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Peter Glaser: Zukunftsreich

Facebook und der Schwanzhund

Also. Vor ein paar Tagen will ich wie jeden Tag bei Facebook nachsehen, ob der Cyberspace noch steht. Plötzlich: Sicherheitsüberprüfung. Damit auch gewährleistet ist, dass ich auch tatsächlich ich bin. Damit alles sicherer bleibt. Ich soll entweder meine Telefonnummer eingeben oder auf Fotos einige Facebook-Freunde identifizieren.

Die Aufforderungen sind so dreist, dass ich im ersten Augenblick denke, mein Zugang sei gehackt worden. Es gibt keine Möglichkeit, die Abfrage zu überspringen. Aber meine Telefonnummer hat Facebook nach wie vor nicht zu interessieren. Ich habe den Eindruck, dass der Druck wieder um ein paar Atü erhöht werden soll, mit dem die Freiwilligkeit von Angaben persönlicher Daten sozusagen unabwendbar gemacht werden soll. Also dann die Fotos. Darunter stehen jeweils ein paar Namen, von denen einer der richtige ist. Ich bin auf Facebook mit mehr als 2.000 Menschen in Kontakt – ich weiß doch nicht, wie die alle aussehen. Facebook ist jener Teil der Realität, in dem man Freunde hat, die man nicht kennt.

Dann eine Warnung
Am Ende läßt mich der Software-Türsteher durch. Vielleicht hab ich alle richtig geraten. Vielleicht war die Zugangskontrolle fehlertolerant und man durfte ein, zweimal danebenraten. Als ich noch am Gymnasium war, gab es da einen Lateinlehrer, der deshalb verhasst war, weil er bei Prüfungen nur sagte: „Falsch“, aber nicht, WAS falsch war. Er half nicht. Wir Schüler haben das als unsozial empfunden.

Dann eine „Warnung“ von Facebook: „Hallo – Inhalte, die du auf Facebook geteilt hast, wurden aufgrund eines Verstoßes gegen die Erklärung der Rechte und Pflichten von Facebook entfernt. Geteilte Inhalte, die Nacktheit oder jegliche andere Art von expliziten sowie sexuell anzüglichen Inhalten enthalten, sind auf Facebook nicht gestattet. Diese Nachricht gilt als Warnung. ...“ Beim nächsten Mal könnte nicht nur einem „Inhalt“, sondern auch mir selbst die Auslöschung drohen.

Datenbestattungsanlagen und Blogs

Ich muß das erklären. Seit ein paar Jahren betreibe ich ein kleines Blog, in dem ich Fundstücke aus meinen täglichen Streifzügen durchs Netz ausbreite. Wenn ich früher etwas Schönes oder Komisches gefunden habe, habe ich es gebookmarkt, also einer Liste mit Lesezeichen für Websites hinzugefügt. Die Liste wurde immer länger und ich hatte keine Zeit, sie nochmal durchzugehen, und andere Leute konnten sie auf meinem Rechner nicht sehen. Ich betrieb eine Datenbestattungsanlage. Also fing ich an zu bloggen, das heißt: die Fundstücke waren jetzt öffentlich und andere konnten auch was davon haben. Meist versuche ich, das Fundstück noch ein bißchen anzureichern mit zusätzlicher Information, einem Link, derlei.

Neulich habe ich ein Foto aufgegabelt, auf dem ein schlafender Hund zu sehen ist. Durch einen Zufall löst das Foto im menschlichen Wahrnehmungssystem das aus, was man ein Vexierspiel nennt. Einmal sieht man einen Hund. Dann sieht man die Umrisse eines riesigen Penis. Dann wieder einen Hund. Der Fotograf hat das mit erheitertem Staunen im Dateinamen vermerkt („Mein Hund sieht aus wie ein flauschiger Penis“).

Ein letzter Triumph für Loriot
Wir halten fest: Der Hund kann nichts dafür (Wofür?), der Fotograf auch nicht. Etwas passiert im Bewußtsein des Betrachters. Facebook hat das Hundefoto, dem ich aus Gründen den Titel „Schwanzhund“ verliehen habe, gelöscht und mich verwarnt (Wofür?). Unter dem Bild habe ich vermerkz: „In memoriam Loriot“. Ein Link führt von dort auf die Scrabble-Szene aus dem Loriot-Film „Ödipussy“ (!), in der zwei ältere Damen und ein Herr im Anzug Worte legen, unter anderem „Quallenknödel“, „Hundnase“ und „Schwanzhund“. Man kommt dort zu dem Schluss, dass es das von Tante Mechthild gelegte Wort „Schwanzhund“ nicht gibt. Als ich das Foto des schlafenden Hunds gesehen habe, war mir sofort – und auf eine triumphale Weise, an der Loriot sich ruhig noch hätte mitfreuen dürfen – klar: Gibt es doch! Ein neues Wort, das schon mal provisorisch geschaffen worden war, war nunmehr faktisch in die Welt getreten. Ich bin Schriftsteller, für mich ist das etwas Großes und Feines.

Selbstverständlich habe ich für den Fall eines sittlich oszillierenden Fotos wie das des schlafenden Hunds Kriterien, die ich befrage, ehe ich ein solches Fundstück empfehle. Ich bedenke, dass in meiner Liste von sogenannten Facebook-Freunden lauter Erwachsene sind. Ich freue mich, dass sich durch den Verweis auf Loriot eine gewisse zivilisierte Selbstverpflichtung, nicht in unpassende Richtungen zu assoziieren, in die Sache bringen lässt – und zwar ohne Spielverderber sein zu müssen und indem es weiter vergnüglich bleibt, nunmehr als kleiner Tribut an den großen Vicco von Bülow.

