Wie gefährlich ist ACTA?
Wie gefährlich ist ACTA?
© Pawel Supernak, apa

Diskussion zu ACTA

"Der österreichische Markt ist versaut"

Er komme sich vor wie in einer Zeitschleife, sagte Nikolaus Forgö, Professor für Rechtsinformatik an der Universität Hannover, am Donnerstag bei einer Diskussionverstanstaltung des Verbandes der österreichischen Internet-Anbieter (ISPA) zum umstrittenen Handelsabkommen ACTA (kurz für Anti-Counterfeiting Trade Agreement). Seit 15 Jahren würden Rechteinhaber ein mehr an Urheberrechtsverstößen im Netz beklagen und ein Mehr an Regulierung fordern. Alle zwei Jahre gäbe es deshalb neue rechtliche Rahmenbedingungen, ohne das sich an dem Klagelied der Rechteinhaber etwas geändert hätte. ACTA sei nur ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Dennoch sei der umstrittene Pakt bemerkenswert. Zu hinterfragen sei nicht nur, warum eine exklusive Gruppe von Industriestaaten an den traditieren Instutionen wie der WIPO (World Intellectual Property Organization) vorbei an einem völkerrechtlichen Vertrag arbeite. Auch der Entstehungsprozess des Abkommens werfe Fragen auf. ACTA sei weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden und erst dann in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, als es bereits zu spät war, an dem Papier etwas zu ändern. Das Europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof könnten nur noch ja oder nein sagen: "Es ist schön, dass die Diskussion nun erwacht, sie kommt aber reichlich spät."

Diskussion in Österreich "schizophren"
Die politische Diskussion in Österreich über ACTA bezeichnete Forgö als schizophren. Österreich habe das Abkommen zwar unterzeichnet, will es aber vorläufig offenbar nicht ratifizieren. "Die politische Botschaft, die darin liegt, ist interessant."

Die Auseinandersetzung um das Handelsabkommen sei eigentlich eine "religiöse Diskussion", sagte Werner Müller vom Fachverband Film- und Musikindustrie in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Es gehe um weltanschauliche Inhalte. ACTA sei aber auch ein Symbol für die Frage, wie in den nächsten Jahren mit Verwertungsrechten im Internet umgegangen werde. Einen freien Zugang zu Inhalten könne es nicht geben, meinte Müller: "Es gibt kein Menschenrecht auf Bruce Willis". Die Unterhaltungsindustrie wolle ihre Inhalte verkaufen. Dazu brauche man ein Rechtsinstrumentarium.

"Wirtschaftlich nicht mehr tragbar"
Berny Sagmeister vom Musikkonzern EMI schlug in die selbe Kerbe: Musik sei zu bezahlen, darüber brauche nicht diskutiert zu werden. Den österreichischen Markt hat sein Unternehmen bereits aufgegeben. "Der österreichische Markt ist derartig versaut worden, er ist für uns wirtschaftlich nicht mehr tragbar." EMI nehme deshalb auch keine österreichischen Künstler mehr unter Vertrag.

In der Schweiz würde drei Mal soviel Geld für Musik ausgegeben wie in Österreich, führte der Musikmanager weiter aus. Musik werde vorwiegend aus nicht autorisierten Quellen bezogen, auch der Streaminganbeiter Spotify könne hierzulande nicht richtig Fuß fassen: "Es kommt eine Generation auf uns zu, die nicht einmal bereit ist, Werbung zu konsumieren." Heute hätte bereits jeder Gebrauchtwagenhändler einen höheren Tagesumsatz als große österreichische Acts, so Sagmeiser: "Musiker können sich über den Verkauf von Tonträgern nicht mehr finanzieren."

"Künstler in Geiselhaft"
Die Art und Weise wie Künstler von der Tonträgerindustrie in Geiselhaft genommen würden, sei fragwürdig, hielt Markus Stoff von der Initiative für Netzfreiheit dem EMI-Manager entgegen: Es sei unglaubwürdig, sich als Vertreter derjenigen zu inszenieren mit deren Arbeit man Geld verdiene: "Ihre Interessen stehen den Interessen der Künstler diametral entgegen." Die Unterhaltungsindustrie fordere massive Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im Netz, so Stoff. Notwendig sei ein Urheberrecht, dass die neuen Umstände im Netz abdecke und auch die Rechte der Künstler stärke. ACTA stehe hingegen ein rückwärtsgewandtes Urheberrecht.

