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Konferenz

Die Zukunft des Internet in den Händen der UNO

Diese Woche begannen in Genf diplomatische Verhandlungen zu den „International Telecommunication Regulations“ – einem völkerrechtlichen, weltweit geltenden Vertrag, der den Betrieb und die Abrechnung internationaler Telekommunikationsdienste umfasst. Seit dessen Verabschiedung im Jahr 1988 hat sich die Telekommunikationswelt dramatisch verändert: Viele der ehemaligen staatlichen Telekombetreiber sind inzwischen privatisiert, eine Vielzahl von Wettbewerbern tummelt sich auf dem Markt. Vor allem aber hat das Internet die Marktstrukturen völlig verändert. Ende des Jahres soll deshalb auf der Konferenz WCIT-12 der Vertrag in trockene Tücher gebracht werden.

Ist die Freiheit des Internet in Gefahr?
Vor allem in den USA zeigt man sich besorgt, dass die Verhandlungen sich in eine unerwünschte Richtung bewegen könnten. In einem aufsehenerregenden Kommentar warnte Robert McDowell, Kommissar der amerikanischen Regulierungsbehörde FCC (Federal Communications Commission) im Wall Street Journal nun vor dem Ende der Freiheit des Internet, wie wir es heute kennen. Er glaubt, dass Russland, China und etliche islamische Staaten die Verhandlungen nutzen werden, um die Internetregulierung, die heute von Organisationen wie der ICANN und der IANA besorgt wird, künftig in die Hände der International Telecommunication Union (ITU) zu legen. Weil diese eine UNO-Behörde sei, würden diese Staaten ihre Mitspracherechte nutzen können, um mehr Kontrolle und Zensur über das Internet auszuüben. Besondere Sorge bereitet McDowell, dass die US-Regierung bislang noch nicht einmal einen Verhandlungsführer benannt hat.

Im Netz wurde hingegen bereits ein entwarnendes Memo der US-Regierung von Ende Januar bekannt. Mc Dowells Befürchtungen wären demnach längst veraltet. Die US-Regierung habe es geschafft, ihre Strategie, die auf eine weitere Deregulierung und Liberalisierung der Märkte setze, in den Vorverhandlungen durchzusetzen. Entscheidend hierfür sei gewesen, dass der bestehende Vertrag als Rahmen für die Verhandlungen akzeptiert wurde und keine neuen Forderungen wie etwa zur Internetregulierung oder Cybersicherheit aufgenommen wurden. Gleichwohl gebe es, so das Memo, neue Probleme: Einige Entwicklungsländer bestünden auf stärkeren Regulierungsmaßnahmen und wollten Umsatz-Fragen thematisieren, wie etwa Transfer-Zahlungen.

Teuerer Datentransit für amerikanische Inhalte
Tatsächlich listet McDowell in seinem Warnruf auch die Frage der Transfer-Zahlungen auf. So könnten künftig die gegenwärtig nicht regulierten Transit- bzw. Peering-Vereinbarungen zwischen den Internet-Providern normiert werden. Dabei geht es um den gegenseitigen Datenaustausch. Bei einem etwa gleich großen gegenseitigen Datenaufkommen wird der Traffic nicht in Rechnung gestellt. Ist das Datenaufkommen ungleich, muss der Provider zahlen.

Wolfgang Kleinwächter ist als Professor für internationale Kommunikationspolitik an der dänischen Universität Aarhus seit Jahren ein aufmerksamer Beobachter der internationalen Internetpolitik. Er sagt: „Wer ruft weltweit schon Websites aus Togo auf?“ Es sei richtig, dass die alten Telekom-Revenue-Sharing-Abkommen die Entwicklungsländer begünstigten, weil sie mehr eingehenden als ausgehenden Traffic hatten. Mit dem Internet habe sich das geändert, weil der ausgehende Traffic größer sei als der eingehende - einfach weil die meisten Content-Server in den westlichen Staaten stünden.

Frankreich will Content-Anbieter belasten
Es sind jedoch nicht nur die Entwicklungsländer, die Druck machen: In Europa ist es insbesondere Frankreich, das in jüngster Zeit Überlegungen angestellt haben soll, die gegenwärtigen Verhältnisse zu ändern. Weil viele französische Nutzer amerikanische Content-Anbieter nutzen, müssen französische Provider wie die France Telecom kräftig in die Taschen greifen, um die Wünsche ihrer Kunden erfüllen zu können. Die Idee ist daher, Content-Anbieter wie Youtube oder Facebook künftig zur Kasse zu bitten.

