© dpa/Uwe Anspach

Wissenschaft & Blödsinn

Halten Sie sich gefälligst an die Naturgesetze!

Hummeln können nach den Gesetzen der Physik überhaupt nicht fliegen. Aber die Hummel weiß das nicht, und daher fliegt sie trotzdem.

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz schon gelesen habe. Motivationstrainer schreiben ihn gerne auf ihre Webseiten und reden ihren Kursteilnehmern dann ein, man müsse nur ganz fest an etwas glauben, damit es in Erfüllung geht. Geld nehmen sie für die Trainingsstunde dann aber trotzdem, den Kontostand können sie sich offenbar nicht durch bloßes Wünschen erhöhen.

Wissenschaftlich betrachtet ist die Geschichte vom unmöglichen Hummelflug natürlich falsch. Eine Hummel ist für Insekten-Verhältnisse ziemlich schwer, und ihre Flügel sind nicht besonders groß. Wenn man Gewicht und Flügelfläche in Formeln einsetzt, mit denen man normalerweise das aerodynamische Verhalten von Flugzeugen berechnet, dann kann man tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass hier irgendetwas nicht stimmt.

Aber was haben wir damit bewiesen? Ganz einfach: Dass eine Hummel nicht auf dieselbe Weise fliegen kann wie ein Flugzeug. Sehr schön – aber das wussten wir vorher auch. Daraus zu schließen, dass die Hummel wissenschaftlich betrachtet flugunfähig sein muss, ist genauso schlau, wie Schokokuchenrezepte mit einem thailändischen Kochbuch zu vergleichen und daraus zu schließen, dass der Schokokuchen niemals ein ordentliches Hühnercurry werden wird und daher ungenießbar sein muss.

Die Flügel einer Hummel sind nicht starr wie die Tragflächen eines Flugzeugs, die Hummel erzeugt unter ihren Flügeln kleine Wirbel, die für Auftrieb sorgen. Das ist wissenschaftlich durchaus interessant, natürlich hat man das schon längst untersucht und verstanden. Nur die Motivationstrainer wissen das nicht, und daher reden sie noch immer Unfug.

Interessant daran ist aber, dass es tatsächlich noch immer Leute gibt, die Wissenschaft bloß für eine grobe Empfehlung halten, der man sich einfach mal widersetzen kann, wenn man darauf Lust hat. Doch zwischen dem Gravitationsgesetz und Regeln wie „keine braunen Schuhe bei Abend-Cocktailpartys“ besteht in Wahrheit doch ein ziemlich massiver Unterschied.

Mein Quantenphysikprofessor Wolfgang Kummer erzählte gerne die Geschichte von einer Umwelttechnikerin, die Stadtbeamten die Theorie von Stoffkreisläufen erklärte. Bei der Müllverbrennung sind die zugeführten Atome, am Ende noch immer irgendwo vorhanden, das sei ein Naturgesetz, meinte sie. „Aber Sie wissen doch, wie das mit Gesetzen ist“, sollen die Beamten dann geantwortet haben. „Die kann man immer so oder so auslegen.“

Unmögliche Mikroskopie

Wahr ist natürlich, dass man in der Wissenschaft vorsichtig sein muss, wenn man etwas für unmöglich erklärt. Was man auf den ersten Blick für ein strenges Verbotsgesetzt halten könnte, ist manchmal vielleicht gar keines. Ein schönes Beispiel dafür ist die moderne Lichtmikroskopie. Lange Zeit hieß es, mit Licht könne man niemals Strukturen abbilden, die wesentlich kleiner sind als die halbe Lichtwellenlänge. Die Physiker Ernst Abbe und Baron Rayleigh hatten das mit sauberen mathematischen Formeln ausgerechnet. Intuitiv ist das auch irgendwie naheliegend – schließlich kann ich mit zentimetergroßen Mosaiksteinen auch keine millimeterfeinen Details darstellen. Heute gibt es trotzdem verschiedene Mikroskopie-Techniken, die diese Regel aushebeln. Für solche Methoden wurde 2014 sogar der Nobelpreis für Chemie vergeben. Wurden hier Naturgesetze gebrochen? Nein, natürlich nicht. Man hat sich nur etwas fundamental Neues ausgedacht.

Aufgrund der Welleneigenschaften des Lichts wird ein Punkt von einer Linse niemals völlig präzise auf einen Punkt abgebildet, jeder Punkt erscheint ganz zwangsläufig ein bisschen verschwommen, als kleine Scheibe. Wenn man also ein Objekt mit feinen Details abbildet, dann erzeugen alle Punkte des Objekts solche Scheibchen. Sie überlagern sich gegenseitig, sodass am Ende keine feinen Details mehr sichtbar sind.

Doch wenn man schlaue Methoden entwickelt, die Punkte des Objektes getrennt voneinander aufleuchten zu lassen, bekommt man immer nur ein einzelnes Scheibchen, das nicht mit den Nachbarscheibchen verschwimmt. Dann muss man bloß den Mittelpunkt dieser Scheibe bestimmen und dort einen Punkt einzeichnen. Wenn man ein Objekt auf diese Weise Schritt für Schritt abrastert kann man Punkt für Punkt das ganze Objekt zusammensetzen. Man erhält ein vollständiges Bild, auf dem man nun deutlich kleinere Details erkennen kann, als die Herren Abbe und Rayleigh je für möglich gehalten hätten.

Ihre Rechnungen waren natürlich trotzdem richtig. Naturgesetz bleibt Naturgesetz. Man kann es niemals brechen. Aber mit ein bisschen Kreativität kann man manchmal eine Gesetzeslücke entdecken. Und das ist genau der Unterschied zwischen der dummen Geschichte über die Hummel und der echten Wissenschaft: Der Erfolg ergibt sich nicht aus dem Ignorieren von Unmöglichkeiten. Verbesserte Varianten der Lichtmikroskopie wurden von Leuten entwickelt, die sehr genau wussten, dass ihr Vorhaben mit herkömmlichen Methoden nicht zu erreichen war. Genau deshalb schafften sie es, neue Konzepte zu entwickeln. Wenn man ein Problem hat, dann braucht man mehr Wissen, nicht weniger. Und bloßes Glauben an das Unmögliche hat noch nie zu einem Nobelpreis geführt.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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