© dpa/Ole Spata

Wissenschaft & Blödsinn

Stringtheorie: Wissenschaft oder Blödsinn?

Stringtheoretiker haben es nicht leicht. Sie quälen sich mit zehndimensionalen Räumen herum, ihre Mathematik ist abstrakter als die, an der Albert Einstein fast verzweifelt wäre, und nicht einmal die Experimente am CERN können momentan klären, ob sie Recht haben oder nicht. Daher müssen sie sich immer wieder den Vorwurf anhören, ihre Rechnungen seien bloß mathematische Spielerei. Ist Stringtheorie nur eleganter Blödsinn? Nein, diese Behauptung ist unfair. Stringtheorie ist Wissenschaft – man muss sich nur klar darüber werden, was sie leisten kann und was nicht. Wer über seine Katze schimpft, weil sie keine Eier legt, hat etwas Wesentliches nicht verstanden.

In der Naturwissenschaft werden die meisten Theorien aufgestellt, um bestimmte Phänomene zu erklären, die man noch nicht versteht. Die Stringtheorie wurde hingegen mit dem Ziel erfunden, unterschiedliche physikalische Theorien zu vereinen – das ist etwas ganz anderes.

Die moderne Physik ruht auf zwei Grundpfeilern: Auf der einen Seite steht Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, mit der sich die Gravitation wunderbar erklären lässt, auf der anderen Seite die Quantenphysik (bzw. Quantenfeldtheorien), die so ziemlich alles andere beschreiben. Dummerweise lassen sich diese beiden Theoriegebäude in ihrer ursprünglichen Form mathematisch nicht kombinieren.

Die Stringtheorie ist der Versuch, eine allumfassende Theorie zu bauen und eine Quantentheorie mit Gravitation zu entwickeln. Dabei stößt man auf allerlei Merkwürdigkeiten: Es zeigt sich, dass eine solche Theorie mathematisch nur dann möglich ist, wenn es mehr als die drei Raumdimensionen gibt, die wir kennen: Mindestens sechs weitere Dimensionen muss es geben. Wenn man dann noch die Zeitachse dazuzählt, kommt man insgesamt auf eine zehndimensionale Raumzeit.

Es gibt keine Beobachtung, kein Experiment, das dieses Zusatzdimensionen nahelegen würde – wir vermuten sie bloß aufgrund von logischen Schlüssen, Symmetrieüberlegungen und höherer Mathematik.

Spazierengehen im Dimensionenknäuel

Das klingt seltsam. Wozu brauchen wir zehn Dimensionen? Warum können wir nach vorne gehen, nach links schauen und nach oben hüpfen, aber uns nicht schnell mal in Richtung der achten Dimension bewegen?

Ganz einfach: Die Zusatzdimensionen sind zusammengerollt. Das klingt jetzt schon wieder wie ein blöder Witz aus einer Science-Fiction-Filmparodie – ist aber tatsächlich eine wissenschaftlich sinnvolle Aussage. Wenn man sich in der achten Dimension ein winziges Stück seitwärts bewegt, kommt man sofort wieder am Ausgangspunkt an. Daher haben wir keine Chance, diese Dimensionen im Alltag zu bemerken.

Man kann sich das vorstellen wie die Oberfläche eines langen Seils: Ein talentierter Seiltänzer kann darauf herumturnen, aber er kann sich nur vor und zurück bewegen – für ihn ist das Seil eindimensional. Eine Ameise hingegen ist klein genug um zu erkennen, dass das Seil auch noch eine weitere, aufgerollte Dimension hat: Sie kann nicht nur vor und zurück, sondern auch rund um das Seil herumkrabbeln und kommt sehr rasch wieder am Ausgangspunkt an.

Das Problem mit diesen Zusatzdimensionen ist: Es gibt ziemlich viele verschiedene Möglichkeiten, sechs Raumdimensionen auf winzigen Distanzen aufzurollen. Wie diese Dimensionen miteinander verknotet, verwickelt und verwoben sind, weiß keiner. Aber ist das nicht egal, wenn diese Zusatzdimensionen ohnehin zu klein sind, um sie messen zu können?

Eben nicht. Die Grundbausteine der Welt sind Strings und Branes, winzige Seiten und Membranen, die in Schwingung versetzt werden können. Und sie sind klein genug, um auch von den eingerollten Dimensionen beeinflusst zu werden. Wie sich Strings verhalten, hängt von den mathematischen Eigenschaften der zusammengeknüllten Dimensionen ab, und die Schwingungen der Strings sind nichts anderes als die Teilchen, die es in unserem Universum gibt. Die geometrische Struktur der aufgerollten Dimensionen entscheidet daher darüber, welche Teilchensorten und Wechselwirkungskräfte die Physik überhaupt zulässt.

Katzenbabys und Gummistiefel

Das klingt zunächst ziemlich esoterisch. Was sagt uns das jetzt? Eine naturwissenschaftliche Theorie muss Vorhersagen machen, die sich überprüfen lassen. Wenn ich behaupte, dass die Rückseite des Mondes von einer hochentwickelten Zivilisation außerirdischer Katzenbabys besiedelt wurde, dann mag das ziemlich dumm sein, aber es ist eine wissenschaftlich zulässige Aussage. Meine Theorie ist prinzipiell widerlegbar. Wenn jemand ein Raumfahrzeug hinschickt und keine Katzenaliens findet, muss ich zugeben, dass ich falsch lag.