Um die Annahme, dass inländische Provider ungleich mehr zahlen aus ausländische Provider, mit Fakten zu untermauern, fordert die französische Regierung, dass jeder französische Provider in jedem Quartal angeben soll, wer mit wem welches Volumen ausgetauscht hat. Außerdem sollen die jeweiligen Verträge offengelegt werden. Für Harald Summa, Geschäftsführer des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco, ist dieses Vorgehen jedoch absurd: „Nur 0,2 Prozent des Datenaustauschs ist überhaupt vertraglich geregelt. Und über den Root-Server lässt sich das ganze Peering ja erkennen.“

Ob eine Regulierung in diesem dynamischen, ausschließlich privatwirtschaftlich geregelten Bereich überhaupt sinnvoll ist, ist fraglich. Zwar ist es plausibel, dass amerikanische Unternehmen mehr Umsatz über den Datentransfer generieren, die sie selbst über ihre Angebote verursachen. Gleichwohl investieren die großen Content-Anbieter wie Google und Facebook schon seit einiger Zeit in Europa und bauen dort riesige Rechenzentren auf, um zu verhindern, dass der Datenverkehr bei jeder europäischen Anfrage erst einmal über den Atlantik geleitet wird. Und Wolfgang Kleinwächter glaubt, dass sich mit den Internet-Exchange-Points und den Anycast-Root-Servern das Problem inzwischen reduziert habe.

Freiheit des Internet ist an mehreren Fronten gefährdet
Fraglos scheuen amerikanische wie europäische Politiker im Vorfeld des ITU-Kongresses nicht vor harten Bandagen zurück, um ihre jeweilige Position zu illustrieren. Die Schlacht um die Freiheit des Internet, die McDowell schlagen will, findet jedoch nicht bei der ITU statt, sondern an mehreren Fronten. Unter anderem auch an der amerikanischen Heimatfront: Der amerikanische Autor und Blogger Cory Doctorow kommentierte McDowells Kassandrarufe scharfsinnig mit einem Hinweis auf den jüngsten amerikanischen Gesetzesvorschlag namens SOPA, der in Vorwegnahme der ACTA-Philosophie etwaige Urheberrechtsverletzungen mit einer präventiven Überwachung des gesamten Internetverkehrs durch die Provider ahnden will. Außerdem habe die USA längst auf Ruf der amerikanischen Unterhaltungsindustrie eine extraterritoriale Rechtsprechung etabliert, die die Beschlagnahmung ausländischer Com- und Net-Domains über den Top-Level-Domain-Verwalter Verisign durchsetzt.

Gleichwohl ist die UNO als Player nicht zu vernachlässigen. Wolfgang Kleinwächter glaubt, dass der WCIT-12-Kongress „sehr kritisch“ sei und „weitgehend unterschätzt“ werde. Gleichwohl glaubt er nicht, dass dort eine Spaltung oder „Balkanisierung“ des Internet, wie McDowell glaubt, stattfinden werde. Auf UNO-Ebene fänden jedoch eine Reihe weiterer Treffen in diesem Jahr statt, die eine größere Gefahr für die Internet-Governance darstellen könnten. So drängen Indien, Brasilien und Südafrika darauf, ein „United Nations Committee for Internet-Related Policies“ (CIRP) einzurichten, das technischen und organisatorische Aufgaben übernehmen soll, die derzeit von der ICANN, IANA, W3C und anderen Organisationen derzeit wahrgenommen werden. Zwar wurde der Vorschlag im November 2011 weitgehend zurückgewiesen, doch die UNO-Generalversammlung will das Thema im Rahmen eines Treffens in Genf im Mai wieder aufgreifen.

Ebenfalls in diesem Jahr wird der russische Vorschlag für einen Verhaltenskodex in Fragen des Cyberwars erneut in einem anderen UNO-Gremium aufgegriffen, nämlich in der unter russischen Vorsitz stehenden “Group of Governmental Experts on Developments in the Field of Information and Telecommunications in the context of International Security” (GGE)“. Er formuliert zwar Prinzipien wie die Einhaltung der UN-Charta, gleichzeitig verlangt er aber, dass die Rechte und die Freiheit des Informationsraums auf Basis der nationalen Gesetze respektiert werden sollen. Für den Sicherheitsforscher Götz Neuneck bedeutet das, „dass ein Staat wegen Sezession oder Terrorismusaktivitäten das Internet auch abstellen darf – wie etwa kürzlich in Ägypten.“

Internetpolitik auf UNO-Ebene in geschwächtem Zustand
Kleinwächter fürchtet, dass wenn Brasilien, Indien und Südafrika keine Fortschritte mit ihren Vorschlägen im Laufe dieses Jahres machen können, sie sich mit Russland und China auf dem WCIT-12-Kongress verbünden könnten. In diesem Fall wäre an der Warnung von McDowell tatsächlich mehr dran, und es ginge um mehr als nur um die monetäre Frage des Peerings. Kritisch ist vor diesem Hintergrund auch der traurige Zustand des Internet Governance Forums (IGF), das den Staaten innerhalb der UNO-Gremien etwas Widerstand entgegensetzen könnte: Im vergangenen Jahr verlor es nach einigen ergebnislosen Treffen zentrale Führungspersonen, deren Positionen bis heute nicht besetzt wurden. Daher kursiert der Verdacht in der Community, so Kleinwächter, dass einige Regierungen das IGF, das Stimmen aus internationalen Organisationen, der Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu Gehör bringt, schwächen oder gar beseitigen wollen. Wohl um ihre Interessen dann leichter durchsetzen zu können.

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