© Mike Blake, reuters

Peter Glaser: Zukunftsreich

Wir Mac-Menschen

Ich traf mich mit meinem alten Freund K. in einem Lokal, in das man eigentlich nicht reinkommt, wenn man keinen Rechner oder kein iPhone dabeihat. Das Personal drückt manchmal ein Auge zu, wenn ein Stammgast jemanden mitbringt, der nur unvernetzt er selbst ist, wogegen selbstverständlich niemand etwas einzuwenden hat. Nur dass diese Leute dann oft gelangweilt oder genervt herumsitzen, während rundherum alles auf Trackpads und Touchscreens die Finger in den digitalen Strom taucht – man möchte diesen Menschen die Verlegenheit ersparen und ersucht sie deshalb, lieber draußen zu bleiben, wo es viel analoger und schöner ist.

„Sie arbeiten jetzt mit Reserve-Begeisterung“, sagte K. zur Begrüßung wie zu sich selbst und machte ein Bildschirmfenster zu. Der helle Schimmer davon schien in seinem dunkelblauen Pulli zu verschwinden, wie ein scheues Tiefseetier. Ein Fenster mit dem Facebook-Stream war noch da.

Behagliche Hirnlosigkeit

„Personen, die du vielleicht kennst” wäre in den Achtzigerjahren ein toller Bandname gewesen, sagte ich und zeigte auf den Bildschirm. Aber die Zeiten ändern sich. Ich stellte meinen Rechner, der kalt war von draußen, auf den Tisch, um mich zu legitimieren. Wir wandten uns den Bildschirmen mit jener behaglichen Hirnlosigkeit zu, mit der man in ein Holzfeuer schaut.

„Wie konnte das passieren?“, fragte K. jäh. „Wir haben als Subkultur angefangen. Wir Mac-Menschen. Belächelt, aber unerschütterlich. Das digitale kleine gallische Dorf. Wir waren die Revolution, altes Haus. Weißt du noch?“

„Ja-ha“, sagte ich lahm. „Vati erzählt aus dem Kriech“, ich machte das Krächzen und Röcheln eines 300-Baud-Modems nach, aus der Zeit, als die Bits noch so langsam durch die Leitung flossen, dass man zu Fuß neben ihnen hergehen konnte. Vereinzelt drehten sich Gäste nach mir um. K. legte seine Hand auf die Sessellehne neben ihm und tat so, als lehne er, am Leben gereift, an der Marmoreinfassung eines offenen Kamins.

„Ich konnte nicht mehr ausweichen“

„Und plötzlich sind wir nicht einfach nur Teil des Mainstreams geworden. Wir sind das Auge des Mainstream-Orkans. Wir sind die Apple-Armee, die niemand besiegt. Nicht in Preiskriegen, nicht in Patentkriegen.“

„Naja, plötzlich ist gut“, sagte ich und dann, dass Microsoft angeblich ein Kabel mit einer Pokalspiel-Verlängerung rausbringen wolle - „damit können sie Apple sehr wohl gefährlich werden.“

„Sogar die Witze werden gutbürgerlich“, sagte K. und machte die Schrumpfgeste. (Wie heißt eigentlich das Gegenteil der Schrumpfgeste? Blähgeste?) Ich entschuldigte mich. „Der kam so tief, ich konnte nicht mehr ausweichen.“

Nebenan fiel jemandem ein iPad auf den Boden. „Breaking News“, sagte ich und erntete einen giftigen Blick, obwohl das Gerät unversehrt geblieben war. Auf dem Tisch neben dem Tablet lag ein Papiertaschentuch, das aussah wie ein Architekturmodell für einen verbesserten Neubau des Großglockners.

„Das Erschreckende an Apple ist, dass es sozusagen Mittelmäßigkeit auch auf allerhöchstem Niveau gibt. Nicht die Qualität der Produkte, sondern... dass sich jeder so etwas kaufen darf.“

Nun war es gesagt.

Es hat ein bißchen mit Erwachsenwerden zu tun, und ein bißchen damit, dass es eigentlich nichts Schlimmeres gibt, als wenn Träume in Erfüllung gehen. Es gibt diese Momente, in denen man in einem Lokal sitzt und auf einmal läuft der absolute Lieblingstrack der absoluten Lieblingsband. Man leuchtet auf vor Freude, man löst sich in der Musik auf wie ein Stück Zucker in heißem Wasser, und eigentlich sollte man meinen, dass es nichts Wunderbareres geben kann, als dass dieses zum Sterben schöne Produkt auch möglichst vielen anderen gefällt. Aber so ist der Mensch nicht beschaffen. Er schaut sich um, die Augen zum Schlitz verengt, und denkt sich: Sowas haben die hier doch gar nicht verdient. Das dürfen die nicht hören. Die wissen das doch gar nicht zu würdigen.

Und mit Apple ist es dasselbe. Im Grunde seines Userherzens möchte K., dass alle Apple toll finden – und wenn sie‘s dann tatsächlich tun, ist er entsetzt. Manchmal vergißt man einfach, dass Pop von populär kommt.

Heinrich II. und das blöde Kind

An K. mag ich, dass seine Absichten, die stets kristallklar anheben, oft in unfaßbare Merkwürdigkeiten hinausführen und ihn dieser Mut zum Wahnsinn noch nie verlassen hat. Ich ließ mich in meinen Stuhl einsinken. Hat Apple ein intelligenteres Individuum aus mir gemacht? Ich bin nicht sicher. Morgens beim Frühstück hatte ich, noch nicht ganz wach, versucht, das Krönungsjahr Heinrich II. in Euro umzurechnen. Ich wußte nicht genau, was ich da tat und die Maschine ließ mich ohne jeden Einwand gewähren.

K. nickte wütend. „Und jetzt stell dir das Ganze millionenmal vervielfacht vor. Das ist doch nicht auszuhalten!“

Beim Rausgehen begegneten wir an einer Ampel einem blöden Kind auf einem kleinen Fahrrad, das uns veräppeln wollte.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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