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Netzneutralität

EU-Kommission: "Kein Zwei-Klassen-Internet vorgesehen"

In Europa steht für die kommenden Monate die Verankerung der Netzneutralität in einer EU-Verordnung auf dem Programm. Die Basis dazu bildet ein Entwurf der EU-Kommission, der gerade von den Ausschüssen im EU-Parlament überarbeitet wird und über den Ende Februar im federführenden ITRE-Ausschuss abgestimmt wird. Der Vorschlag der EU-Kommission ist jedoch für viele EU-Abgeordnete sowie Netzaktivisten der Weg in ein „Zwei-Klassen-Internet“.

So soll es Internet-Providern ermöglicht werden, mit Inhalte-Anbietern Premium-Dienste auszuhandeln, die für zahlungswillige Kunden schneller zur Verfügung stehen. YouTube könnte dann gegen Bezahlung schneller verfügbar sein als der Konkurrent Vimeo. Internet-Anbieter bekommen auch die Möglichkeit, Inhalte unter bestimmten Umständen zu verlangsamen oder gar zu blockieren. Konkret heißt es im Vorschlag der EU-Kommission: „um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern“.

Kein Zwei-Klassen-Internet?

Die EU-Kommission sieht sich nun falsch verstanden. Sie verlautbarte nach einem Artikel, der auf futurezone.at und im KURIER erschienen ist, Folgendes: „Es ist kein 2-Geschwindigkeiten-Internet vorgesehen und auch kein Eindringen in die Privatsphäre. Einzig die Möglichkeit, eine schnellere Verbindung zu erwerben, soll geschaffen werden und natürlich das Recht den Anbieter zu wechseln, wenn dieser die versprochene Leistung nicht erbringt“, heißt es auf der Website der Vertretung der EU-Kommission in Österreich.

"Die Europäische Kommission setzt sich mit Nachdruck dafür ein, Netzneutralität erstmals gesetzlich für ganz Europa festzuschreiben. Heute genießen nur drei Prozent der Europäer einen solchen Schutz – einen Schutz der nach meiner Überzeugung uns allen zusteht. Wir wollen den Zugang aller Internetnutzer zu allen Inhalten, über alle Endgeräte und in allen Netzen sicherstellen“, so die EU-Kommissarin Neelie Kroes.

Doch was ist „die Möglichkeit, eine schnellere Verbindung zu erwerben“ anderes als ein Zwei-Klassen-Internet? Und schafft man Verkehrsmanagement ohne Eindringen in die Privatsphäre der Nutzer? Die futurezone wollte es genauer wissen und bat die EU-Kommission um eine Erklärung. Die Antworten gab Ryan Heath, Pressesprecher der EU-Kommissarin Kroes.

Die Möglichkeit zum Erwerb einer schnelleren Verbindung ist aus Ihrer Sicht kein „Zwei Klassen Internet“? Ist es nicht so, dass es sich nicht jeder leisten können wird, eine schnellere Verbindung zu erwerben?
Ryan Heath: Heute gibt es bereits tausende "Klassen" des Internets. Das Internet ist anders, abhängig davon, wo Sie wohnen und welche Technologie Sie abonnieren (3G, 4G, Kabel, ADSL, VDSL usw.). Es ist davon abhängig, was Sie bereit sind dafür zu zahlen, was Ihr Anbieter Sie tatsächlich sehen lässt, wie viel Wettbewerb es im nationalen Markt gibt und so weiter.

Das Beste, was wir auf dieser Grundlage tun können, ist das Thema Internetzugang als Ganzes zu betrachten. Bezüglich des Zugangs zu Inhalten heißt das, jedem eine hundertprozentige Garantie zu geben, dass ihr Provider keine Inhalte blocken oder drosseln kann.

