© Helmut Fohringer, apa

Wissenschaft & Blödsinn

Wie man im Lotto gewinnt

Physiker sind nicht leicht zu schockieren. Würde ich mir die Haare grün färben, mir ein Polarkoordinatensystem aufs Gesicht tätowieren lassen oder das kommende Jahr damit verbringen, sämtliche Star-Trek-Filme auswendig zu lernen, würden meine Physiker-Freunde wohl relativ entspannt reagieren. Aber wenn ich verrate, dass ich manchmal Lotto spiele, dann ernte ich entsetzte Blicke.

Lottospielen ist irrational, wird mir dann vorgeworfen: „Du verstehst doch etwas von Statistik und kannst ausrechnen, wie gering die Gewinnchance ist!“ Und das ist natürlich wahr. Beim österreichischen Lotto 6 aus 45 liegt bei einem einzelnen Tipp die Chance auf einen Hauptgewinn bei etwa eins zu 8,1 Millionen, im deutschen Lotto (6 aus 49 und eine Superzahl aus 10 Möglichkeiten) gewinnt ein Tipp mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu fast 140 Millionen. In praktischen Maßstäben gemessen ist die Gewinnwahrscheinlichkeit also ziemlich genau null. Die Chance, dass man bis zur nächsten Lottoziehung stirbt, ist größer. Wenn man sein Vermögen vermehren möchte, ist Lottospielen eine ganz dumme Strategie.

Was soll ich nun ankreuzen?

Aber nehmen wir einfach mal an, man hat sich fürs Lottospielen entschieden – wie sollte man sich dann aus mathematisch-naturwissenschaftlicher Sicht verhalten? Dass es nichts nützt, sein Geld für Glücksamulette oder magische Wundersteine auszugeben, ist den meisten Leuten klar. Doch noch immer glauben viele, man könne den Zufall mit Hilfe von Statistik überlisten. Eine Zahl, die seit Monaten nicht gezogen wurde, muss doch endlich mal drankommen! Das ist natürlich Blödsinn – der Zufall hat kein Gedächtnis. Wenn in zwölf Runden hintereinander immer die Zahl 28 gezogen wird, hat das keinen Einfluss auf die nächste Runde.

Aber Achtung! Das bedeutet nicht, dass jeder Tipp gleich gut ist. Genau mit dem Argument, dass die Gewinnchance für alle Zahlenkombinationen gleich ist, tippen nämlich viele Leute hübsche regelmäßige Muster – etwa die Zahlen eins bis sechs, oder eine Diagonale am Lottoschein. Sollte man mit einem solchen Tipp dann tatsächlich gewinnen, muss man mit vielen anderen Leuten teilen, die genau dieselbe grandiose Überlegung angestellt haben. Eine Zahlenkombination ohne erkennbare Struktur ist daher besser. Die Gewinnwahrscheinlichkeit bleibt gleich, aber der zu erwartende Gewinn ist höher.

Populär ist es auch, sich durch Geburtsdaten bei der Zahlenauswahl inspirieren zu lassen. Man sollte daher auch hohe Zahlen größer als 31 mit dabei haben, auch das senkt die Wahrscheinlichkeit, den Gewinn teilen zu müssen.

Sinnvoll ist es, Jackpotrunden abzuwarten. Zwar werden bei einem Vierfach-Jackpot auch mehr Tipps abgegeben, die Chance auf einen Sologewinn sinkt daher, trotzdem ist der zu erwartende Gewinn höher, weil das Geld der vorangegangenen Runden noch zusätzlich in den Topf kommt.

Hilfe, das waren meine Zahlen!

Manche Leute tippen jedes Mal dieselben Zahlen. Dagegen ist nichts zu sagen, doch birgt es die Gefahr, dass die Zahlen dann vielleicht genau dann gezogen werden, wenn man gar nicht mitgespielt hat. Muss man sich dann ein Leben lang grämen, die große Chance auf den Reichtum nicht genützt zu haben?

Nein. Sie können sich in diesem Fall mit einer einfachen physikalischen Überlegung helfen: Die Lottoziehung ist chaotisch – und die Chaostheorie sagt, dass winzige Unterschiede in der Ausgangssituation zu ganz drastisch unterschiedlichen Endresultaten führen. Allein schon durch die minimalen Vibrationen, die Sie beim Ankreuzen der Zahlen verursachen und die Luft, die Sie dabei ausatmen, ändern Sie den Zustand der Welt, und damit beeinflussen Sie auch die Lottoziehung. Hätten Sie also einen Lottoschein ausgefüllt, dann wären die Zahlen allerhöchstwahrscheinlich gar nicht gezogen worden. Erst Ihre Entscheidung, nicht zu spielen, hat den Lauf der Welt verändert und dazu geführt, dass genau Ihre Zahlen gezogen wurden. Es gibt also keinen Grund, sich zu ärgern.

Die Billigste aller Varianten

Im Grunde sind aber all diese Überlegungen ziemlich nutzlos. Die Gewinnchance ist schließlich so klein, dass es sich kaum lohnt, über solche Fälle überhaupt nachzudenken. Trotzdem kann man ganz rational zur Entscheidung gelangen, Lotto zu spielen. Man mag es unterhaltsam finden, die Lottoziehung anzusehen und darauf zu hoffen, dass aus dem chaotischen Gewusel aus Lottokugeln die richtigen Zahlen ans Tageslicht gelangen. Noch viel mehr Spaß macht es mir, in den drei Tagen vor der Ziehung zu überlegen, was ich mit dem vielen Geld alles anfangen würde. Den Preis für einen Lottotipp zahlt man genau dafür – man erkauft sich ein bisschen Tagträumerei und einen kleinen Nervenkitzel.

Wer das weiß, kann Geld sparen: Wenn nämlich nicht der zu erwartende Gewinn, sondern der Unterhaltungswert im Vordergrund steht, ist es absolut irrational, mehr als nur einen Tipp abzugeben. Mir zu überlegen, welche Luxuswohnung ich mir mit einem Lottogewinn kaufen würde, macht Spaß. Dieser Spaß ist aber unabhängig von der Gewinnwahrscheinlichkeit und von der Anzahl der Tipps, die ich gespielt habe.

Wer rational denkt, tippt also nur einmal. Noch besser ist es natürlich, man schafft es, vom Lottogewinn zu träumen, ohne jemals Geld für einen Lottoschein auszugeben. Dann bekommt man den wesentlichen Nutzen des Lottospielens ganz gratis, ohne dafür bezahlen zu müssen.

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen schreibt er jeden zweiten Dienstag in der futurezone.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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