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Peter Glaser: Zukunftsreich

Koschere Maschinen

Kugel“ ist keine jüdische Suchmaschine, sondern eine traditionelle Nachspeise. Die „Kugeln” wurden ursprünglich aus Brot und Mehl gemacht und populär, als in Deutschland das Brot durch Nudeln ersetzt und die Grundlage für das variantenreiche Dessert gelegt wurde – vor etwa 800 Jahren. Der Minnesänger Wolfram von Eschenbach begann damals gerade mit seinem Parzival-Epos.

In der jüdischen Küche spielt Tradition eine große Rolle. Und wer fromm sein und kochen will, für den es gibt strenge Regeln. Von Freitagabend nach Sonnenuntergang bis Samstagabend, wenn die ersten drei Sterne am Himmel zu sehen sind – an Sabbat also – ist es orthodoxen Juden nicht erlaubt, zu arbeiten, zu schreiben oder Feuer, beziehungsweise dessen moderne elektrische Entsprechungen, anzuzünden. Im Haushalt heißt das: kein Herd, kein Backofen und kein Lichtschalter, der betätigt werden darf. Die jüdische Küche ist durch das Feuerverbot am Sabbat inspiriert und kennt zahlreiche Speisen, die vor Sabbat-Beginn auf kleiner Flamme aufgesetzt werden und dann ganz langsam garen.

Es werde nicht Licht!

Die technischen Beschränkungen in der Küche wußten findige Gläubige seit langem elegant zu umgehen. Manche klebten den Kontakt in der Kühlschranktür ab, der beim Öffnen das Licht im Inneren einschalten würde (was verboten ist). Andere schraubten, ehe am Freitag die Sonne unterging, das Glühbirnchen aus der Fassung. Manche Herde waren früher mit einer Sicherheitsautomatik ausgestattet, die das Gerät nach 12 Stunden von selbst abschaltete. Ein am Freitagabend eingeschalteter Ofen war also vor dem Abendessen am Samstag wieder kalt.

Kühschrank im Sabbat-Modus

Einige Gerätehersteller bekamen mit, dass dadurch für manche Juden die Vorbereitung des Nachtmahls kompliziert wurde. Sie ließen die Sicherheitsautomatik überarbeiten. Der „Sabbat-Modus" war geboren.

Mit dem Einzug von High-Tech in die Küche wurde es aber zunehmend schwieriger, erstere mit herkömmlichen Methoden zu überlisten. Sensoren in Kühlschränken sind nicht mehr so einfach ruhigzustellen wie die alten mechanischen Fühler. Inzwischen lassen sich die Entwickler von Hausgeräten aber dabei beraten, wie man Maschinen Sabbat-kompatibel machen kann.

Ist an einem Ofen oder einem Kühlschrank der Sabbat-Modus aktiviert, bleibt die Innenbeleuchtung aus, die Anzeigenfelder erlöschen, Töne und Lüfter sind stillgelegt. Hightech-Geräte verwandeln sich für 24 Stunden wieder in schlichte Nachkriegstechnik. Damit kein Benutzer unabsichtlich eine vermeintliche Betriebsstörung auslöst, ist der Sabbat-Modus meist in einem abgelegenen Seitenzweig der Benutzerführung untergebracht.

Die Maschine tut, als wäre sie alt

Nicht immer ist es einfach, der Technik ein Schnippchen zu schlagen. In amerikanischen Kühlschränken von General Electric beispielsweise wurde eine automatische Temperaturanpassung ausgelöst, wenn man ein paarmal hintereinander die Tür öffnete. Von Menschen ausgelöste Temperaturregelung aber ist an Sabbat verboten. Gelöst wurde das Problem, indem die Kühlschranksoftware nun so tun kann, als wäre sie ein Modell aus den neunziger Jahren – mit statischer Temperaturanpassung.

Die KoscherLamp

2009 verklagten die britische Schulleiterin Dr. Dena Coleman und ihr Mann Gordon ihre Hausverwaltung, weil diese ein via Bewegungsmelder gesteuertes Treppenhauslicht hatte installieren lassen, um Energie und Kosten zu sparen. Die Colemans beklagen, dass sie seither an Samstagen in ihrer Wohnung eingesperrt seien. Das Licht einzuschalten bedeute für sie als orthodoxe Juden einen schwerwiegenden Verstoß gegen ein religiöses Gebot. Die Miteigentümer wurden aufgefordert, die Hausverwaltung zur Installation eines speziell anzufertigenden Überbrückungsschalters zu veranlassen, der den Bewegungsmelder an Sabbat außer Kraft setzt. (Bei der Unterkunft handete es sich um die Ferienwohnung von Familie Coleman.)

Die Frage, wie man zum Teil jahrtausendealte Regeln zeitgemäß auslegt, wird immer wieder neu verhandelt. Oft finden sich pragmatische Lösungen, mit denen sich religiöse Anweisungen alltagstauglicher machen lassen, ohne die strengen Buchstaben des Gesetzes zu verletzen. Auch orthodoxe Juden sind keineswegs Maschinenstürmer. Im Bus surfen Haredim mit ihren iPhones durch den Internet-Talmud, im Sammeltaxi hören sie laut Thora-Techno auf ihrem iPod. Die Kontrolleure der jüdischen Speisegesetze in Restaurantküchen sollen Webcams weichen. Und Gebete kann man nun direkt an die Klagemauer twittern.

Eine unökologische Lösung

Auch für das Problem mit dem Treppenhauslicht gibt es inzwischen eine technische Teillösung: die „KoscherLamp“. Sie besteht aus einem kleineren Zylinder, der in einem größeren steckt, beide unurchsichtig, aber mit einem kleinen Sichtfenster ausgestattet. Wenn man den inneren Zylinder, in dem sich die Glühbirne befindet, so dreht, dass die beiden Fenster sich decken, gibt die Lampe Licht; dreht man den Zylinder weiter, wird das Licht wieder verdeckt. Wird die Glühbirne vor Sabbat eingeschaltet, gibt es kein Problem mehr mit dem „Feuermachen“. Da die Birne im Inneren der KoscherLamp den ganzen Samstag hindurch unverändert brennen müßte, wäre das allerdings weder ein ökologischer noch ein ökonomischer Fortschritt.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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