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Urheberrecht

"Kopien gibt es auch im Fußball"

Sein 2011 bei Suhrkamp erschienenes Buch "Mashup" leitet der Autor und Journalist Dirk von Gehlen mit einem Sturmlauf Lionel Messis aus dem Jahr 2007 ein. Nachdem Messi vier gegnerische Spieler überspielt hat, schießt er den Ball aus spitzem Winkel ins Tor. Bemerkenswert ist der Sturmlauf nicht nur wegen der spielerischen Raffinesse Messis. Das Tor ist eine Kopie.  Jahre zuvor, bei der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko, hatte Messis Landsmannn Diego Maradona die Hoffnungen des englischen Nationalteams auf den Titel mit einem fast identischen zustande gekommenen Torschuss versenkt. Auf YouTube finden sich zahlreiche Zusammenschnitte (Mashups) der beiden Tore, auch eine Wortneuschöpfung war die Folge: "Messidona".

"Man kennt Mashups in der Musik, in der Malerei, in der Literatur und vor allem auch im Internet", schreibt von Gehlen: "Und dank Lionel Messi und Diego Maradona kennt man sie jetzt auch im Fußball." Kopien und Fußball spielen auch im jüngsten Werk des in München lebenden Journalisten und Autors eine Rolle. In "Eine neue Version ist verfügbar" untersucht er neue Formen der kulturellen Produktion und probiert sie auch gleich selbst aus. Das Buch wurde über die Crowdfunding-Plattform finanziert, Unterstützter konnten am Entstehungsprozess teilhaben.

Am Freitag ist von Gehlen bei dem Kongress "Shared Digital Futures"  Wien zu Gast, bei dem die Auswirkungen der Vernetzung und Digitalisierung auf die Kulturproduktion erörtert werden. Die futurezone hat mit von Gehlen über digitale Kopien, Schreibexperimente und Fußballspiele gesprochen.

futurezone: Sie experimentieren mit ihrem jüngsten Buch "Eine neue Version ist verfügbar" mit neuen kulturellen Produktionsformen. Wie verändert die Digitalisierung unsere Kultur?
Dirk von Gehlen: In "Mash-up" beschäftige ich mich mit der Frage, wie digitale Kopie uns erstmals in der Geschichte der Menschheit in die Lage versetzt hat, Inhalte identisch zu duplizieren also unabhängig von ihrem Datenträger zu verbreiten, fast kostenfrei und ohne Qualitätseinbuße. Das wird häufig als negative Entwicklung gewertet, weil es Geschäftsmodelle in Frage stellt. Jetzt suche ich nach Möglichkeiten, die digitale Kopie positiv einzusetzen. Meine These ist, dass durch die Digitalisierung kulturelle Produkte - Filme, Bücher und Musik - zur Software werden. Sie sind kein festes Werkstück mehr, das unveränderlich ist, sondern sie befinden sich in einem Prozess. Vom Browser Firefox gibt es ja auch nicht die eine, unveränderliche Version. Er wird immer weiter entwickelt.

Alles ist im Fluss?
Ja, in der Musik kennen wir das ja schon. Es gibt Coverversionen und Remixes, aber die entstehen alle erst nach der Veröffentlichung. Das ist auch für Bücher und Filme vorstellbar. Wir können aber auch schon die Entstehung zeigen.  Bevor ein Buch veröffentlicht wird, können wir seine Versionierung offenlegen. Ich habe versucht, das in die Tat umzusetzen.

Dazu haben Sie das Buch über eine Crowdfunding-Plattform finanziert und Unterstützern Einblick in die Entstehung des Buches gegeben. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Ich habe im Oktober auf der Plattform Startnext den Lesern ein Angebot gemacht. Ich hab gesagt, ich möchte ein neues Buch schreiben, wer von euch möchte dieses Buch kaufen, obwohl noch nicht eine Zeile davon geschrieben ist. 350 Leute haben das Buch vorab gekauft. Sie bekommen dieser Tage eine gedruckte Version zugeschickt. Sie haben aber nicht nur das fertige Buch gekauft, sondern vor allem den Zugang zum Schreibprozess. Sie haben einmal pro Woche eine E-Mail bekommen, mit einem sich ständig verändernden PDF. Sie konnten mir beim Schreiben zuschauen.

Haben sich die Unterstützer auch inhaltlich beteiligt?
Sie haben auf jeden Fall Einfluss genommen, allein dadurch, dass sie zugeschaut haben. Jeder, der schon einmal einen Text veröffentlicht oder einen Song geschrieben hat, weiß, dass es komisch ist, wenn einem dabei jemand über die Schulter schaut. Das verändert das Schreiben. Die Mitschreiber, so nenn ich sie, haben nicht wirklich Text beigesteuert. Aber sie haben mich an sehr vielen Punkten mit Hinweisen, Links und Buchempfehlungen unterstützt.

