Die Revolution der Zwerge

Die Revolution der Zwerge

Während die moderne Welt immer vernetzter und kommunikativer wird, steigert sich die Komplexität in einem Maß, bei dessen Bewältigung uns die klassischen Denkmodelle im Stich lassen. Computer helfen uns zumindest dabei, „Dinge schneller zu erledigen, die wir ohne Computer überhaupt nicht hätten erledigen müssen", wie Marshall McLuhan schon vor einem halben Jahrhundert wusste. Sie eröffnen uns die Möglichkeit, Nachrichten zu verbreiten, noch ehe man überhaupt weiß, was man sagen will und Werbebotschaften anzubieten, noch ehe es ein Bedürfnis gibt, dem sie entsprechen.

Massenmedien verwandeln sich nun in Medienmassen, und in den sozialen Netzen entscheidet nicht mehr der Sender über die Verbreitung einer Nachricht, sondern die Empfänger, die aus der Nachricht eine Kaskade entstehen lassen können.

Konsumenten sagen „ich“, Bürger „wir“Aber Märkte, ob für handfeste Waren oder Kommunikationsprodukte, sind nicht darauf ausgelegt, das zu tun, was demokratische Politik leistet. Sie verlangten bisher, dass über private statt öffentliche Kanäle kommuniziert wird, erlaubten den Konsumenten allenfalls, über ihr Konsumieren mit den Herstellern der Produkte zu sprechen und verhinderten gleichzeitig, dass man als Bürger miteinander redete, etwa über die sozialen Folgen der privaten Marktentscheidungen. Konsumenten sagen „ich“, Bürger „wir“. Märkte regeln sich eher vertraglich als kommunitaristisch. Sie streicheln unser individuelles Ego, lassen unser Bedürfnis nach Gemeinschaft aber unerfüllt. Sie bieten Güter und Träume an, aber keine gemeinsame Identität oder kollektive Teilhabe. Mit dem Netz hebt der gemeinschaftliche Gestus nun wieder sein Haupt.

Wir formieren eine Regierung der EthikEs entstehen neue Gruppen, die nicht mehr auf Geografie beruhen. Der Nachbar ist nun nicht mehr der Mann von nebenan, sondern die Person, die meine Interessen teilt. John Perry Barlowe spricht von einer „Regierung der Ethik“, die den herkömmlichen Staatsapparat ablösen könnte: „Jeder einzelne muß in dieser digitalen Umgebung mehr Verantwortung übernehmen, nicht zuletzt, weil sich zeigt, dass die nationalen Regierungen der Aufgabe nicht länger gewachsen sind."

Es gibt eine Schlüsselerwartung, dass die neuen Technologien die Gemeinschaft dem Staat überlegen machen. Die Vernetzung ist an einem Punkt angelangt, an dem die weitere Verbreitung bloßer Computernetze nicht mehr genügt. Mit der Entwicklung der Dampfmaschine war das Eisenbahnnetz gebaut worden, danach das Stromnetz, das Telefonnetz und die modernen Straßensysteme. Heute überzieht ein Netz aus Wissen und Ideen die Erde.

Zwerge auf den Schultern von RiesenAls Bernhard von Chartres Ende des 10. Jahrhunderts das erste Mal den Begriff „modern“ verwendete, schrieb er dazu in einem Gleichnis: „Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen. Wir können weiter sehen als unsere Ahnen und in dem Maß ist unser Wissen größer als das ihrige – und doch wären wir nichts, würde uns die Summe ihres Wissens nicht den Weg weisen.“

Mehr und mehr bestimmen nun Soziale Netze die Entwicklung des Internet. Anders als im alten Internet, das einer endlosen Schaufensterreihe glich, kann man heute nicht mehr nur bereitgestellte Inhalte abrufen, sondern selber mitmischen.

Das Parkplatz-Orakel Ross Mayfield etwa startete vor einiger Zeit auf der Foto-Community Flickr einen Bilder-Pool für Fotos, auf denen Firmenparkplätze im Silicon Valley zu sehen sind – den Parking Lot Indicatr. “Mein Onkel war einer der Gurus an der Wall Street”, erläutert Mayfield, “und als Junge habe ich ihn mal gefragt, wo ich das Geld anlegen kann, das ich als Zeitungsausträger verdiene. Er sagte, ich solle mir am Wochenende die Parkplätze der Firmen im Silicon Valley ansehen.” Ist der Parkplatz voll, steht die Firma möglicherweise gerade vor einem entscheidenden Durchbruch – Kandidatin für ein Investment. Früher bedeutete das für Mayfield, ziemliche Strecken mit dem Fahrrad abzuradeln. Heute hat er einen Freundeskreis aus mobilen Bloggern mit Videohandys oder Digitalkameras. Sie tragen ihre Erkenntnisse in dem gemeinsamen Pool zusammen.

Als erstes ändern sich die Begriffe. Wir leben nicht im Informationszeitalter, sondern im Kommunikationszeitalter. Oder anders gesagt: Menschen interessieren sich nicht für Maschinen – Menschen interessieren sich für Menschen.

Peter Glaser Zukunftsreich

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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