Etwas allgemeiner heißt das, eine Mischung aus öffentlichen und privaten Finanzen zu nutzen um sicherzustellen, dass jeder Europäer Zugang zum Internet hat. Wenn wir versuchen würden Internetprovider daran zu hindern, unterschiedliche Geschwindigkeiten anzubieten, würden die meisten Menschen, die überhaupt keine Videoinhalte im Internet schauen, die Minderheit derer bezuschussen, die viele Videos nutzen. Das wäre nahezu unmöglich umzusetzen und wäre in der Praxis unfair, selbst wenn eine politische Einigung dazu erreicht werden könnte.

Finden Sie wirklich, dass es „kein Eindringen in die Privatsphäre“ geben wird, wenn Internetanbieter Inhalte verlangsamen oder blockieren dürfen?
Unser Vorschlag verbietet das Blockieren oder Verlangsamen von Inhalten. Nutzer wären in der Lage auf der Webseite der unabhängigen nationalen Regulierungsbehörde unabhängige Internet-Tests durchzuführen, um zu sehen, ob sie tatsächlich das bekommen, für was sie auch bezahlen. Sollten sie nicht das bekommen, für was sie bezahlen, könnten Nutzer zurücktreten. Dabei handelt es sich aber nicht um Überprüfungen, die in die Privatsphäre eindringen.

Um aber "spezialisierte Dienstleistungen" – wie z.B. spezielle Verbindungen für Videokonferenzen – zu untersagen, ist der einzige Weg, eine erfolgreiche Unterlassung festzustellen, die genaue Inspektion über Deep Packet Inspections. Je mehr Dinge Sie verbieten, desto mehr Risiken ergeben sich für den Datenschutz und desto weniger Sicherheit haben Sie bei der Stärkung des neuen Systems. Eine sehr starke Regulierung des Internets steht in Konflikt damit, wie das Internet bisher reguliert worden ist. Es ist also kein leichter Schritt.

Hat der EU-Datenschützer Peter Hustinx mit seiner Befürchtung, dass das Traffic Management mit der Deep Packet Inspection realisiert werden soll, also Recht?
Nein. Wir denken nicht, dass Deep Pack Inspection notwendig ist.

Warum sind Netzsperren im Verordnungsvorschlag der EU-Kommission enthalten?
Heutzutage bekommen mehr als 100 Millionen Menschen in Europa nicht den Internetservice, den sie tatsächlich wünschen, weil Services geblockt oder verlangsamt sind. Sehr oft über mobiles Breitband. Von den Anti-ACTA-Protesten wissen wir, dass die Menschen deswegen sehr besorgt sind. Diese Hinweise auf weitverbreiteten Ärger sind unsere Motivation, den Internetnutzern neue Rechte zu liefern.

Sind Netzsperren aus Ihrer Sicht mit Netzneutralität vereinbar?
Netzneutralität ist kein Recht um illegale Bilder zu zeigen oder schwerwiegende Verbrechen aufrechtzuerhalten.

Was sagen Sie zum Vorwurf von Peter Hustinx, dass der Verordnungsvorschlag wegen dem Eingriff in die Privatsphäre nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Zwecke des Verkehrsmanagements dem EU-Datenschutzrecht widersprechen soll?
Unsere Rechtsdienst ist nicht der Meinung, dass es gegen EU-Recht verstoße. Wir würden nie einen solchen Vorschlag machen, wenn er illegal wäre. Unser Rechtsdienst bestätigt, dass der Vorschlag gesetzeskonform ist. (Interview Ende).

Der Vorschlag der EU-Kommission wurde bereits vom EU-Parlament überarbeitet. Wie bereits berichtet, wurde unter anderem im Binnenmarkt-Ausschuss des EU-Parlaments bereits über Kompromissvorschläge zum EU-Kommissionsvorschlag abgestimmt. Diese könnten auch das Aus für Netzsperren, so wie sie im EU-Kommissionsvorschlag vorgesehen sind, sowie das Aus für das Anbieten unterschiedlicher Geschwindigkeiten über Spezialdienste bedeuten. Im EU-Parlament entscheidet als nächstes der federführende ITRE-Ausschuss, wie es mit der Netzneutralität in Zukunft weitergeht und wie diese in der EU definiert wird.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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