Die Facebook-Anti-Porno-Brigade
Bei Facebook scheint der Inhalt von „Inhalten“ aber niemanden zu interessieren. Es geht offenbar eher darum, sich die Teilnehmer mit möglichst geringem Arbeitsaufwand vom Leib zu halten. Sie sollen brav miteinander spielen und den Reklamerand lesen, sonst fliegen sie raus. Das ist das Gegenteil von sozial.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Schwanzhund auf den Index geraten sein kann. Das Blog „Gawker“ berichtete Mitte Februar von einem Marokkaner, der – für einen Dollar in der Stunde – für ein Subunternehmen im Auftrag von Facebook in einer Art Anti-Porno-Brigade tätig war (und sich missbraucht und ausgebeutet fühlte). Wie sollte so jemand die Ironie dieser Schwanzhundgeschichte erkennen, den eigentlichen Inhalt dieses kleinen - per se sozialen - Kommunikationsversuchs? Stattdessen entsteht eine missverständliche, vergröberte Situation, die pornografisch tut. Die zweite Möglichkeit: Ein anderes Facebook-Mitglied hat den Beitrag als „anstößig“ gemeldet. In dem Fall nimmt kein Mensch mehr mit einem Kontakt auf, sondern eine Software zur Prozessautomation im Geschäftsverkehr (ZCC der neuseeländischen Firma Zeacom), die einem einen Textbaustein zustellt.

Die Witzerklärung – ein sozialer Vorgang
Ich bin bereit, zu akzeptieren, dass es Menschen geben könnte, die Loriot nicht kennen, weshalb auch immer. Ich bin, sofern sich dadurch bewaffnete Auseinandersetzungen vermeiden lassen, äußerstenfalls auch bereit, Witzerklärungen zu geben. Es ist ein Marsch durch ein tiefes Tal, aber wenn es der Verständigung dienen sollte, erkläre ich auch, warum ich etwas komisch finde und was überhaupt das Komische an dem Komischen ist. Das ist dann zwar nicht mehr komisch, aber dafür hat man es erklärt. Es hat, mit anderen Worten, ein in der Bilanz positiver sozialer Vorgang stattgefunden.

So etwas erwarte ich in einem Verein, der sich „soziales Netzwerk“ nennt, schon an der Garderobe. Daran, dass es da gar keine Garderobe gibt, kann man aber schon die Qualität der Probleme erkennen. Die sozialen Netze sind eine Welt, in der wir uns nun zusätzlich befinden, und zwar in einer bemerkenswerten Totalität. Diese Netze umgeben uns wie Sauerstoff – nicht ganz so lebensnotwendig, aber wie total sie uns umgeben, merkt man als erstes daran, dass in dieser Welt niemand mehr grüßt oder sich verabschiedet. Alles ist immer da, wir auch.

Eine Software spricht Verwarnungen aus
Die Betreiber dieser globalen Gastwirtschaft, in der es nichts zu trinken gibt und die dafür auch nichts kostet, sind eigenartig unsozial, mit Abstand führend darin ist Facebook. Hier hat nicht einmal mehr der Große Bruder ein Gesicht. Eine Software spricht Verwarnungen aus: Du wirst gelöscht, wenn du dich nicht an die diffusen, schwammigen Regeln hältst. Das Betriebssystem meines Computers Siezt mich, ich schätze das. Von Fachebook werde ich ungefragt geduzt. Sie hätten dort gerne, dass wir miteinander in der digitalen Sandkiste spielen und Vati und Mutti in Ruhe lassen. Marc Zuckerberg möchte, dass niemand mehr erwachsen zu werden braucht und stattdessen alle in der Nestwärme der großen virtuellen Wohngemeinschaft treiben wie in lauwarmer Nährlösung.

Das Geschäftsmodell von Facebook besteht nicht darin, eine neue soziale Öffentlichkeit zu schaffen, wie viele irrtümlich glauben. Der Raum, in dem die 800 Millionen Facebook-Nutzer sich bewegen, ist keine Öffentlichkeit – es ist der Verfügungsbereich von Privatunternehmen. Und die haben das Hausrecht, wie in einer Kneipe oder in einem Einkaufszentrum. Sie können mich rausschmeißen, wenn ihnen meine Nase nicht passt oder mich gar nicht erst reinlassen. An der diktatorischen Kultur des Türstehertums kann man sich schon seit längerem an die wachsende Willkür der neueren Zeit adaptieren.

Makes me haha
Was den Schwanzhund angeht: Das Foto nebst Loriotlink habe ich außer bei Facebook auch bei Google+ und bei Pinterest, dem aktuellen letzten Schrei unter den sozialen Netzen, platziert. Bei Google+ gab es dazu einen fast 100 Kommentare umfassenden, zum Teil kontroversen Austausch von Meinungen, den ich bedeutend sozialer finde als die verständnislose Löschung. Bei Pinterest, einem weltweiten digitales Riesen-Pinbrett, das bevorzugt von Frauen frequentiert wird, kann ich sogar sehen, wie die Schubladen der persönlichen Bildersammlung heißen, in die Nutzerinnen den Schwanzhund jeweils abgelegt haben – etwa „Humor“, „LOL“, „makes me haha“ oder „Love“.

Peter Glaser Zukunftsreich

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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