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Peter Glaser: Zukunftsreich

Weltverbecherung

Es gibt in den Tiefen des dinggewordenen Wahnsinns verschiedene Abteilungen. An der Grenze zu den riesigen Arealen des Gadget-Aberwitzes befindet sich der Bereich mit den Dingen, die funktional, aber häßlich sind. Es folgen Dinge die peinlich oder unterschiedlich lächerlich sind (ein Kernbereich davon sind die sogenannten Scherzartikel). Dann gibt es eine Unendlichkeit von Dingen, die völlig unnötig sind, aber auf rätselhafte Weise reizvoll sein können, etwas wie Handyschmuck beispielsweise, Waffeleisen, mit denen man Waffeln in Tastaturform pressen kann oder Plüschhausschuhe mit dem Gesicht von Sigmund Freud. Und dann sind da die Dinge, die, ähnlich wie das Alien, dem Menschen in jeder Hinsicht feindlich gegenüberstehen. Sie sind unschön, nutzlos, rauben einem die Zeit und vergeuden Ressourcen.

Zu den Juwelen dieser Art gehört der Digital Photo Mug, ein Reisetrinkbecher mit einem angeflanschtem LC-Display, das so klein ist wie ein altes Glasdia, und das Digitalfotos anzeigen kann. Der Becher darf nicht ganz gefüllt werden, da man ihn neigen muß, um die Fotos zu sehen und sich andernfalls anschüttet.

Ein Gehirn, das in einer Nährlösung schwimmt

Eine Vorstellung von der Zukunft endet in manchen Science-Fiction-Geschichten mit einem Gehirn, das in einer Nährlösung schwimmt und auf technischem Wege mit seiner Außenwelt kommuniziert. Ein gruseliges Inbild totaler Bequemlichkeit. Auf dem Bechersektor gibt es inzwischen auch eine Entwicklung in diese Richtung: Edelstahlisolierte Kaffeebecher, in denen sich der Kaffee auf Knopfdruck automatisch selbst umrührt.

Ein kleiner Strudel entsteht in der warmen Flüssigkeit und zieht die Aufmerksamkeit des Kaffeetrinkers hinab. Mehr kann man eigentlich nicht falsch machen mit einem so kleinen Produkt. Die Becher sind multiple produktphilosophische Katastrophen. Davon abgesehen, dass Edelstahl kein angenehmes Material für Kaffeebecher ist, müssen wir an dieser Stelle über Faulheit reden, einen bedeutenden, gern unterschätzter Antrieb des menschlichen Lebens. Der Wirklich Faule Mensch (WFM) ist oft extrem fleißig, denn er will möglichst schnell wieder faul sein. Dazu trinkt er gelegentlich Kaffee und rührt, sofern es sich um einen erwachsenen Menschen handelt, selbst um.

Das Joghurt lebt!

Eine der Leitströmungen der Weltwirtschaft hat mit den vielfältigen Verwertungsformen von Faulheit zu tun. Ökonomen nennen sie Convenience, weil sich das besser anhört. Die mächtigste Convenience-Maschine des Planeten ist das Internet, denn aus fast allem, das der Faulheit entgegenkommt, läßt sich ein Geschäft machen. Auch aus dem Ersatz der Umrührbewegung mit dem Löffel. Ich hatte mal einen Bekannten, der so faul war, dass er am liebsten Joghurt aß, weil ihm jemand erklärt hatte, dass Joghurt lebt und er annahm, dass man das Nahrungsmittel nicht selber schlucken muß, sondern dass es aus eigenem Antrieb in ihn reinkriecht.

Aber der Becher, der den Kaffee ohne Löffel umrührt, hilft nicht ernsthaft beim Faulsein. Für einen Scherzartikel ist er zu teuer, zudem institutionalisiert er die Sache zu einem banalen Selbstzweck. Es gibt ein trostloses Bild, sich vorzustellen, wie ein Mensch vor dem kleinen Kaffeestrudel sitzt und sich von der Tasse ansurren läßt. Der Rührbecher ist ein trauriges Stück Technik.

Der natürliche Rhythmus des Kaffeetrinkens

Becher sind überhaupt ein kulturelles Verhängnis, vor allem für Kaffeetrinker. Ich trinke meinen Kaffee aus Tassen mit Untertassen. Keine eingetrockneten Kaffeekreise von der Unterseite der untertassenlosen Becher mehr auf dem Tisch. Und zu Hause und bei der Arbyte kein kalter Kaffee mehr.

Es gibt einen natürlichen Rhythmus, wann man einen Schluck Kaffee nimmt und wie lange man dann bis zum nächsten Schluck etwas anderes macht. Seinen Kaffee zu schnell zu trinken, ist nicht nur unösterreichisch, sondern eine grundlegende Frage der Lebensqualität. Wer seinen Kaffee zu schnell austrinkt („Und was machen wir jetzt?“ - „Jetzt samma im Kaffeehaus“), kommt aus Deutschland oder Amerika (wobei Deutschland das Amerika Österreichs ist). Wer seinen Kaffee zu langsam trinkt, ist wahrscheinlich Programmierer oder Konzertveranstalter, d.h. er codiert oder telefoniert zu viel, Folge: kalter Kaffee.

Google und der mug

In Kaffeebechern aber bleibt IMMER kalter Kaffee übrig. Sie sind prinzipiell zu groß. Griechische Philosophen würden sagen, sie haben nicht das richtige Maß. Ein Freund, der in Hongkong arbeitet, twittert die Geschichte des Bechers, der gerade vor ihm steht: „Draufgedruckt ist: ‘BERND - Der Berühmte‘. Ich hab ihn von einer meiner Managerinnen zum Geburtstag bekommen.“ Warum BERND? „Weil es so DEUTSCHSPRACHIG aussah für sie. Sie spricht nur Mandarin und Englisch“.

Der Kaffeebecher hat sich seit den Siebzigerjahren um die ganze Erde ausgebreitet. Der „mug”, wie er in der englischen Bürosprache heißt, gehört inzwischen zur Basis-Büroeinrichtung. Überall diese kleinen, merkwürdigen Küchen, und jeder darf immer nur seinen eigenen mug benutzen. Tassen haben sich nur in Ländern mit ausgeprägter Heißgetränkekultur (Österreich: Kaffee, England, Japan und China: Tee) einigermaßen retten könnten. Weltweit jedoch hat der mug gesiegt. Die Welt bewegt sich ausweglos auf die Verbecherung zu. Es ist wie mit Google.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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