Serie

9/11: Der Anfang vom Ende der Anonymität

Was hat sich in den letzten zehn Jahren nach den Anschlägen vom 11.9.2001 in der Netzpolitik verändert? Ermessen lässt sich das nur, wenn man sich ansieht, was vor den Anschlägen diskutiert wurde – und mit der heutigen Lage vergleicht.

Vor den Anschlägen gib es in der netzpolitischen Debatte vor allem zwei Themen: Die Liberalisierung der Kryptografie und die Vorbereitungen für eine Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Arbeitebene. Die Kryptodebatte hatte sich vor allem um die Verbreitung des Verschlüsselungprogramms Pretty Good Privacy (PGP) gedreht.

Streit um PGP
Die USA hatten es als „dual use“-Produkt eingestuft, also als ein Programm, das sowohl für den zivilen, wie auch für den militärischen Einsatz gedacht war. Entsprechend landete es auf der Liste der Güter, deren Export es zu kontrollieren galt. Der offiziellen Saga nach gelangte denn der Quellcode von PGP als Ausdruck in Form eines Buchs nach Europa, wo es sich dann weiter verbreitete. Unter anderem versorgte der Bielefelder Bürgerrechtsverein FoeBud damals Friedensaktivisten im zerfallenden Ex-Jugoslawien mit der Software, die damit ihre elektronische Kommunikation per E-Mail und Mailboxen schützen konnte.

Die Auseinandersetzungen um PGP wurden damals mit harten Bandagen ausgefochten. Das Echelon-Spionage-Netzwerk wurde von mehreren Journalisten aufgedeckt – das Europäische Parlament setzte später einen Untersuchungsausschuss ein. Als Deutschland mit Blick auf internationale Wirtschaftsspionage ankündigte, kryptografische Produkte nicht reglementieren zu wollen, drohte der damalige US-Kryptozar sogar mit einem Handelskrieg. Nachdem das deutsche Bundeswirtschaftsministerium jedoch angekündigt hatte, eine Open-Source-Variante von PGP unter dem Namen GnuPG zu fördern, gaben die USA nach – und lockerten die Exportbestimmungen erheblich.

Aufbruchstimmung in Sachen Datenschutz
Dies war ein Sieg für all diejenigen, die sich für eine freie, verschlüsselte Kommunikation im Netz eingesetzt hatten. Bis heute hat er gehalten – und ist damit einer der wenigen dauerhaften Erfolge der Netzgemeinde. Danach begannen Diskussionen darüber, wie Nutzern weitere digitale Werkzeuge an die Hand gegeben werden könnten, damit sie sich schützen können.

TOR entstand damals und in Folge auch das an der Universität Dresden entwickelte ANON-Projekt, das Anfang 2001 an Fahrt aufnahm und bis heute mit dem JAP-Client Usern aus aller Welt anonymes Surfen ermöglicht.

Zahlreiche weitere Projektideen geisterten damals durch die Informatikerwelt. Unter anderem ging es schon damals darum, Cookies, Web Bugs und andere Tracking-Techniken einzudämmen. Doch die Hilfsmittel, die heute Nutzern zur Verfügung stehen, unterscheiden sich nicht wesentlich von denen von vor 10 Jahren: Simple Browser-Einstellungen. Denn an der Bedrohungslage hat sich dank einer Tracking-freundlichen Opt-Out-Regelung nicht gravierend etwas geändert. Im Gegenteil: Heute gibt es eine ganze Reihe weiterer Techniken und Methoden, um Nutzer im Netz aufzuspüren, zu identifizieren und zu verfolgen, wie dieser Test zeigt. Erst eine neue EU-Richtlinie verlangt seit 2009 ein Opt-In, sie ist jedoch in vielen Mitgliedstaaten noch nicht umgesetzt.

Aus für Datenschutzforschung
Doch nach dem 11. September fanden sich für progressive Datenschutzprojekte keine Geldgeber mehr. Zahlreiche neue Lehrstühle für IT-Sicherheit entstanden zwar, doch die neuen Mittel flossen in die Sicherheitsforschung, die nicht an Nutzerinteressen, sondern an den Interessen des Staats ausgerichtet war. Das erste bahnbrechende Datenschutzprojekt entstand erst zehn Jahre später - mit der Antizensurtechnolgie Telex, die gleichwohl auch für Infowar-Zwecke eingesetzt werden kann.

Mit der europäischen Hochschulreform verschärfte sich die Situation: Die Lehrstühle waren noch stärker als zuvor auf Drittmittel angewiesen, die die Forschungsrichtung vorgaben. Der kurze Frühling, den die Kryptoszene und die mit ihr verbundene Datenschutzforschung in den Jahren 1999 und 2000 erlebt hatte, war damit schnell wieder vorbei.

Was 2001 noch als Zukunftstechnologie galt, wurde massiv gefördert: Dazu zählen die intelligente Videoüberwachung, Chipkarten für diverse Zwecke, biometrische Verfahren und RFID-Chips. All diese Techniken kämpfen heute zwar noch mit einer Zahl von Kinderkrankheiten, gelten jedoch als einsatzfähig für Massenanwendungen. Die größte ist der biometrische Reisepass.

Datenspeichern als Allheilmittel
Die Auseinandersetzung um die Vorratsdatenspeicherung, die 2001 noch in der Schwebe war, hält bis heute an. Die Enthüllungen der Arbeitspläne für eine künftige Vorratsdatenspeicherung Ende der 90er Jahre hatte die Diskussion, die von amerikanischen und europäischen Sicherheitsbehörden vorangetrieben wurde, vorerst eingedämmt. Doch nur kurz nach den Anschlägen vom 11. September flammte die Debatte wieder auf. Die USA verlangten von den Europäern entsprechende Regelungen, die diese dann schließlich 2006 europaweit umsetzten.

Erfolg hatte die Forderung letztlich deshalb, da die Sicherheitsbehörden sie sie nun mit einem Heilsversprechen verknüpfen konnten: Hätte man die Kommunikations- und Reisedaten im Vorfeld der Anschläge umfassend überwachen können, hätte man eher die Verbindungen aufdecken können, die zu den Verschwörern führten. Würde man dies künftig tun, könnte man Anschläge bereits im Vorfeld verhindern.

Die Idee des Dataminings in großen Datenmengen erhielt nach dem 11.9. richtig Auftrieb. Mit digitalen Techniken verschiedenster Art versuchte man, aus einem Heuhaufen von Daten sinnvolle Prognosen abzuleiten. Wie die Methode der Rasterfahndung zur Netzwerkanalyse verfeinert wurde, darüber berichtet der zweite Teil der Futurezone-Serie zu den Folgen der Anschläge vom 9.11.

Mehr zum Thema

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Christiane Schulzki-Haddouti

Christiane Schulzki-Haddouti berichtet seit 1996 als freie IT- und Medienjournalistin über das Leben in der Informationsgesellschaft. Wie digitale Bürgerrechte bewahrt werden können, ist ihr Hauptthema. Die europäische Perspektive ist ihr wichtig – da alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Internet in Brüssel fallen.

mehr lesen
Christiane Schulzki-Haddouti

Kommentare