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Peter Glaser: Zukunftsreich

Neoismus - die ewig neue Krankheit

„Neu neu neu“, stieß mein Besuch hervor und tat so, als sei er ein Maschinengewehr.

Altaltalt“, hielt ich dagegen.

„Apfel-X“, sagte der Besuch und schnitt mich mit der virtuellen Tastenkombination aus. Aber so konnte die Geschichte nicht weitergehen. Ich war unvermeidlich, also holte ich mich wieder aus der Zwischenablage.

„Wo ist neu?“, fragte ich und dachte, er meint vielleicht eine neue Taste.

„Wie, wo?“

„Wo die neue Taste ist.“

„Ist eine kaputt?“

„Ich dachte, du meinst eine Taste.“

„Wie, Taste?“

„Ich dachte, vielleicht hat Apple gerade eine neue Taste rausgebracht.“

„Hast du deine Medizin wieder nicht genommen?“

„Die Neu!-Taste“, jubilierte ich.

„Und wozu wäre die?“

„Du drückst drauf und alles ist neu.“

„Cool“, sagte der Besuch. Und dann, nach einer kleinen Pause: „Ich glaub, das würd mich nervös machen.“

Fortschrittshysterie

Er sei neulich beim Arzt gewesen sei, weil ihn der Neuheitenwahn, welcher der Firma Apple mit aberwitzigem Druck von Börsenanalysten, Größenwahnsinnigen und Konkurrenten entgegengebracht wird, seinerseits ganz wahnsinnig mache. Jedes Jahr sowas Fundamentales wie iPod, iPhone, iPad zu erfinden, sei ohnehin Fortschrittshysterie.

Ich erklärte ihm, dass mir die Ticktack-Strategie von Apple gefiel. Tick: Etwas wirklich Neues präsentieren. Und Tack: Konsolidieren, statt gleich wieder etwas gewollt Neues hinterherzuschmeißen. Erstmal alles geschmeidiger machen. Es ist ein bisschen wie im Bergbau. Wenn man einen Stollen vorantreibt, um an die Nuggets zu kommen, sollte man ihn auch gut begehbar machen und immer wieder sichern.

Er habe dem Doktor seine zwanghafte Neigung zu Neuerungen beschrieben, sagte mein Besuch. „Wenn ich Filme sehe, langweilen mich die Bilder zu Tode. Ich will nur noch die Schnitte sehen, verstehst du?“ Ich nickte stumm. Mein Rechner auf dem Tisch sagte „Es gibt Updates!“ Der Besuch rückte ein Stück weg.

Ein Amt für äußerste Apple-Angelegenheiten

„Der Arzt meint, es sei eine Art übertakteter Lebensgeschwindigkeit. Ich bin konservatophob. Beständigkeitsgestört. Ich leide unter Neoismus.“

„Gibt’s von Apple nicht irgendwas dagegen?“

„Ich musste von Apple ja schon eine ganze Menge schlucken“, sagte der Besuch.

„Und? Hat’s geholfen?“

„Auf lange Sicht: ja. Aber dieses ständige Gehetze - bekommt das iPhone 7 nun einen Smart Connector oder nicht?, hin, her, auf, ab, - nein!“

„Man könnte“, sagte ich, „für angebliche Apple-Neuigkeiten eine eigene Behörde einrichten - das Minihysterium für äußerste Apple-Angelegenheiten (MFÄAA). Es ist ja nicht im öffentlichen Interesse, wenn die Leute glauben, dass alles eigentlich viel schneller besser werden könnte und unzufrieden sind.“

„Es gibt eine menschgerechte Erfindungsgeschwindigkeit. Und ich finde, bei Apple machen sie das ganz gut.“

„Neu“ hat einen unmoralischen Sexappeal

Die Entschlossenheit, sich überraschen zu lassen, macht den modernen Menschen so empfänglich für das sogenannte Neue. Das Neue ist ein Rausch, in den wir uns gemeinschaftlich begeben. „Neu“ ist das mit Abstand beliebteste Wort in der Werbung. Es hat einen unmoralischen Sexappeal. Einen polygamen Anreiz. Das Neue erwartet die ständige Bereitschaft, dem Bisherigen untreu zu werden.

Wenn das Wort „neu“ ein anderes berührt, vollzieht sich ein Zauber. Es erfrischt erschöpfte Begriffe wie ein Jungbrunnen. Das wirklich Neue aber ist immer erstmal ein Schrecknis. Ungewohnte Anstrengung, Umstellung, Zumutung. Revolution.

„Mach dein Update“, sagte mein Besuch.

Aber ich besorgte uns erst einmal neue Musik.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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