Urheberrecht sei kein Nutzerrecht, sondern ein Eigentumsrecht, sagte Müller, der auch dem Verein für Anti-Piraterie (VAP) vorsteht. Man könne nicht verhindern, dass Inhalte unerwünscht kopiert werden. Man könne aber verhindern, dass Inhalte vertrieben werden, entgegnete Stoff unter Verweis auf den Einsatz von regionalen Verkaufsbeschränkungen bei DVDs: "Inhalte müssen niederschwellig zugänglich sein, dann sind die Leute auch bereit zu bezahlen." Die Unterhaltungsindustrie sei nicht die einzige Branche die leide, so Stoff weiter: "Sie ist aber die einzige Branche, die Freiheitseinschränkungen fordert."

Frage der Verhältnismäßigkeit
Der Schlagabtausch ging munter weiter. Rechtsprofessor Forgö meinte schließlich: "Ich habe das Gefühl, ich bin auf der falschen Veranstaltung." Er habe erwartet, es gehe um ACTA und die Frage, wie bestehende Rechte durchgesetzt und in eine vernünftige Relation mit anderen Rechten gesetzt werden könnten, sagte Forgö. Das Recht sei schließlich dazu da, um Verhältnismäßigkeitsbeziehungen herzustellen:  "Man könnte sonst auch sagen, dass jemand, der eine Urheberrechtsverletzung begeht, standrechtlich erschossen werden soll."

Die Verhältnismäßigkeit von ACTA zog Forgö in Zweifel. Einige der in dem Abkommen festgehaltenen Regelungen könnten auch so gelesen werden, dass sie mit nationalem und EU-Recht nicht vereinbar seien. Als Beispiel zitierte er einen Passus, in dem festgehalten ist, dass ein Anspruch gegenüber dem Provider auf Herausgabe der Nutzerdaten bereits auf den Verdacht eines Rechtsbruchs zu erfolgen habe.  

ACTA habe dazu geführt, dass die Bevölkerung aufgewacht sei, sagte der Netzaktivist Stoff. Das Urheberrecht gehe alle an. Jetzt gehe es darum die Diskurshoheit von den Lobbyisten zurückzugewinnen.

"ACTA vielleicht schon bald kein Zukunftsthema mehr"
ACTA sei möglicherweise schon in wenigen Monaten kein Zukunftsthema mehr, meinte Industrievertreter Müller unter Verweis auf die

. Die nächsten drei bis fünf Jahre seien aber entscheidend, wie im Internet mit den Rechten Kreativer umgegangen werde. Entweder gebe es eine Marktlösung oder kollektive Systeme, wie etwa eine Kultur-Flatrate. Eine "Netz-Kolchose" brauche er zwar nicht, meinte Müller: "Wenn die Rahmenbedingungen aber keine andere Wahl lassen, werden wir trotzdem darüber reden."

Die "Unerfreulichkeiten der österreichischen Mentalität"
Auch die Klage des Vereins für Anti-Piraterie gegen den Zugangsprovider UPC, die zu einer einstweiligen Verfügung führte, die den Provider dazu verpflichtete,

, kam bei der Diskussion zur Sprache. Ob die Netzsperre verfassungsrechtlich zulässig ist, sei noch offen, meinte Forgö. In Deutschland gebe es kein Zugangskontroll-Gesetz mehr, weil andere Grundrechtspositionen als ausreichend wichtig erachtet worden seien, auch die Vorratsdatenspeicherung sei vom Verfassungsgerichtshof gekippt worden, so der Rechtswissenschaftler, der auch das Schlusswort hatte: "Es gehört zu den Unerfreulichkeiten der österreichischen Mentalität, dass Dinge immer nach dem `Geht-scho-Prinzip" gehandhabt werden und nicht mit der gebotenen Schärfe."

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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