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Anonymisierungsnetzwerk

Grazer Urteil: : "Kein Grund, Tor-Relays abzuschalten"

Vergangene Woche war das Anonymisierungsnetzwerk Tor in aller Munde: Am Montag wurde in Graz ein IT-Administrator und Betreiber eines Exit Nodes für das Anonymisierungsnetzwerk Tor als Beitragstäter zur Verbreitung kinderpornografischer Inhalte verurteilt. Am Donnerstag wurde bekannt, dass ein Tor-Verzeichnisserver eines österreichischen Universitätsmitarbeiters von der NSA überwacht wurde und bereits eine Google-Suche nach Tor ausreicht, um auf der „Extremisten“-Liste der NSA zu landen.

Grund genug für die futurezone, um beim österreichischen Tor-Relay-Betreiber und IT-Spezialisten, Josef Zawodsky, nachzufragen, wie es mit den Nutzer-Zahlen von Tor in Österreich aussieht, welche Menschen den Anonymisierungsdienst unter anderem für ihre Arbeit benötigen, und wie Betreiber von Tor-Relays nun reagieren.

futurezone: Wie viele Tor-Exit-Node- und Tor-Relay-Betreiber gibt es schätzungsweise in Österreich?
Zawodsky: Am 4.7. um 11 Uhr waren es 50 Tor Relays (Non-Exit, Running) und nur neun Tor-Exits. Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl an Bridges, sowie zirka 20 Relays die nicht permanent laufen.

Und wie viele Tor-Nutzer gibt es in Österreich?
In den letzten 90 Tagen bewegt sich die Anzahl der aktiven Nutzer in Österreich zwischen 15.000 und 20.000 pro Tag. Aktuell sind es zirka 18.000, wie aus der offiziellen Quelle hervorgeht.

Der betroffene Grazer wurde wegen "Mittäterschaft" verurteilt. Laut Paragraf 12 Strafgesetzbuch ermöglicht oder erleichtert ein Beitragstäter dem Täter die Tat mit „bedingtem Vorsatz“. Jeder, der einen Tor-Exit-Node betreibt, ist sich dessen bewusst, dass darüber auch unautorisierte oder illegale Inhalte verbreitet werden können. Ist das Urteil daher jetzt eine Gefahr für alle Betreiber dieser Dienste, oder kann man von einem "unglücklichen Einzelfall" sprechen?
Der Betrieb des Tor-Exits war im vorliegenden Fall nicht maßgeblich relevant für das Urteil. Der konkrete Fall ist sicherlich komplex und das Urteil wird auch vom Anwalt des Beklagten für falsch gehalten. Insgesamt hat dieses Urteil auf den Betrieb von Internet-Diensten in Österreich im allgemeinen und auf Tor-Nodes im Speziellen keine Auswirkungen. Das größte Risiko ist die in Österreich bestehende Rechtsunsicherheit. Diese zu klären ist ein Ziel der Tor-Community im Dialog mit den österreichischen Internet Service Providern (ISPs).

Woraus besteht diese Rechtsunsicherheit genau?
Es geht dabei um den §13 E-Commerce-Gesetz. Technisch ist klar, dass es sich bei Tor (einem sogenannten Overlay-Netzwerk auf dem Internet) um ein Kommunikationsnetz handelt. Das Problem ist, dass das nicht ausjudiziert ist. Dies können wir aber nicht erzwingen, was die Rechtsunsicherheit ausmacht. Wenn rechtlich bestätigt wird, dass das Tor-Netz ein Kommunikationsnetz nach E-CG §13 ist, dann gibt es auch den Haftungsausschluss der für alle Internet Service Provider gilt. Man stelle sich vor, die Post wäre dafür verantwortlich was sie transportiert, oder der Staat wäre dafür verantwortlich, wie Leute auf den vom Staat gebauten Autobahnen fahren.

Die Tor-Community ist bestrebt mit der ISPA gemeinsam diese Klärung durchführen zu können. Aus technischer Sicht ist es zwar klar, aber das muss dann entsprechend noch Juristen, Richtern und der Gesetzgebung klargemacht werden.

Würden Sie nach dem Grazer-Urteil Betreibern von Tor-Exit-Node oder Tor-Relays dazu raten, ihre Serverdienste vorerst nicht mehr anzubieten, wie es das Blog "Blackout Austria" empfiehlt?
Nein, es besteht kein Grund dazu laufende Dienste abzuschalten.

Jüngsten Enthüllungen zufolge sind alle Nutzer des Tor-Netzwerks Ziel der Spähattacken der NSA. Bereits eine Google-Suche nach Tor reicht aus, um auf der "Extremisten"-Liste der NSA zu landen. Das wird viele Internet-Nutzer verunsichern. Warum sollte man Ihrer Meinung nach Tor trotzdem einsetzen und was kann man gegen diese Verunsicherung tun?
Nicht nur Benutzende von Tor sind Ziel der NSA Überwachung, sondern die gesamte Bevölkerung. Tor ist eine Technologie, die es Benutzern ermöglicht, ihre Privatsphäre besser zu schützen und wird sowohl von Privatpersonen, Behörden als auch von Wirtschaftstreibenden und in der Forschung eingesetzt. Viele der genannten Gruppen könnten ohne Anonymisierungstechnologie ihre Arbeit gar nicht durchführen. Auch Journalisten brauchen Anonymität zur Erfüllung des gesetzlich vorgeschriebenen Quellenschutzes.

Was die NSA Überwachung angeht, wäre es vor allem an der österreichischen Regierung gelegen, endlich tätig zu werden und für Aufklärung in Österreich zu sorgen. Bisher wurde die Thematik durch die Regierungsparteien völlig totgeschwiegen.

In Österreich soll ein Universitätsmitarbeiter von der NSA ausspioniert worden sein, weil er einen Tor-Verzeichnisserver betreibt. Ist die Überwachung von Österreichern durch diesen Fall für Sie bewiesen?
Ich habe in dem XKeyScore-Filter-Sourecode nachgeschaut. Der österreichische Tor Directory Authority Server steht mit IP-Adresse drin. Daher muss davon ausgegangen werden, dass der Betreiber auch ein explizites Target der NSA ist und auch in Österreich großflächig die Bevölkerung überwacht wird.

Werden Sie Ihr Tor-Relay weiter betreiben?
Ich verwende Tor seit vielen Jahren und zwar täglich. Der Konsens beim Tor-Operator Meeting am Donnerstag in Wien war einhellig, dass die bestehenden Relays weiter betrieben werden sollen, da es momentan keinen Grund zur Abschaltung gibt. Ich selbst werde mein Relay ebenfalls weiter betreiben.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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