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Keynote

29C3: “Der Überwachungsstaat berührt alles”

“Der Überwachungsstaat berührt alles.” Mit dieser eindringlichen Warnung  eröffnete der bekannte US-Software-Entwickler (Anonymisierungs-Dienst TOR) und WikiLeaks-Aktivist Jacob Appelbaum (29, hier im futurezone-Interview) die derzeit stattfindende Hacker-Konferenz 29C3 in Hamburg. Der 29C3 (kurz für 29. Chaos Communications Congress) wird vom Chaos Computer Club, der größten Hacker-Vereinigung Europas, veranstaltet und gilt als einer der wichtigsten Treffs für Hacker, Sicherheitsexperten und Netzaktivisten weltweit. Überwachungstechnologien sind  auch dieses Jahr ein brennendes Thema, was auch Appelbaums packender Vortrag klarmachte. Am Beispiel des Baus von riesigen Datenzentren der US-Sicherheitsbehörde NSA, etwa im US-Bundesstaat Utah, wollte Appelbaum vor Augen führen, wie real und grenzenlos der Überwachungsstaat bereits sei.

“Der Zweck dieser Datencenter ist, uns massiv überwachen zu können”, so der TOR-Entwickler. “Informationen werden dort hundert Jahre gespeichert werden. Und diese Datencenter werden nicht nur die Daten der US-Amerikaner speichern, sondern die Daten von uns allen.” Dem Trugschluss, dass nur Staaten wie China, Iran oder Russland staatlicher Internet-Überwachung unterliegen würden, solle man nicht aufliegen. “Die Vorratsdatenspeicherung in Europa ist der Beginn des Endes eurer Freiheit”, so Appelbaum zum mehrheitlich europäischen Publikum. Gegen die Vorratsdatenspeicherung, die Deutschland bislang nicht umsetzte, haben österreichische Verfassungsrichter kürzlich Bedenken ausgesprochen, weil sie gegen europäische Grundrechte widersprechen könnte.

“Zeit für eine neue Generation, Widerstand zu leisten”
So naiv zu sein, dass der Überwachungsstaat uns persönlich nicht betreffe, solle man nicht sein. Appelbaum selbst sei das beste Beispiel dafür: Weil er WikiLeaks` Julian Assange dabei geholfen hat, das berühmte Collateral-Murder-Video zu veröffentlichen, sei er ins Visier der Geheimdienste geraten. “Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich in den USA das letzte Mal ruhig geschlafen habe.” Auch seine mental beeinträchtigte Mutter sei, wie er glaubt, deswegen verhört worden. “Es ist Zeit für eine neue Generation, die Widerstand leistet”, animinierte er das Hamburger Publikum mit Verweis auf seine eigenen Vorbilder, etwa die Whistleblower Daniel Ellsberg (“Pentagon-Papiere”) und Bradley Manning (nach wie vor inhaftierter WikiLeaks-Informant). Diese hätten gezeigt, dass es etwas wert sei, für ihre Ideale einzustehen. Hacktivismus, wie er etwa unter dem Banner von Anonymous betrieben wird, sei nur eine von vielen Möglichkeiten. “Irgendwo  einzubrechen, ist manchmal viel einfacher, als etwas Nützliches zu bauen”, so Appelbaum

Deswegen gelte es, weltweit unabhängige Kommunikationsstrukturen aufzubauen, die nicht der staatlichen Überwachung unterliegen. Das TOR-Netzwerk etwa könne Unterstützer, die freiwillig Relay-Server betreiben, gut brauchen. Unproblematisch ist das nicht: Wie jüngst ein Fall in Graz zeigte, können die Betreiber solcher Server, über die andere Internetnutzer anonym im Netz surfen, ins Visier der Behörden geraten. Der Grazer William W. wird von der Polizei verdächtigt, kinderpornografische Inhalte auf seinen Datenträgern zu speichern und hat diese beschlagnahmt.

“Anonymität ist nicht genug”
Ein Allheilmittel sei TOR nicht. “Anonymität ist wichtig, aber nicht genug”, so Appelbaum.  “Für den Überwachungsstaat ist es einfach, jeden zu identifizieren, wir hinterlassen trotzdem Spuren, etwa in der Art, wie wir schreiben.” Appelbaum ermutigte die Anwesenden deswegen auch dazu, Geheimpolizisten aufzudecken, Überwachungsdaten zu veröffentlichen und freie Softwa- und Hardware zu entwickeln. “Sicher zahlt es sich mehr aus, für Lockheed Martin zu arbeiten als für eine Universität”, so der TOR-Entwickler, mit Überwachungstechnologien könne man viel verdienen. Doch: Auch TOR-Mitarbeiter hätten tolle Jobs abgelehnt, um für das Anonymisierungs-Netzwerk zu arbeiten. “Man kann davon leben, freie und offene Software zu entwickeln.” Von der Einteilung in White-Hat- und Black-Hat-Hacker halte er nichts. Vielmehr solle sich jeder, der neue Technologien entwickle, fragen: “Arbeitest du an etwas, das andere überwacht, oder an etwas, das anderen etwas ermöglicht?”

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