ANTI-PIRATERIEABKOMMEN

"ACTA nicht mit EU-Recht kompatibel"

Anfang Dezember wurde im australisischen Sydney eine finale Fassung des umstrittenen Anti Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) veröffentlicht, das seit 2008 unter anderem zwischen der EU, den USA und Japan ausgehandelt wurde. Das Abkommen, mit dem Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen bekämpft werden sollen, ist nach Meinung europäischer Rechtsexperten in zahlreichen Punkten nicht mit dem EU-Recht vereinbar.

So gehe ACTA etwa bei der Einführung des Strafrechts in den Urheberrechtsbereich über europäisches Recht hinaus, kritisiert Axel Metzger, Rechtsprofessor an der Leibniz Universität in Hannover. Durch ACTA würde der Rechtsschutz für die Rechteinhaber verstärkt, durch das EU-Recht garantierte Rechtsschutzmöglichkeiten für Beklagte jedoch ausgeblendet.

Druck und Einschränkungen

Auch seien die Bestimmungen des Abkommens, das eigentliche auf gewerbliche Urheberrechtsverletzungen abzielt, so offen formuliert, dass auch Urheberrechtsvergehen im privaten Rahmen davon betroffen sein könnten. Daneben bringe ACTA auch Einschränkungen beim Datenschutz und erhöhe den Druck auf die Unterzeichnerstaaten, Bestimmungen zum Schutz geistigen Eigentums weiter zu verschärfen.

Mit einer vor kurzem veröffentlichten gemeinsamen Erklärung will eine Initiative europäischer Rechtswissenschaftler nun die Abgeordneten im Europäischen Parlament dazu bewegen, dem Vertrag ihre Zustimmung zu verweigern: "Jetzt ist die Zeit um diese Debatte ernsthaft zu führen", sagt Metzger im Gespräch mit der FUTUREZONE.

FUTUREZONE: Wo sehen Sie die markantesten Widersprüche des ACTA-Abkommens zum EU-Recht?

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Axel Metzger: Als erster Punkt ist das Strafrecht zu nennen. Wir haben im Bereich der Strafbarkeit bei der Verletzung geistigen Eigentums keine europäische Regelung. Die Kommission hat 2005 einen Richtlinienvorschlag vorgelegt. Das europäische Parlament hat sich dazu 2007 geäußert und Einschränkungen verlangt. Danach ist das Verfahren nicht weiter betrieben worden. Offenbar wegen der parallel laufenden internationalen Verhandlungen zu ACTA. Das heißt, wenn sich jetzt in ACTA die Mitgliedsstaaten oder die Europäische Gemeinschaft verpflichten, Strafrechtsbestimmungen einzuführen, ist es etwas, was über den bisherigen Besitzstand im europäischen Recht hinausgeht.

Es finden sich aber auch in den anderen Kapiteln von ACTA Punkte, die sich mit dem europäischen Recht nicht vereinbaren lassen. Ein weiteres Beispiel wären einstweilige Maßnahmen. Die können zwar auch ohne vorherige Anhörung des Betroffenen durchgeführt werden. Im europäischen Recht ist es aber so, dass hinterher die Möglichkeit für rechtliches Gehör gewährt werden muss. In ACTA findet sich zum Thema rechtliches Gehör bei entsprechenden Maßnahmen kein Wort.

Seitens der EU-Kommission wurde wiederholt versichert, dass durch den ACTA-Vertrag keine Änderungen im Gemeinschaftsrecht notwendig sind.

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Ich halte das für beschönigend. Aus meiner Sicht entspricht das nicht der Rechtslage. Gerade im Strafrecht geht der Vertrag deutlich über Europäisches Recht hinaus. Ich habe schon mehrfach gehört, dass die Kommission nun laviert und sagt, den Vertrag nicht für die Europäische Gemeinschaft sondern im Auftrag der Mitgliedsstaaten verhandelt zu haben. Das halte ich für unlauter. Die Europäische Gemeinschaft hat den Vertrag ausgehandelt, sie hat in diesem Bereich die Kompetenz. Insofern ist für mich nicht einsichtig, dass man für die Punkte, die vom Europarecht abweichen, sagt, das ist gar nicht Europarecht sondern nationales Recht.

