„Wenn Apple Elefanten bauen würde, wäre Rüsselsheim längst auch in einen Patentstreit verwickelt“
„Wenn Apple Elefanten bauen würde, wäre Rüsselsheim längst auch in einen Patentstreit verwickelt“
© APA/TIERGARTEN SCHÖNBRUNN/Norber

Peter Glaser: Zukunftsreich

Spielfeld ist die ganze Welt

Wir spielten ein Spiel, schnell noch, weil man es vielleicht bald nicht mehr spielen kann. Mein Besuch und ich spielten Patentkrieg, Samsung gegen Apple. Erst einmal stand die heikle Frage im Raum, wer nun die Rolle von Samsung übernehmen sollte. Das Problem ist klassisch. Man kennt es vom Cowboy-und-Indianer-Spielen, wo man immer tendenziell lieber Indianer war, schon wegen des Bogenschießens, des Anschleichens und des Marterns. Da keiner von uns beiden freiwillig Samsung, der Patentplagiator sein wollte, warfen wir eine Münze. Zahl. Ich war Samsung. Warum auch nicht?

Es ist eine hypermoderne, multinationale Schlacht, die da seit mehreren Jahren tobt. Legionen von Anwälten, Zeugen und Gutachtern prügeln sich in 20 Ländern der Welt darum, der jeweiligen Gegenseite den Verkauf ihrer Produkte zu verbieten und Strafsummen in Milliardenhöhe wegen der Verletzung von Schutzrechten zu fordern – nun aber scheinen die Verfahren zum Stillstand zu kommen. Apple-Chef Tim Cook rückt von dem „thermonuklearen Krieg“ ab, den Steve Jobs aus Wut über das Ausmaß ausgerufen hatte, in dem sich die Android-Fraktion an den Ideen von iPhone und iPad bediente.

Da ich Samsung war, sagte ich nichts

„Angesichts der Weltlage“, dozierte der Besuch, „hätte Cook eigentlich als Kandidat für den Friedensnobelpreis nominiert werden müssen. Das ist doch eine große, versöhnliche Geste.“ Er versuchte, die Geste zu veranschaulichen, scheiterte aber. Seine Finger bewegten sich durch die Luft wie Wasserpflanzen in einem Aquarium. Da ich Samsung war, sagte ich erst einmal nichts.

Ich suchte die Anleitung, in der wir mal Regeln für diese Art Spiel versammelt hatten, konnte sie aber auf meinem Rechner nicht finden. Wir einigten uns auf eine Grundregel: Einer muss alle 10 Minuten etwas erfinden, dann ist der andere dran. Die Jury, die beurteilt, ob es sich auch um eine gescheite Erfindung handelt, bildeten wir beide.

„Geht los“, sagte ich und erfand den Abwalt.

„Wie, Abwalt?“

„Wenn es Anwälte gibt, muss es auch Abwälte geben.“

„Na gut. Jetzt ich.“

Wenn Apple Elefanten bauen würde

Der Besuch erfand die saftfreie Dackelpresse, aber die gab es schon. Also erfand er Schokolade mit Füßen, die zu einem kommt, wenn man sie ruft. Ich ließ ihm die durchgehen, mahnte aber etwas stärkeren IT-Bezug bei seinen Innovationen an. Dann gingen wir hinaus, um mit dem Bus zu fahren. Da keine Plätze mehr frei waren, sprach mein Besuch einen Jugendlichen an.

„Würdest du wohl aufstehen?“

„Tut mir leid“, sagte der Jugendliche, „das ist ein Siezplatz.“

„Wenn Apple Elefanten bauen würde, wäre Rüsselsheim längst auch in einen Patentstreit verwickelt“, sagte ich. Der Junge wusste, worum es geht.

Eine Mischung aus Freejazz ohne Musik und Schach

Alles hatte sich daraus entwickelt, dass mein Besuch und ich früher gelegentlich ein Spiel gespielt hatten, das wir Free-Schach nannten. Eine Mischung aus Freejazz ohne Musik und Schach. Wie beim Schach machte erst der eine, dann der andere einen Spielzug, aber was die Art der Züge anging, gab es beim Free-Schach keinerlei Beschränkungen. Als Spielfigur konnte ALLES fungieren - eine Jacke, ein Schrank, ein Zettel -, und Spielfeld war die ganze Welt. Eine Free-Schach-Partie begann meist mit Performance-artigen, aufsehenerregenden Spielzügen (etwa: Jemand hält ein Würstchen in den Deckenventilator einer Kneipe), um dann irgendwann in eine Diskussion darüber zu verzweigen, wie man nun eigentlich erkennen könne, wann eine solche Partie ausgespielt sei und wer gewonnen habe.

Der Geheimbildschirm

Es ist nämlich so: Wenn statt kleiner Kinder Erwachsene spielen, wird daraus etwas grundlegend anderes. Kinder spielen, um zu spielen. Erwachsene spielen, um zu gewinnen. Der Besuch erfand einen iMac, bei dem sich nicht nur die USB-Ports schwer zugänglich auf der Rückseite befanden, sondern auch der Bildschirm, er nannte das einen „Geheimbildschirm“. Einblicke darauf musste man sich über ein zugehöriges, komplexes Spiegelsystem machen, das hinter dem Rechner aufgebaut wurde. Mich als Samsung brachten die Spiegel ins Grübeln, und ob man da nicht noch etwas dazuerfinden konnte, um Frauen als Zielgruppe für Desktop-Systeme perfekt zu erschließen.

Leider übersah ich die Zeit und das ironische Lächeln, das sich wie Wasser auf einem Löschblatt von den Mundwinkeln des Besuchs her ausbreitete. „Du hast verloren“, sagte er dann, während wir aus dem Bus stiegen. Tatsächlich hatte ich seit einer Viertelstunde nichts mehr erfunden, nicht einmal etwas kopiert. So ein großes Unternehmen zu lenken, erfordert die volle Aufmerksamkeit.

Dann gingen wir wieder zu mir und suchten die Regeln für ein Spiel, das schon zu Ende war.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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