehprogramm zu lesen, das Fernsehen war für mich eine mediale Form des Wetters geworden, dem man sich einfach ergibt -, dann sah ich ihn mir an bis zum Schluss. Weil ich wusste, dass auch andere den Film zur selben Zeit sahen wie ich und weil das ein stilles, gutes Gefühl war. Besser, als unabhängig vom Programmschema alleine ein Bond-Video zu gucken.

Ich will damit nicht sagen, dass es keine gute Idee ist, selbstbestimmt über das Fernsehprogramm und andere Medieninhalte verfügen zu können – das, was in den Anfängen des digitalen Medienwandels „on demand“ hieß („auf Nachfrage“) und heute mit Mediatheken, YouTube und Streamingdiensten längst Alltag ist.

Schulter an Schulter mit Fremden

Bemerkenswert ist, dass es eine Art und Weise gibt, sich durch die Medien mit anderen Menschen verbunden zu fühlen, die grundunters unabhängig von Inhalten ist. Etwa, in einem dunklen Kinosaal zu sitzen und, Schulter an Schulter mit Fremden, zutiefste Empfindungen miteinander zu teilen. Die alten, konsumistischen Medien, die man einfach nur zu sich nehmen konnte, schenkten uns dieses Gefühl der Verbundenheit in einer verheißungsvollen Naivität. Man konnte geradezu den Eindruck haben, dass man sich mit einer ganzen Menge anderer Menschen einig war – da es wenige Möglichkeiten gab, die vermeintliche Einigkeit in Frage zu stellen.

Durch das Netz und portable Medien wie Smartphones hat sich dieses Gefühl des Verbundenseins auf bemerkenswerte Weise vertieft. Die junge Frau, die einem abends entgegenkommt, blauhell beleuchtet vom Display ihres Mobilgeräts, dem sie wie ein vergesslicher Schauspieler dem Souffleur zugewandt ist, während sie sich mit seiltänzerischer Selbstverständlichkeit über den Gehsteig bewegt, ist, wie auch die meisten von uns anderen, hingezogen zu dieser verführerischen Verbindung.

Ein bisschen wie eine Droge

Das Internet macht es einem zunehmend schwer, ganz für sich sein zu wollen. Es ist ein bisschen wie eine Droge, die einem die Angst vor dem Alleinsein nimmt, dafür aber abhängig von ständiger Gemeinschaftlichkeit macht. Junge Menschen haben es nun nicht mehr so einfach dabei, erwachsen und unabhängig zu werden. Mit Facebook auf ihrem Handy haben sie die Wohngemeinschaft, die bisher den Übergang von der heimischen Nestwärme in die kühle Welt der Selbständigkeit abgemildert hat, ständig in der Jackentasche. Es gibt auf Facebook auch kein „Guten Tag“ oder „Auf Wiedersehen“ mehr. Unabhängig davon, ob man online ist oder nicht: Wer einmal drin ist, bleibt es auch.

Der Autor Peter Glaser sehnt sich manchmal nach medialer Unverbindlichkeit.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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