Welche generelle Tendenz sehen Sie im ACTA-Abkommen?

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Es werden weitere Sanktionen im Bereich des geistigen Eigentums eingeführt oder bestehende Sanktionen verschärft, ohne dass gleichzeitig Rechtsschutzmöglichkeiten für die Beklagten oder Angeklagten angeführt werden. Der Rechtsschutz für die Rechteinhaber wird verschärft, das Interessensgleichgewicht wird dabei aber außer Acht gelassen.

Im ACTA-Abkommen wird der Begriff "gewerblicher Umfang" sehr breit gehalten - dort heißt es etwa, dass darin Handlungen beinhaltet sind, die einen direkten oder indirekten wirtschaftlichen Vorteil bringen. Werden damit auch Urheberrechtsverletzungen im privaten Rahmen kriminalisiert?

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Das ist unter ACTA grundsätzlich möglich. Die Formulierungen in ACTA zielen zwar in erster Linie auf gewerbliche Verletzer, sie sind aber so offen formuliert, dass durchaus auch Urheberrechtsvergehen im privaten Rahmen darunter fallen können. Das europäische Parlament hat in seiner Stellungnahme zu Strafrechtsbestimmungen 2007 einen expliziten Ausschluss von privaten Handlungen von den Strafrechtsbestimmungen gefordert, das findet sich in ACTA allerdings nicht wieder. Rechteinhaber werden natürlich versuchen, auch Privathandlungen in den Anwendungsbereich von ACTA hineinzuziehen. Ein ausdrücklicher Ausschluss der privaten Handlungen wäre sicherer gewesen.

Europäische Internet-Anbieter haben unter anderem die Regelungen im Zusammenhang mit Unterlassungsverfügungen kritisiert.

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Für Internet-Anbieter wurden im Zuge der Verhandlungen eine Reihe sehr weitreichender Vorschriften vorgesehen, die am Ende jedoch ausgestrichen wurden. Völlige Entwarnung kann aber nicht gegeben werden. Es ist beispielsweise so, dass ACTA recht eindeutig auch Unterlassungsverfügungen gegen Nichtverletzer vorsieht. Beispielsweise könnte der Host-Provider, der Fremdinhalte hostet, kann unter ACTA der Adressat einer Unterlassungsverfügung sein und müsste dementsprechend das Prozesskostenrisiko tragen.

Ursprünglich war auch vorgesehen, dass die Haftungspriveligierung für Internet Service Provider unter die Bedingung gestellt wurden, dass sie sich aktiv um die Vermeidung von Urheberrechtsverletzungen kümmern sollten. Diese Bestimmung wurde aber in den Verhandlungen gestrichen. Allerdings gibt es in Artikel 27 Absatz 3 die Formulierung, dass die Vertragsstaaten Aktivitäten entwickeln sollen, die Internetwirtschaft und Rechtinhaber zu gemeinsamen Anstrengungen gegen die Verletzung geistiger Eigentumsrechte an den Tisch zu bringen. Sie sollen gemeinsame Maßnahmen ergreifen. Das ist eine relativ weiche Formulierung.

Die strafrechtliche Ahndung von Camcording - dem Abfilmen von Filmen in Kinos - ist ihm ACTA-Abkommen optional. Das Abkommen übt ihrer Meinung nach jedoch Druck auf die Verhandlungspartner aus, solche Aktivitäten ohne Einschränkung zu kriminalisieren.

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Der gesamte Komplex von optional gestellten Regelungen in ACTA - Camcording ist dafür ein gutes Beispiel - wird den politischen Druck in den ACTA-Mitgliedsstaaten erhöhen, entsprechende Bestimmungen einzuführen. Der Umstand, dass es auf internationaler Ebene einen Vertrag gibt, in dem solche Regelungen als möglich erachtet werden, wirkt drückend. Das erzeugt Rückenwind für die Lobbyisten der Unterhaltungsindustrie.

Das ACTA-Abkommen wird auch dazu genutzt werden, um kleinere, weniger entwickelte Länder, die bilaterale Handelsabkommen mit der EU oder den USA abschließen wollen, unter Druck zu setzen, solche Regelungen einzuführen. Es wird also politischer Druck erzeugt, auch wenn es im Moment keine Rechtspflicht ist, entsprechende Regelungen umzusetzen.

