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Peter Glaser: Zukunftsreich

Die Maschine gegen den Tod

1997 ließ der britische Kybernetiker Kevin Warwick sein Buch „March of the Machines“ („Der Marsch der Maschinen“) mit einem düsteren Zukunftsszenario beginnen. Warwick vertritt die Ansicht, dass die Erdbevölkerung bereits Mitte des 21. Jahrhunderts von vernetzter Künstlicher Intelligenz (KI) und unvorstellbar überlegenen Robotern beherrscht werden wird, denen der Mensch bestenfalls noch als Hilfskraft dienen kann.

Das größte Ereignis der Menschheitsgeschichte

Im Mai letzten Jahres wandten sich vier prominente Wissenschaftler - der Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek, der Kosmologe Max Tegmark, der Computerwissenschaftler Stuart Russell und der berühmteste Physiker der Welt, Stephen Hawking - mit einem Appell an die Leser des britischen Independent. Sie warnten davor, hochintelligente Maschinen als bloße Science Fiction abzutun: „Eine künstliche Intelligenz erfolgreich in Gang zu setzen, wäre das größte Ereignis der Menschheitsgeschichte. Bedauerlicher Weise könnte es auch das letzte sein, so lange wir nicht lernen, wie man die damit verbundenen Risiken vermeidet.“

Wovor fürchten sich diese Leute? Sie haben Angst vor der technologischen Singularität. So bezeichnen Futurologen den Moment, ab dem eine Maschine sich selbst verbessern kann und ihre Leistungsfähigkeit geradewegs explodiert. Sie haben Angst, dass ein solches ultra-intelligentes System sich gegen seinen Schöpfer wenden könnte. Auch Elon Musk, Gründer des privaten Raumfahrtunternehmens SpaceX und von Tesla Motors, gruselt sich – Künstliche Intelligenz sei „potentiell gefährlicher als Atomwaffen“. Musk stellte 10 Millionen Dollar für ein Forschungsprogramm zur Verfügung, das die positiven Seiten der KI hochhalten soll.

Dummheit mal Geschwindigkeit

Was eigentlich ist Künstliche Intelligenz? Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach, denn auch natürliche Intelligenz ist keine einheitliche Qualität, auch wenn ein durch Tests meßbarer Intelligenzquotient das suggeriert. Intelligenz ist ein Sammelbegriff für die verschiedenen Arten von Informationsverarbeitung, derer ein Mensch fähig ist.

Einige dieser Fähigkeiten, etwa die Mustererkennung, sind für technische Anwendungen von großem Interesse. Das betrifft die Fähigkeit, einen Text maschinell zu lesen und - etwa wenn er in eine Suchmaschine eingegeben wird - ihn möglichst gut zu „verstehen" ebenso, wie das automatische Erkennen einer brenzligen Situation auf einer Straßenkreuzung, in die selbststeuernde Fahrzeuge geraten können.

Natürliche Intelligenz ist die Fähigkeit, auf die Welt zu reagieren, indem man nur gerade so viel Information aus dem unendlichen Angebot herausfiltert, wie man braucht, um zu überleben (früher) oder ein angenehmes, interessantes Leben zu führen (heute).

Unbelebte Dinge könnten lebendig werden - etwa Computer

Die Befürchtung, dass Maschinen die Menschheit unterjochen oder vernichten könnten, hat tiefe Wurzeln. Sie hat zu tun mit der Angst - und zugleich der Hoffnung -, dass unbelebte Dinge lebendig werden könnten. Die alten Ägypter gaben ihren Verstorbenen kleine Arbeiterfiguren - Uschebtis genannt - mit ins Grab, die mit Anweisungen in der Art von Computerprogrammen beschriftet waren und in denen erstmals die Idee eines Roboters auftaucht. Sie sollten für den Verstorbenen im Jenseits Arbeiten erledigen.

Dieser Aberglaube hat seinen Weg bis in die Gegenwart gefunden. Die Vertreter der sogenannten „Harten KI“ sind davon überzeugt, dass sich in einem Computer irgendwann, irgendwie ein lebendiges Bewußtsein bilden wird. Sie gehen davon aus, dass das Gehirn als Trägersubstanz nicht unbedingt notwendig ist und der menschliche Geist ebensogut in einen Computer hochgeladen werden kann. Für Marvin Minsky, einen der Urväter der Idee, ist KI der Versuch, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.

Ein künstliches Wesen von Menschenhand

Immer wieder erscheint in der Kulturgeschichte die Vorstellung eines von Menschen geschaffenen künstlichen Wesens. In der jüdischen Literatur taucht im Mittelalter der Golem auf, ein riesiges Wesen aus Lehm, das Anweisungen folgt, geschaffen „von Weisen mit Hilfe von Buchstabenmystik“ (heute würde man sagen: von Programmierern). Auch Frankensteins Monster, das durch Elektrizität zum Leben erweckt wird, erinnert in seiner modularen Bauweise an die verschiedenartigen Bestandteile, aus denen das Wissensgebiet der Künstlichen Intelligenz zusammengesetzt ist.

Das zentrale Problem der KI aber ist die Komplexität der Welt. Während ein Mensch im Lauf seines Lebens lernt, ein tiefgehendes Wissen über die ihn umgebende Welt aufzubauen und daraus Erkenntnisse abzuleiten und Zusammenhänge zu bilden, versuchen es Computer mit einer Mischung aus Dummheit und Geschwindigkeit, dazu noch Faustregeln - sogenannte Heuristiken - und einer Menge anspruchsvoller Mathematik, Stichwort Neuronale Netze.

Das Intelligenteste an einem Schachprogramm aber sind immer noch die Menschen, die es programmiert haben.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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