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Peter Glaser: Zukunftsreich

Zeit für Gefühle

2010 schrieb der damals 38-jährige amerikanische Internet-Unternehmer Tony Hsieh ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel „Delivering Happiness“ – Glück verbreiten, und zwar in Unternehmen. Da er zu der Zeit bereits seit längerem CEO des erfolgreichen Online-Schuh- und Bekleidungsshops Zappos und ein gefragter Referent auf Kongressen war, schrieb Hsieh das Manuskript in zweieinhalb Wochen, zum Teil in hochkonzentrierten Schichten von 20 bis 24 Stunden, wachgehalten von Kaffeebohnen in Wodka. Das Buch hielt sich 27 Wochen lang in der Bestsellerliste der New York Times.

Glück in der Firma? War es bislang nicht so gewesen, dass man Geschäfte und Gefühle sorgsam auseinanderhielt? Frei nach dem Motto: Fachleute sind ein bisschen wie Atombomben: wirkungsvoll, teuer und schwer zum Explodieren zu bringen. Seine Gefühle möglichst gut unter Kontrolle zu halten, war gleichbedeutend mit Professionalität. Don‘t cry, work.

Zwar gibt es von Tony Hsies Wohlfühlwerk nicht einmal eine deutsche Übersetzung, aber ein davon inspiriertes neues Berufsbild hat es doch bis zu uns geschafft: der Chief Happiness Officer. Zu den Pionieren gehören Firmen wie die Münchner Digital-Agentur Cobe, die sich neben den vier Geschäftsführern auch einen Glücksbeauftragten leistet, Johannes Deck.

Das hat ganz unromantische Gründe, die Geschäftsführer Felix van de Sand (Felix kommt, nebenbei, aus dem Lateinischen und bedeutet „der Glückliche“) unter der Bezeichnung „Barcelona-Prinzip“ zusammenfasst: Man möchte seine Mitarbeiter binden, so wie der Fußballclub seine Spieler selbst großzieht und zu halten versucht: „Über Gehälter können wir nicht mit den großen Agenturen konkurrieren. Also müssen wir ein anderes Alleinstellungsmerkmal schaffen. Bei uns können sich die Mitarbeiter entwickeln. Und – sie sollen sich wohl fühlen.“

Die Arbeit des Glücksoffiziers besteht vor allem aus Kommunikation. Deck spricht viel mit den Kollegen über ihre Ziele, Antriebe, Gestaltungswünsche. Er möchte für jeden Mitarbeiter einen individuellen Entwicklungsplan erstellen, in dem die persönliche Motivation zum Tragen kommt.

Und es ist nicht nur das Glück. Die Punkte, an denen das Emotionale Einschlupf sucht, sind sehr verschieden. An Dreh- und Schaltknöpfen etwa lässt sich eine kleine Geschichte der modernen Welt erzählen. In den Sechzigerjahren musste man, um einen Knopf an einem Radioapparat zu drücken, noch Körperkraft gegen mechanischen Widerstand aufwenden. In den Siebzigern ging die Berührung schon sachter vonstatten, an butterglatt skalierbaren Drehreglern stellte sich erstmals etwas wie Sanftgefühl den Maschinen gegenüber ein. In den Achtzigern wurden die Knöpfe flach und weich wie Fleisch, gefolgt von scheinbaren Knöpfen, den Buttons unter der gläsernen Haut der Bildschirme.

Die kapazitiven Touchscreens, beginnend mit dem iPhone, läuteten die Zeit der Zärtlichkeit ein. Nun wird nicht mehr geklickt und geklackert, sondern gewischt und gestreichelt.

Studenten des Interactive Institute Göteborg haben ein fernkuschelbares Kopfkissen gebaut, mit seiner Hilfe lässt sich in Fernbeziehungen Nähe heranschaffen. Lehnt man sich an ein solches Kissen oder umarmt es, werden die Bewegungsmuster in ein gleichartiges Kissen am anderen Ende der Internetverbindung übertragen und durch feinen elektrolumineszentem Draht, der in die Textilhülle eingewebt ist, in weich glühende Muster verwandelt.

Warum noch googeln?

Auch Apple ist in das Gefühlsbusiness eingestiegen und hat das kalifornische Startup Emotient gekauft, das Verfahren aus der Künstlichen Intelligenz benutzt, um die Gefühle von Menschen durch Gesichtserkennung verstehen zu können. Warum noch eine Suchmaschine oder die Sprachassistentin Siri fragen, wenn die Maschine selbst erkennen kann, dass man etwas wissen will?

Viele Menschen erleben Gefühle passiv und werden überschwemmt von ihnen. Sie warten darauf, dass Gefühle, wennmöglich Wohlgefühle, auf sie herabregnen als eine Gunst Fortunas. Im Fall der Liebe etwa genießen sie den Rausch des Verliebtseins – aber irgendwann nach ein paar Wochen oder Monaten hat der sich gelegt und dem Alltag den Vortritt gelassen. Was nun? Ist die Liebe vorbei, wenn es nicht mehr flattert und rauscht?

Wer Gefühle dagegen auch als Aktivum sieht, muss sich darum erstmal keine Sorgen machen. „Liebe ist kein Gefühl“, schreibt der Psychoanalytiker Erich Fromm in seinem Klassiker Die Kunst des Liebens, „sondern eine Fähigkeit.“

Viele kleine, positive Anlässe

Glückliche Menschen sind kreativ und neugierig. Dem Glücksforscher Ed Diener zufolge sammeln sie viele kleine, positive Anlässe zu einem Kontinuum stiller Wonne, statt auf das große Glück zu warten. Der Emotionsexperte Mihaly Csikszentmihalyi nimmt an, dass bestimmte Verrichtungen wie Essen, Reden, Geselligsein, Sex, Sport oder Mediengenuss den Menschen potentiell glücklich machen und dass es darüber hinaus eine bestimmte Intensität von Gefühlen gibt - nicht zu wenig, nicht überfordernd - die ein glücksnahes Gefühl auslösen, dem Csikszentmihalyi den Namen „Flow“ gab.

Das Unmögliche möglich machen

Gefühle sind die interessanteste Art von Ungenauigkeit, die wir kennen. Sie helfen uns, auf große, schwer bestimmbare Informationsschwaden, die uns sowohl aus unserem Körper als auch aus der ihn umgebenden Welt und von unseren Mitwesen erreichen, schnell und möglichst einheitlich zu reagieren oder selbst initiativ zu werden. Sie machen das Unmögliche möglich, indem sie Widersprüche in der Schwebe lassen können, wenn die sich erstmal nicht beheben lassen oder scheinbar unzusammengehörende Signale aus den Informationsozeanen miteinander verbinden und so, wie Unterseevulkane, die neue Inseln bilden, Fundamente für die Vernunft legen.

Gefühle sind die Fußsoldaten der Vernunft. Manchmal sehe ich das, was wir Tagesbewusstsein nennen, als ein einziges hell erleuchtetes Fenster hoch oben, in einer dunklen Stadt, groß wie Manhattan, die wir insgesamt sind und in der samtweich, schwarz und schnell die Gefühlsströme fließen und uns mit allem versorgen, das es - außer ein wenig Vernunft - noch braucht.

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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