Kritiker befürchten durch das ACTA-Abkommen auch Einschränkungen beim Datenschutz.

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Das Recht auf Privatsphäre wird sicherlich beeinträchtigt. Das ist insbesondere bei der Offenlegung der Zugangsdaten von Nutzern der Fall. Internet-Anbieter können zur Offenlegung der Nutzerdaten verpflichtet werden. Es sind jedoch keine Rechtsschutzmöglichkeiten vorgesehen, etwa dass die Herausgabe der Daten eine richterliche Anordnung voraussetzt oder nur im Rahmen eines Strafverfahrens möglich ist.

Werden über Abkommen wie ACTA Fakten geschaffen, die nur mehr schwer rückgängig gemacht werden können?

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Das ist exakt das, was uns droht. Es ist auch nicht ungewöhnlich. Die großen Reformen im Urheberrecht in den vergangenen zehn Jahren sind großteils durch internationale Staatsverträge angestoßen worden, deren Bedeutung von der Öffentlichkeit erst sehr viel später erkannt wurde. Dass etwa technische Schutzmaßnahmen in nationalen Urheberrechtsgesetzen verankert wurden, geht auf die WIPO-Verträge aus dem Jahr 1996 zurück.

Bei ACTA kommt allerdings hinzu, dass die Verhandlungen über weite Teile im Geheimen geführt wurden. Das heißt, man hat im Prinzip einen Rechtssetzungsprozess angestoßen, der weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Das Europäische Parlament ist jetzt noch in der Lage, den Text abzulehnen. Änderungen an dem Text vorzuschlagen, ist keine politische Alternative mehr.

Sie sammeln noch bis zum 7. Februar Unterschriften, die dann dem EU-Parlament übergeben werden sollen. Wie sieht das weitere Prozedere aus?

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Das EU-Parlament muss ACTA zustimmen, vorher darf der Vertrag nicht ratifiziert werden. Die Parlamentarier werden sich im Frühling mit dem Abkommen befassen. Das Parlament hat sich im November eigentlich schon Pro-ACTA festgelegt. Es wurde jedoch gesagt, dass das Pro-Votum auf der Prämisse beruht, dass es keine Regelung gibt, die über den jetzigen Besitzstand des europäischen Rechts hinausgeht. Es wird sehr spannend sein, zu sehen, ob das Parlament seine eigene Resolution für null und nichtig erklärt und sagt, obwohl ACTA über den Besitzstand hinausgeht, sagen wir trotzdem ja.

Die Abstimmung im November war ja relativ knapp. Es besteht durchaus die Hoffnung, dass das europäische Parlament den Vertrag am Ende noch ablehnen wird. Jetzt ist also die Zeit, um diese Debatte in Europa wirklich ernsthaft zu führen. Wenn wenn das Parlament zustimmt, sind danach keine großen Änderungen auf europäischer oder nationaler Ebene mehr zu erwarten. Unsere Initiative kommt noch rechtzeitig, um in Brüssel und Straßburg zu einem Umdenken beizutragen. Der Zug ist noch nicht abgefahren. Wer sich einbringen will, sollte das jetzt tun.

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(Patrick Dax)

Axel Metzger ist Professor für Zivilrecht, Geistiges Eigentum, Informationstechnologierecht und Internationales Privatrecht an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Er hat eine Erklärung europäischer Rechtswissenschaftler zu ACTA koordiniert, die Anfang Februar dem Europäischen Parlament übergeben werden soll.

Links:

Informationen zur ACTA-Erklärung der europäischen Rechtswissenschaftler
Text der Erklärung (PDF)

ACTA: Umstrittenes Abkommen

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), mit dem Produktpiraterie und Urheberechtsverletzungen bekämpft werden sollen, wurde von 2008 bis zum vergangenen Dezember zwischen der EU, Australien, Japan, Kanada, Korea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, der Schweiz, Singapur und den USA weitgehend hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Für Kritik sorgte nicht nur die mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen. Bürgerrechtler und Kritiker des Abkommens befürchten Eingriffe in die Grundrechte der Bürger der Unterzeichnungsstaaten.

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Link:

Finale Fassung des ACTA-Abkommens (PDF)

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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