© Facebook_Montage_Jakob Steinschaden

USA

Facebook: Datamining ohne Zustimmung der User

Ein starker Dezember, dann ein Tief während der Weihnachtsfeiertage und schließlich eine Explosion auf 250.000 Erwähnungen am 3. Jänner: Interessierte können auf der US-Nachrichtenseite Politico.com seit kurzem die Stimmungslage etwa zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ron Paul im US-Bundesstaat South Carolina in bunten Grafiken mitverfolgen. Die Daten stammen allerdings nicht aus Telefonumfragen, sondern von Facebook.

Das Online-Netzwerk hat Politico Zugriff auf sämtliche Statusmeldungen, geteilten Links, Pinnwandeinträgen und Kommentaren seiner US-Nutzer gewährt. Diese Nutzerdaten - darunter wohlgemerkt auch solche, die als "privat” einzustufen sind - werden von Politico zur politischen Stimmungsanalyse herangezogen. Welcher Kandidat wurde wann und in welchem Kontext erwähnt? Per LIWC-Methode ("Linguistic Inquiry and Word Count") wurden zwischen 12. Dezember und 10. Jänner die Textdaten nach Namen der Kandidaten sowie positiven und negativen Emotionen untersucht und daraus Stimmungswerte errechnet.

Datengräber

In der offiziellen Bekanntgabe von Facebook zu der Datenweitergabe an Politico findet sich der Begriff "Datamining” nicht. "Nach US-Recht ist das kein Datamining, weil die Auswertung außer Haus stattfindet. Deswegen bekommen sie auch keine rechtlichen Probleme”, sagt Florian Matscheko, Datenspezialist bei der Österreichischen Gesellschaft für Marketing (OGM). Seiner Meinung handelt es sich aber sehr wohl um Datamining, Facebook würde die Auswertung des riesigen Datensatzes durch eine andere Firma schließlich dulden und die grundlegenden Informationen zur Verfügung stellen. Außerdem hat Facebook schon in der Vergangenheit Daten-Analysen von Nutzerinhalten durchgeführt - etwa mit der Berechnung des Bruttonationalglücks von mehr als 20 Staaten, darunter auch Deutschland und Österreich, auf Basis von Emotionen in Statusmeldungen der Nutzer.

Ohne Opt-out-Möglichkeit
Aus Sicht der US-Mitglieder des Online-Netzwerks wirft die Datenweitergabe trotzdem einige Fragen auf. So werden eben nicht nur öffentliche ("sichtbar "für alle”), sondern auch private Daten ausgewertet. Eine Vorabinformation zu dem Vorgehen gab es seitens Facebook keine, genauso wenig, wie eine Opt-out-Möglichkeit für kritische User zur Verfügung gestellt wird. "Nicht öffentliche Daten auszuwerten, ist extrem bedenklich”, sagt Matscheko. Sein Arbeitgeber belässt es bei seiner "Web2Watch”-Software (basiert auf Radian6 von Salesforce) bei der Analyse von öffentlich zugänglichen Facebook-Daten, etwa für das Online-Monitoring von Marken. Außerdem gibt es eine Opt-out-Möglichkeit - eine eMail an out@ogm.at samt Namen oder Profil-Link reicht.

Kritik an der Methode kommt auch aus ganz anderer Richtung: So weist der renommierte Autor Micah Sifry in einem Artikel auf TechPresident.com, darauf hin, dass die von Facebook und Politico durchgeführte Stimmungs-Analyse falsche Ergebnisse bringen würde. Denn ob ein Nutzer etwa den Satz ""I’m so happy that Newt Gingrich is staying in the race” sarkastisch, ehrlich oder sonstwie gemeint hat, könne eine reine Textanalyse nicht feststellen.

In Europa undenkbar
Von Seiten Facebook und Politico wird betont, dass keine Mitarbeiter die persönlichen Nutzerinhalte zu Gesicht bekommen würden und diese nur anonymisiert und maschinell verarbeitet werden. "Kein Mitarbeiter von Facebook oder Politico liest diese Beiträge und alle Werte sind allgemein pro Kandidat und pro Tag zusammengefasst”, so eine Facebook-Sprecherin. Während die Öffentlichkeit in den USA an politisches Datamining im großen Stil seit dem Clinton-Wahlkampf gewöhnt ist, würde ein ähnliches Vorgehen in Europa auf viel mehr Widerstand stoßen, so Matscheko. Bestrebungen, diese Form der Datenanalyse etwa auch in Deutschland oder Österreich zu erlauben, gibt es Facebook zufolge nicht.

Datamining als Millionengeschäft
Geld soll Politico für die Facebook-Daten keines gezahlt haben - dabei ist Datamining schon längst ein Millionengeschäft. In Österreich etwa verkauft A1 anonymisierte Bewegungsdaten seiner Handynutzer an Werbetreibende, bei der Post bekommt man laut Matscheko Wohnadressen von Personen mit bestimmten Interessen (etwa, um gezielt Postwurfsendungen zu machen) zum Stückpreis von zehn Cent bis 1,50 Euro. Einer der größten in Österreich tätigen Datenhändler ist etwa auch die Schober Information Group, die ihre Dienste Versicherungen, Banken, Tourismusbetrieben oder der Automobilindustrie anbietet - und sich bereits 1999 eine Negativ-Auszeichnung der Big Brother Awards einhandelte. Auch für OGM sind Datenauswertungen von Social-Media-Diensten via Radian6-Software eine Einnahmequelle: Analysen werden pro Kunde um bis zu 150.000 Euro jährlich verkauft.

Tiefe Einblicke für den US-Wahlkampf
Doch während es in unseren Breitengraden beim Datamining noch hauptsächlich um Marketing geht, wird das Schürfen nach Informationen in den USA bereits als wahlentscheidend angesehen. US-Präsident Obama ließ einem CNN-Artikel zufolge bereits nach Datenspezialisten suchen, die ihm bei der Wahl im November 2012 zur zweiten Amtszeit verhelfen sollen. Bereits jetzt hat sein Team Zugriff auf die Daten von mehr als 24 Millionen Facebook-Nutzern. Die Fans seiner Facebook-Seite lassen sich nach Alter, Geschlecht und Herkunft einstufen. Diese Informationen könnten dem Wahlkampf-Team helfen, Kampagnen zu planen. Noch weiter geht die Facebook-App "Obama 2012 - Are You In?” mit mehr als 80.000 Anwendern, der man als Nutzer Name, Profilbild, Geschlecht, Netzwerke, Freundeslisten, Alter, religiöse Überzeugungen, politische Ansichten verraten muss. Politiker brauchen zum Datamining also oft gar nicht die Unterstützung von Facebook - die Zustimmung der Nutzer per Mausklick reicht.

Mehr zum Thema

  • Facebook-Spiel prangert Mitgift-Tradition an
  • US-Behörden überwachen Facebook und Twitter
  • Ajatollah nennt Facebook "unislamische Sünde"

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

Jakob Steinschaden

mehr lesen
Jakob Steinschaden

Kommentare