Recep Tayyip Erdoğan und Jan Böhmermann
Recep Tayyip Erdoğan und Jan Böhmermann
© APA/AFP/BRITTA PEDERSEN/SEBASTIAN CASTANEDA

Peter Glaser: Zukunftsreich

Moderne Heiterkeit

„Das Traumziel der Künstlichen Intelligenz wäre erreicht, wenn ein Computer einen Stummfilm mit Buster Keaton sieht und an den richtigen Stellen lacht“, skizzierte Professor Wolfgang Wahlster, damals Vorstandsmitglied im Sonderforschungsbereich „Künstliche Intelligenz“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ende der Achtzigerjahre das große Ziel. Viel nähergekommen ist man ihm in den letzten drei Jahrzehnten allerdings nicht, außer dass Software oft unabsichtlich komische Ergebnisse liefert und man bisweilen von Heiterkeit erfasst wird, weil die Entwicklung der digitalen Technologie mit einer solchen Geschwindigkeit vonstatten geht, dass schon wenige Jahre alte Geräte lachhaft plump und antiquiert wirken.

Aber nicht nur Maschinen haben Probleme mit Humor. Der TV-Satiriker Jan Böhmermann hat gerade ein satirisches Gedicht veröffentlicht, durch das der türkische Präsident Erdogan sich geschmäht fühlt. Bereits hier hat man als Österreicher ambivalente Empfindungen, da das Schmähführen hierzulande durchaus als soziale Errungenschaft angesehen wird. Es öffnet Spielräume, wenn man nicht alles so ernst nimmt. Die Deutschen sehen das schon anders. Sie lachen nicht einfach zu ihrem Vergnügen. Schon gar nicht, wenn, wie mit Böhmermanns lästerlicher Lyrik, auch Toleranzgrenzen sichtbar gemacht werden und zu allem Überfluss noch ein Staatspräsident sich dazu hinreißen lässt, eine ziemlich alberne außenpolitische Affäre aus dem ganzen zu machen.

Wirklich komisch

Böhmermann ist vom Fernsehen geholt worden, weil er ein brillanter und authentischer Vertreter der Internet-Generation ist. Außerdem ist er wirklich komisch, was man nicht von jedem sagen kann, der im Fernsehen moderne Heiterkeit zu verbreiten sucht. Böhmermann ist geschult an der harten, teils rüden Kommunikationskultur in Foren, Blogs und Kommentarbereichen, und nun bekommt das Fernsehen Angst vor der eigenen Courage und möchte wieder so nett und brav tun wie bevor es das Netz gab. Aber die Zahnpasta kriegt man nicht mehr zurück in die Tube. Mitsamt Rechtsabteilung machen die Böhmermann-Vorgesetzten keine gute Figur. Eigentlich hat man einen Chef, damit er ein breites Kreuz für einen macht, wenn‘s kritisch wird.

Ich fasse einen Querschnitt der Berichterstattung in den verschiedensten Medien zusammen, wenn ich sage, dass Präsident Erdogan offenbar ein ziemlich lichtempfindliches Gemüt zu besitzen scheint es nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist, dass er überzogen reagiert. Überhaupt kann ich die ganze Aufregung türkischerseits über das Böhmermann-Gedicht nicht verstehen, da es darin vor allem gegen die Deutschen und ihre klischeehaft - und satirisch - zusammengefassten Vorurteile geht. In einer Zeit, in der mit dem Internet als Katalysator vehement um die Meinungsfreiheit als Fundament moderner Gesellschaftsformen gekämpft wird, greift das türkische Staatsoberhaupt zu hysterischen Methoden, die ihn in ein ungünstiges Licht rücken, in die Nähe von Despoten nämlich, die dieses Netz und die ganzen ungezogenen Leute darin ausschalten, abschalten und domestizieren wollen – und jeder, der seine „Neo Royale“-Sendung schon mal gesehen hat, weiß: Jan Böhmermann ist der idealtypische Repräsentant des Internet im Fernsehen.

Einstweilige Vergnügung

Bisher hat man ihn, erstaunlich genug, in seiner ganzen hochvergnügten Schärfe unterstützt, weil er getan hat, wofür er engagiert wurde, nämlich ein junges, medienversiertes Publikum auch weiter ans Fernsehen zu binden. Nun liegt genau deshalb eine einstweilige Vergnügung wegen Majestätsbeleidigung gegen ihn vor und es ist einfach nicht zu fassen, dass jemand bei einem Satiriker so tut, als wäre alles ernst gemeint. Zudem weiß jedes Kind, dass bei dem Versuch, einen Witz und seine scharfe Würze zu übersetzen, zumeist alles verloren geht. Humorlosigkeit ist, nebenbei gesagt, ein zuverlässiges Merkmal, an dem man Fundamentalismus jeder Schattierung erkennen kann.

Ich bin vor einiger Zeit von Facebook für ein paar Tage gesperrt worden, weil ich das Foto eines Hundes gepostet hatte, der zufällig so dalag, dass seine Umrisse einem riesigen, flauschigen Penis ähnelten. Um sicherheitshalber noch einen Hinweispfeil „Achtung, Witz!“ dranzumontieren, hatte ich als Bildunterschrift einen Link auf den Loriot-Filmausschnitt gewählt, in dem Tante Mechthild beim Scrabble-Spielen das Wort „Schwanzhund“ erfindet. Wie ich danach herausgefunden habe, gibt es eine Facebook-Antipornobrigade, die aus schlecht bezahlten Mitarbeitern, rekrutiert in Marokko oder Pakistan, bestand. Wie soll ein Pakistani die für einen Deutschkundigen unmissverständliche Ironie erkennen, die in der Bildunterschrift zum Ausdruck kommt? Eine Humor-dekontaminierte Welt wäre ein deutlich zu hoher Preis für die Globalisierung. Humor, das Herzeigen der Zähne, ist die friedlichste Art der Aggressionsäußerung, die es gibt. Humor ist Zivilisiertheit, und Humor erfordert Toleranz, und zwar tatsächliche, nicht jeweils die, die einem gerade in den Kram passt.

Ist beleidigte Leberwurst eigentlich harām? Ich bin dafür, dass Döner jetzt erst einmal so lange in Böhmer umbenannt wird, bis Herr Erdogan sich wieder so benimmt, wie man es von einem souveränen Staatsoberhaupt erwartet – nämlich souverän.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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