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Peter Glaser: Zukunftsreich

Peter Glaser: "Auf ewig Dein" - bis übermorgen

Forscher an der Universität Cambridge haben eine Methode entwickelt, mit der sich Papier, das mit einem Laserdrucker bedruckt wurde, wieder „entdrucken“ läßt. Das Verfahren, das mit verschiedenen Arten von Lasern funktioniert, soll die Wiederverwendung des Papiers ermöglichen. Man muß es dazu nicht erst wegwerfen und schreddern. Die klimaschädlichen Emissionen der Recycling-Industrie ließen sich durch das Entdrucken um die Hälfte reduzieren.

Mir gefällt das, weil ich Papierfetischist bin. Bei mir kommt kein Blatt Papier in den Müll, das nicht auf beiden Seiten benutzt worden ist. Das hat auch damit zu tun, dass ich in den siebziger Jahren in einer Papierfabrik in der Steiermark gearbeitet habe, wie sich das für einen angehenden Schriftsteller gehört. Die „grüne Mark“ ist voller Holz und entsprechend auch voller Papierfabriken. Das hatte damals zur Folge, dass die Mur nach dem Rhein der zweitschmutzigste Fluss Europas war. Einer der Ingenieure in der Fabrik erklärte mir, dass zur Herstellung eines Kilogramms Papier etwa 400 Liter Wasser rettungslos versaut werden. „Papierschnaps“ hieß sie die stinkende, braune Lauge, die am Ende in den Fluss geleitet wurde. Seither beschreibe und bedrucke ich Blätter auf beiden Seiten (auch wenn das Wasser in der Mur inzwischen wieder durchsichtig ist).


Niemand möchte sich mehr festlegen
Am Effizientesten wäre wohl eine neue Geräteklasse, die sowohl drucken als auch entdrucken kann. Wenn man neuen Toner braucht, schiebt man einfach alte bedruckte Seiten wieder ins Gerät. Wobei eine Tendenz der modernen Welt zutage tritt, die sich auch an immer mehr anderen Stellen bemerkbar macht: die zunehmende Unverbindlichkeit der Dinge, mit denen wir zu tun haben. Man möchte flexibel bleiben, sich alles offenhalten, keine endgültigen Entscheidungen treffen. Man möchte sich nicht festlegen müssen. Und immer mehr Dinge kommen uns dabei entgegen.

Ein Klassiker, der zwei einander eigentlich ganz und gar gegensätzliche Eigenschaften geradezu paradox in sich vereint, ist der Montagekleber Fixogum. Früher wurden damit die Papierlayouts von Zeitungen und Zeitschriften fixiert. Der Kleber tut, was man von einem Kleber erwartet, nämlich ordentlich kleben; zugleich läßt er sich aber auch wieder abziehen - und zwar spurlos -, wenn man ein festgeklebtes Schnipsel später vielleicht doch woanders haben möchte. Jeder richtige, echte Grafiker hatte in der versunkenen Ära vor Photoshop einen schmutziggrauen Knödel aus abgerubbeltem Fixogum auf seinem Zeichentisch liegen, mit dem sich jederzeit weitere Kleberreste wegradieren ließen.

Moderne Dinge geben den launischen Wünschen der Menschen nach
Heute im Internet-Zeitalter werden Informationen, Marken und auch menschliche Beziehungen immer toleranter, man könnte auch sagen: opportunistischer. Sie geben scheinbar widersprüchlichen Bedürfnissen statt. Man kann nun farbige Tätowierungen auf seiner Haut anbringen, die einige Tage lang selbst Seife und Schweiß widerstehen, und sich dann doch wieder abwaschen lassen. "Auf ewig Dein" - bis übermorgen. Schreibprogramme gestatten es, nach Herzenslust herumzuschmieren und einen virtuellen Text dennoch stets im Zustand der scheinbaren Reinschrift vor sich zu haben. Die modernen Dinge geben dem launischen Wandel des menschlichen Wollens immer weiter nach. Virtuelle Produkte schließlich verheißen die Strapazierbarkeit von Realitäten bis zum absoluten Paradox – Undo forever.

Aus Tatendrang wird Datendrang
Die Dinge sollen sich nur wie Katzen sachte an uns reiben. Sie sollen eine Witterung hinterlassen, ein Behagen, mehr nicht. Besitz ist ok, aber festgelegter Besitz belastet. Im Großen sehen wir das heute an den immensen Geldströmen, die auf der Suche nach immer neuen Invenstitions-Parkplätzen um den Globus hetzen. Inzwischen verwandelt sich von Informationen ausgelöster Tatendrang immer öfter in etwas, das man Datendrang nennen könnte. Zwar sind wir, im Gegensatz zu den in ihrer Nährlösung treibenden Gehirnen der TV-Ära, als Netzmenschen inzwischen interaktiv geworden. Aber ein Großteil dieser Aktivität bleibt in bester TV-Tradition konsumistisch: klicken und saugen.  Information sollte die Welt retten, so die Visionen der neunziger Jahre. Das Wissen der Menschheit liege vor uns im Zugriff. Aber “lebenslanges Lernen” bedeutet vor allem, dass Wissen und Erfahrung zunehmend von Entwertung bedroht sind.

Die ganze Welt steht auf Rollen
Wir möchten uns immer weniger gern festlegen, und die Technik soll uns dabei möglichst entgegenkommen. Zwar ist der Unterschied zwischen dem Inbild der Immobilität, einem Haus, und einem Wohnwagen, also einer mobilen Immobilie, nach wie vor wahrnehmbar. Aber im Inneren hat der Auflösungsprozeß längst begonnen. Immer mehr Möbel stehen auf Rollen, können jederzeit anderswohin. Jobs sind immer freier transformierbar, jemand, der heute Wirtschaftsminister war, kann morgen Verteidigungeminister sein. Der Computer schließlich macht aus der begrenzten Karnevalszeit ein ganzjähriges Kostümfest der Ideen und Werkzeuge – eine Maschine, die sich zunehmend erfolgreich in alle anderen Maschinen und Medien verwandelt, die zuvor in analoger Form schon da waren oder jetzt erst durch die Software-Leichtigkeit der Welt möglich und machbar geworden sind.

Peter Glaser Zukunftsreich

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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