Peter Glaser: Zukunftsreich

Ikea und die fünfte Dimension

Unter irdischen Verhältnissen ist die Lichtgeschwindigkeit eine flotte Sache. Die rund 6.800 Kilometer Luftlinie zwischen Wien und New York ließen sich lichtschnell 44 mal pro Sekunde zurücklegen. Zum Mond sind es 1,3 Lichtsekunden. Bis zum Mars braucht das Licht bereits 12,5 Minuten. Eine Konversation zwischen Bodenstation und Astronauten wäre bei dieser Signalverzögerung schon nicht mehr möglich.

Unter interstellaren Verhältnissen sieht es nochmal anders aus. Um mit einem Expeditionsteilnehmer zu sprechen, der sich im sonnennächsten Sternsystem Alpha Centauri befindet, würde ein Funkspruch mehr als vier Jahre unterwegs sein – in eine Richtung. Alpha Centauri ist 40,6 Billionen Kilometer von unserem Sonnensystem entfernt, das sind 4,3 Lichtjahre. Unter diesen Umständen werden Distanzen tyrannisch.

Nun kann man, ohne die bekannten Naturgesetze zu brechen, leider nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit miteinander kommunizieren. Es könnte aber doch sein, dass es Abkürzungsmöglichkeiten gibt, so ähnlich wie bei Ikea, wo man nicht durch die ganze Ausstellung laufen muß, wenn man versteckte Türen in den Kojen kennt, durch die man bestimmte Bereiche einfach überspringen kann – im Falle weltraumweiter Nachrichten sogar mit superluminaler - also überlichschneller - Geschwindigkeit. Wie das?

Einsteins Relativitätstheorie - genauer gesagt: die Mathematik dahinter - erlaubt Dinge wie Wurmlöcher, die man sich als starke Krümmungen im Raumzeitkontinuum vorstellen kann. Um es an einem Beispiel anschaulich zu machen: Wenn man zwei Punkte auf ein Blatt Papier zeichnet und sie mit einer Linie verbindet, ist das der kürzeste Weg auf der Papier-Ebene. Man kann das Blatt aber auch so falten, dass die beiden Punkte genau übereinander liegen und man mit einer Stecknadel vom einen auf den anderen Punkt durchstechen kann. Da es aber unwahrscheinlich ist, dass Wurmlöcher im Kosmos so akkurat deckungsgleich übereinander liegen, würden sie durchgereichte Nachrichten zwar beschleunigen, aber nicht augenblicklich am anderen Ende ankommen lassen. Immerhin.

Eine spukhafte Fernwirkung

Eine andere Möglichkeit böte die sogenannte Quantenverschränkung, ein bemerkenswertes physikalisches Phänomen, das schon Einstein 1935 beschrieben hat – allerdings als einen vermeintlichen Irrtum, eine „spukhafte Fernwirkung“. Inzwischen weiß man: Es ist kein Irrtum, Quantenverschränkung gibt es tatsächlich. Sie besagt, dass zwei Teilchen auch in großem Abstand voneinander immer denselben Zustand annehmen, so als stünden sie ständig miteinander in Verbindung (was aber nicht der Fall ist). Ändert ein Teilchen seinen Zustand, geschieht das sofort auch bei dem anderen, egal wie weit entfernt es ist. Würde dazu ein Signal zwischen den Teilchen ausgetauscht, müßte es sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen. Das aber verbieten, siehe oben, die Naturgesetze.

Hätte man ein solches Quantenpaar, von dem das eine Teilchen sind auf der Erde befindet und das andere in einem Raumschiff bei Alpha Centauri, würde sich eine Zustandsänderung an einem der beiden Partikel tatsächlich an beiden Orten gleichzeitig bemerkbar machen. Ohne zusätzliche Erläuterung, wie diese Zustandsveränderung nun zu interpretieren wäre, wären Beobachter an beiden Orten allerdings auch nicht schlauer. Die Vorstellung, man könne diese Veränderungen in einer Art Quanten-Morsecode aufeinanderfolgen lassen und damit Nachrichten übermitteln, führt in die Irre. Jede einzelne Messung (= Veränderung) führt immer zu einem für sich genommen unvorhersagbaren Ergebnis – unabhängig davon, ob das andere Teilchen bereits gemessen wurde oder nicht. Erst, wenn auch das Ergebnis der anderen Messung bekannt ist, könnte man die Korrelation ausnutzen. Das aber müßte vermittels klassischer, unterlichtschneller Kommunikation geschehen. Und schon müssen wir wieder vier Jahre auf die Nachricht von Alpha Centauri warten.

Nur mit Überlichtgeschwindigkeit, niemals langsamer

Dann gibt es noch hypothetische Teilchen, die neben Physikern auch Science-Fiction-Freunde und Esoteriker interessieren: die Tachyonen. Das griechische Wort tachýs bedeutet schnell, und das sind die Tachyonen auch. Sie können sich, sollte es sie tatsächlich geben, überhaupt nur mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen, niemals langsamer.

Wie auch die Quantenverschränkung, entstammen sie den mathematischen Gebilden, die Einstein ersonnen hat. Im Unterschied zu ersterer, die bereits vielfach experimentell erprobt worden ist, wurden Tachyonen bisher aber nirgends außer in ein paar Formeln gesichtet. Zu den Spezialitäten der bizarren Teilchen gehört auch, die Abfolge von Ursache und Wirkung umkehren zu können, also erst die Wirkung eintreten und dann die Ursache stattfinden zu lassen. Star Wars-Fans läßt das an die sonderbar umgedrehte Grammatik von Yoda denken. Und nicht nur in Star Trek nutzt man tachyonische Tricks, um Botschaften in lang versunkene Vergangenheiten zu schicken. Sofern Tachyonen nicht nur als exotische mathematische Möglichkeit existieren sollten, könnten wir sie aber nach allem, was wir heute wissen, trotzdem weder erzeugen noch aufspüren. Womit sie, jedenfalls vorerst, als ultraschnelles Kommunikationsmittel ebenfalls ausfallen.

Hyperkommunikation

Überlichtschnelle Kommunikation wäre ein echtes Plus für Weltraumexpeditionen wie die der Raumsonde Rosetta, die seit August 2014 den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko umkreist und im November 2014 den Lander Philae abwarf, was eine Reihe von Problemen nach sich zog. Die Funkverzögerung zu dem Kometen beträgt gut 30 Minuten, ehe ein mögliches Problem also überhaupt für die Bodenstation sichtbar wird, weitere 30 Minuten, um Signale zu senden, die aufgetretene Schwierigkeiten beheben könnten, und dann noch eine weitere halbe Stunde, um zu sehen, ob es funktionieren hat. Philae war außerhalb des vorgesehenen Zielgebiets im Schatten gelandet und in einen Standby-Winterschlaf versunken, aus dem er erst am 13. Juni 2015 nach einer Annäherung an die Sonne wieder erwachte.

Tachyonen als auch die Quantenverschränkung scheinen also keine sehr verheißungsvollen Wege zur Hyperkommunikation zu sein. So bleiben als Hoffnungsträger die Wurmlöcher, durch die sich Nachrichten hintenherum durch das Raumzeitkontinuum schleichen können. Diese Möglichkeit, ungeheuer fern und doch ganz nah zu sein, führt uns heute noch an die Grenzen von Wissenschaft und Technik. Aber heute ist noch nicht morgen.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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