Wenn ich hingegen behaupte, dass ich in einem früheren Leben eine Ohrenqualle war, dass ich mich in einer emotionalen Resonanz mit dem Jupitermond Ganymed befinde, oder dass es ein Paralleluniversum gibt, das ausschließlich aus roten Gummistiefeln besteht, dann ist das unwissenschaftlich. Diese Aussagen sind prinzipiell unwiderlegbar, sie haben mit Wissenschaft nichts zu tun, sie sind in einer wissenschaftlichen Diskussion nicht erlaubt.

In welche Kategorie fällt nun die Stringtheorie? Schwingende Strings, die in merkwürdig eingerollten Dimensionen herumwuseln, die sich kein Mensch vorstellen kann und die sich bisher auch durch Messungen nicht untersuchen lassen, sehen auf den ersten Blick ziemlich unwissenschaftlich aus. Wenn man weder Strings noch den Erzengel Gabriel noch unsichtbare Einhörner vom Planeten Aldebaran durch Messungen untersuchen kann, sind dann nicht all diese Dinge auf dieselbe Weise unwissenschaftlich? Nein, nicht ganz.

Stringtheorie ist Wissenschaft

Im Gegensatz zu esoterischen Schwurbeleien ist die Stringtheorie durchaus darauf ausgerichtet, eines Tages Vorhersagen zu treffen. Wenn es irgendwann gelingt, die Geometrie von Raum und Zeit ausreichend gut zu verstehen, dann sollte daraus eine Theorie entspringen, die sehr wohl eine große Vorhersagekraft hat. Vielleicht sagt die Stringtheorie neue Teilchen vorher, die man dann messen kann? Vielleicht lässt sich aus rein geometrischen Überlegungen irgendwann erklären, warum unsere Teilchen genau die Massen haben, die wir beobachten? Das wäre ein großartiger Triumph.

Dass die Forschung an interdimensionalen Einhörnern irgendwann überprüfbare Ergebnisse liefert, ist nicht vorstellbar. Das der Stringtheorie das irgendwann mal gelingt, ist hingegen absolut möglich. Es wird nur einfach noch eine Weile dauern. Vielleicht ist sie einfach zu kompliziert, als dass man innerhalb eines einzigen Menschenlebens ans Ziel gelangen könnte. Soll man diese Forschung deshalb von vornherein aufgeben? Das wäre doch lächerlich! Die Menschheit hat sich immer schon große Ziele gesetzt. Im Mittelalter hat man Kathedralen errichtet, an denen Generationen von Arbeitern ihr Leben lang bauten. Wer den Grundstein legte, wusste ganz genau, dass er die Vollendung nicht erleben wird. Getan hat er es trotzdem. Warum sollte man bei einer großen, allumfassenden Theorie weniger Mut zeigen? Die Forderung nach überprüfbaren Aussagen ist wichtig – aber man muss darüber diskutieren, wie rasch wir solche Aussagen erwarten dürfen. Geben wir der Stringtheorie noch etwas Zeit!

In gewissen Sinn liefert die Stringtheorie sogar bereits überprüfbare Vorhersagen – allerdings eher auf Umwegen. Man hat nämlich merkwürdige Zusammenhänge zwischen der Stringtheorie und anderen Theorien gefunden (die sogenannte AdS/CFT-Korrespondenz). Deshalb kann man die Stringtheorie benutzen, um Probleme zu lösen, die eigentlich aus ganz anderen Bereichen kommen. Seltsamerweise kann man so zum Beispiel ein heißes Quark-Gluon-Plasma beschreiben, wie es in großen Teilchenbeschleunigern entsteht. Dafür hat man die Stringtheorie eigentlich nicht erfunden, solche Ergebnisse sind gewissermaßen ein nützlicher Nebeneffekt.

Vielleicht kann man die Stringtheorie eher mit der Mathematik vergleichen und nicht so sehr mit anderen physikalischen Theorien. Mathematik wird auch nicht in erster Linie betrieben, um ein beobachtbares Phänomen zu erklären, sondern um etwas über die grundlegende Struktur der Wirklichkeit zu lernen. Vielleicht sollten wir die Stringtheorie ganz abstrakt als Suche nach der mathematischen Struktur der Naturgesetze verstehen.

Möglicherweise liefert sie dann auch in ein paar Jahrzehnten atemberaubende Erfolge. Vielleicht erklärt sie irgendwann das Geheimnis der dunklen Materie, vielleicht hilft sie uns, zu verstehen, woher das Universum kommt. Wenn ein Goldgräber ein tiefes Loch gräbt, weiß er am Anfang auch nicht, ob sich die Mühen lohnen werden. Aber wenn er immer nur die Goldstücke einsammelt, die offensichtlich auf dem Boden herumliegen, dann werden ihm die größten Reichtümer verborgen bleiben.

Zum Glück gibt es kluge Leute, die für uns tief in der Mathematik herumgraben. Wir sollten uns darüber freuen und ihnen viel Glück wünschen.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

mehr lesen
Florian Aigner

Kommentare