Voll fad
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Peter Glaser: Zukunftsreich

Parkhausdächer und Horrorfolien

In Online-Spielen können gelangweilte Gamer schon lange auf die Hilfe bezahlter chinesischer Profispieler zurückgreifen und sie quasi als Babysitter für den eigenen Account engagieren. Aus dieser Dienstleistung entwickelte sich in China eine regelrechte Langweilevernichtungsindustrie. Bei uns im Westen dagegen gibt es leidenschaftliche Langeweile-Enthusiasten, welche die Freuden der Unterstimulation sogar propagieren.

Auf der seit 2010 in London stattfindenden Langeweilekonferenz „Boring“ beispielsweise beschenken Vortragende die Zuhörer mit Betrachtungen über die unbegreifliche Schönheit von Parkhausdächern oder einer Lesung der kompletten Liste mit 415 Farbbezeichnungen aus einem Katalog für Malerfarben. Den angeödten Gesichtern im Publikum sei zu entnehmen gewesen, dass die Vorträge ins Schwarze getroffen hätten, vermerkte damals ein Berichterstatter.

Die im Mai abgehaltene „Boring 2014“ fand selbstverständlich an einem Sonntag statt und fadisierte unter anderem mit Einlassungen zur deutschen Sprache unter besonderer Berücksichtigung von Filmtiteln, einem Referat des „Mojo“-Herausgebers Andrew Male über das Bücherregal von Eric Clapton (Male hatte auf der Boring 2012 über die Geschichte und Bedeutung gelber Linien gesprochen), sowie einem Auftritt des amerikanischen Typografen Vincent Connare, der die berühmt-berüchtigte Schrifttype Comic Sans erfunden hat.

Computergestützte Langeweileerkennung

Während die Langeweilefreunde sich als revolutionäre Gegenbewegung zum Heer der informationsgejagten Internetmenschen sehen, entwickeln Forscher am berühmten Massachusetts Institute of Technology eine computergestützte Langeweileerkennung, um beispielsweise bei Referaten abfallende Aufmerksamkeit einfach an Sensoren ablesen (und später vielleicht auch den Vortragenden darauf hinweisen) zu können.

In den bekanntermaßen optimistisch ausgerichteten USA geht man im übrigen systematisch gegen die Plage vor und hält jeweils im Juli den nationalen Anti-Langeweile-Monat ab, in dem von allen möglichen Leuten jede Menge Ratschläge erteilt werden, was man gegen Langeweile unternehmen könne („Lerne eine neue Programmiersprache“). Erfunden hat den Anti-Langeweile-Monat der Kolumnist und PR-Spezialist Alan Caruba, der bis 2004 dem „Boring Institute“ vorstand, das er gegründet hatte, nachdem er 1984 Macy’s Christmas Day Parade in New York im Fernsehen gesehen hatte und schnell ein Institut brauchte, um eine Pressemeldung herausgeben zu können, in der stand, dass es in Wirklichkeit gar keine Macy’s Parade mehr gibt, sondern im Fernsehen immer nur die Aufnahmen einer alten Parade wiederholt werden.

Warum die Zukunft den Psychiatern gehört

Solche spezialisierte Wahrnehmung kann inzwischen auch Software übernehmen. Forscher an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh haben ein Programm namens „LiveLight“ entwickelt, das in Videoaufnahmen die langweiligen Stellen überspringen kann. Der lernende Algorithmus scant das Video automatisch, versteht, was passiert und schneidet sich wiederholende und ermüdende Stellen ohne menschliche Hilfe heraus.

Wobei die Automatisation wiederum eine Gefahr darstellt. Anläßlich der Weltausstellung 1964 in New York schrieb der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov auf, wie er sich einen Besuch auf einer solchen Ausstellung 50 Jahre in der Zukunft vorstellte – im Jahr 2014. Der Ausflug in die Zukunft endet skeptisch. Trotz - oder wegen - der immensen Fortschritte in der Automatisation „leidet die Menschheit bitterlich unter Langeweile, die mit jedem Jahr an Intensität zunimmt“, weshalb Psychiater die mit Abstand verbreitetsten Fachärzte sein werden. „Die wenigen Glücklichen, die irgend eine Art kreativer Tätigkeit ausüben können, werden deshalb zu einer Elite der Menschheit gehören, die mehr tut als nur Maschinen zu bedienen.“

Spaß mit Horrorfolien

Dabei gibt es durchaus schöpferische Methoden der Langeweilevermeidung, etwa das „PowerPoint-Karaoke“. Das von den Kreativen der Berliner „Zentralen Intelligenz-Agentur“ (ZIA) erfundene Prinzip ist einfach: Jeder Teilnehmer bekommt willkürlich eine im Internet gefundene Powerpoint-Präsentation zugeteilt und muss sie aus dem Stand möglichst überzeugend einem Publikum vorführen.

Die Umsetzung erfordert Flexibilität und Improvisationsvermögen, unter anderem, weil von den Veranstaltern gern so genannte „Horrorfolien" ausgewählt werden, also Präsentationen mit viel zu viel Text oder total eigenartigen Grafiken, die wahrscheinlich nicht einmal ihr Schöpfer selbst vollständig versteht. Es handelt sich um eine Art Astronautentrainingscenter für Langeweilebekämpfer, in dem es einem passieren kann, dass man ohne jedes Fachwissen über „Kohärenztomografie“ plaudern oder den Zuhörern „Innovative Verfahrenstechnik im chemischen Reinigungsprozess“ schmackhaft machen muß. Freiwillige treten mit dieser Aufgabe vor einer Jury gegeneinander an, der Gewinner wird am Ende per Applauslautstärke gekürt.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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