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Peter Glaser: Zukunftsreich

Ziehharmonika-Hardware

Wir spielten Weckerroulette am iPhone. Statt einer Rouletteschüssel setzt man dabei jeweils eine der beiden Zahlenreihen für die Stunden oder die Minuten beim Einstellen der Weckerzeit mit der Fingerspitze in Bewegung. Jeder sagt vorher eine Zahl zwischen Null und 23 respektive zwischen Null und 59, und wer ihr am nächsten kommt, wenn die Zahlen anhalten, hat gewonnen.

„Und nun die Hinterziehung der Lottozahlen“, sagte mein Besuch. Er gab der Stundenreihe einen Schubs, der die Zahlen wie an einem einarmigen Banditen vorbeilaufen ließ. „Sie zeigen sich jetzt nämlich selbst an“, sagte er.

13 kam.

Mein Besuch hatte 23 getippt, ich war aber mit 16 näher dran. Wir spielten um Kekse,. Ich hatte jetzt schon drei verschieden große Schokoladekekse gewonnen, die meine Kusine gebacken hatte und die übriggeblieben waren, weil ich keine Schokoladekekse mag.

Während mein Besuch die Minutenzahlen anschob, blickte er versonnen auf meine unterschiedlichen Kekse. „Fast wie bei Apple. Man weiß schon gar nicht mehr, wird das iPhone jetzt immer größer oder das iPad immer kleiner und mit dem iPad Pro zugleich immer größer? Die Modellpalette ist wie eine Ziehharmonika – mal kleingedrückt, mal zum Fächer auseinandergezogen.“

Da war was dran. „Man müsste einfach auch die Hardware mit der Schrumpfgeste schrumpfen können“, sagte ich. Zugleich war mir klar, dass es nicht darum ging, alles immer kleiner zu machen, sondern immer richtiger. Mobiltelefone waren schon mal so klein gewesen, dass man Angst haben musste, sie beim Telefonieren einzuatmen.

„Und jetzt blähen sie sich wieder auf“, mein Besuch nickte. „Für die neueren Smartphones brauchst du Bauarbeiterhände.“

42 kam.

Ich hatte 46 getippt, Mein Besuch 38. Gleichstand. „Kennst du jiddisch Poker“, fragte ich, „wo sich jeder eine Zahl denkt, und wer sich die höchste Zahl gedacht hat, hat gewonnen?“

Man könnte jetzt sagen, dass Apple einen Erfolg - ob Software oder Hardware - im nächsten Schritt immer erstmal konsolidiert und nicht in Neuigkeitenwahn ausbricht. Aber die schwankenden Bildschirmgrößen laufen gegen das Firmenprinzip einer minimalistischen Modellpalette. In der Frage nach der idealen Größe von Mobilgeräten eiern alle seit Jahren um eine Antwort herum.

Als die erste Armbanduhr mit eingebautem Taschenrechner auf den Markt kam, war das angebaute Tastatürchen zu klein für grobe Menschenfinger. Also gab es einen Eingabestift dazu, den man sofort verloren hat. Als die Hardware schlanker und vielfältiger wurde, wurden die Knöpfe erstmal mitverschlankt. Fernbedienungen sahen immer mehr aus wie Gänsehaut, mit Scharen winziger Gumminoppen. Aber der Widerstand der Anwender führte nach dieser Dekadenz des Downsizing zu einer Art Rightsizing. Plötzlich gab es wieder Fernbedienungen mit Knöpfen, die so groß waren, dass eine Fingerkuppe draufpasste.

„Vielleicht“, warf mein Besuch ein, „ist doch der Mensch das Maß aller Dinge und nicht die Marketingabteilung. Aber Apple soll ja angeblich auch den letzten noch frei lebenden Knopf abschaffen wollen, den Home Button.“

„Alles wird ganz einfach.“

„Tausend Größen und kein Knopf? Das ist doch ein Riesendurcheinander. Ich protestiere!“

Ich und schlug vor, er könne sich ja an einem Online-Portal anketten, um seinem Widerstand Ausdruck zu verleihen.

Mein Besuch hatte neue Schuhe an, die ziemlich teuer gewesen waren, wie er mir anvertraut hatte, weil sie wie alte Schuhe aussahen. Vintage. Dicke, hohe Kreppsohle, sehr Elvis-mäßig. Mein Besuch ist sehr groß, und als er durch die Zimmertür nach nebenan ging, um weitere Keks-Jetons zu holen, verschätzte er sich und stieß mit dem Kopf gegen den Türrahmen.

„Du bist in bester Gesellschaft“, munterte ich ihn auf. „Steve Jobs wollte auch eine Delle im Universum hinterlassen.“

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Peter Glaser

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm in Berlin und begleitet seit 30 Jahren die Entwicklung der digitalen Welt. Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs, Träger des Ingeborg Bachmann-Preises und Blogger. Für die futurezone schreibt er jeden Samstag eine Kolumne.

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