Kann das Buch auch nach der Veröffentlichung weiter geschrieben werden?
Das Buch erscheint im Herbst als gedruckte Version unter einer Creative Commons Lizenz. (Non commerical, Share alike) Jeder kann es weiterschreiben, wobei ich gar nicht weiß, ob das tatsächlich gewünscht wird. Bei denen, die das Buch am Anfang mitfinanziert haben, hatte ich das Gefühl, dass es den meisten tatsächlich um das Zuschauen und das Erleben des Entstehungsprozesses ging.

Worin liegt der Reiz, am Entstehungsprozess eines Werkes teilzunehmen?
Bei der Produktion von kulturellen Inhalten konzentrieren wir uns nur auf das Ergebnis. Wenn wir uns Fußball und andere Sportarten ansehen, ist die Art, wie das Ergebnis zustandekommt, aber viel entscheidender als das Ergebnis selbst. Natürlich spielt es eine Rolle, ob meine Mannschaft gewinnt. Ich möchte aber auch, dass meine Mannschaft auf eine besondere Art gewinnt. Das möchte ich miterleben und weitererzählen können. Das lässt sich auch auf kulturelle Werke anwenden. Man muss dem Publikum diese Besonderheit eröffnen.

Daraus ergeben sich auch neue Geschäftsmodelle?
Mir ging es darum, neue Denkmodelle zu entwickeln, die aber durchaus auch zu neuen Geschäftsmodellen führen können. Bei meinem Experiment sind am Ende rund 14.000 Euro zusammengekommen. Das ist nicht viel, zeigt aber, dass die Digitialisierung uns Möglichkeiten gibt, die wir vorher nicht hatten.

Die Wertschöpfung verlagert sich in Bereiche, die sich nicht kopieren lassen?
Ich nenne das die unkopierbaren Momente. Die Digitalisierung führt uns dazu, dass wir Inhalte sehr leicht kopieren können. Das Einzigartige entsteht über Momente, die man nicht kopieren kann. Ich besuche ein Konzert oder ein Fußballspiel und lasse andere daran teilhaben. Menschen laden massenweise unscharfe Bilder von Popkonzerten auf Facebook hoch, weil sie zeigen wollen, dass sie an einem einzigartigen Moment teilnehmen. Es muss darum gehen, diese unkopierbaren, einzigarten Momente in den Mittelpunkt zu rücken und nicht mehr ausschließlich zu versuchen, das Ergebnis, das Produkt zu monetarisieren und zu verkaufen.

Mit Ihrem Buch "Mashup" haben sie ein Lob der Kopie geschrieben. Warum muss man die Kopie loben?
Weil sie Grundlage unserer westlichen Kultur ist. Man kann die Bedeutung der Kopie ausgehend von der menschlichen Reproduktion sehen. Die Eizelle erstellt eine Kopie ihrer selbst. Man kann es aber auch von der biblischen Schöpfungsgeschichte aus sehen, wo Gott den Menschen nach seinem Ebenbild, also in Kopie seiner selbst, erschafft. Diese Form der Imitation und Nachahmung liegt uns Menschen zugrunde. Wenn wir Sprachen lernen, imitieren wir Muttersprachler, der Säugling findet sich in der Welt zurecht indem er Erwachsene imitiert. Das Kopieren hilft uns unseren Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Diese Form der Orientierung findet man überall, auch in der Wissenschaft.

Am schönsten kann man das an dem Zitat, das fälschlicherweise Newton zugeschrieben wird, festmachen. Er soll einmal gesagt haben: "Wenn ich weiter gesehen habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe." Das Zitiat stammt in Wahrheit aus dem Mittelalter von Bernahrd von Chartres und nicht von Newton, aber es steht für das Grundprinziip von wissenschaftlicher Forschung, die immer auf dem Wissen der Vorgängergeneration aufgebaut hat. Nur so kann sich die Gesellschaft weiterentwickeln. Wir müssen die Kopie als eine lobenswerte Kulturtechnik anerkennen.

Warum ist die Kopie trotzdem so schlecht beleumundet?
Das liegt daran, dass wir seit der Renaissance einen Kulturmarkt haben, in dem sich kreativ schöpfende Künstler im Wettbewerb zueinander befinden, und das Original in diesem Wettbewerb ein Alleinstellungsmerkmal, ein Wettbewerbsvorteil ist. Man kann aber die digitale Kopie nicht wieder abschaffen. Sie ist eine technische Errungenschaft, die in der Welt ist. Unsere Herausforderung besteht darin, dass wir es schaffen müssen, Lösungen mit der Kopie zu finden anstatt gegen die Kopie.

In welche Richtung müsste sich das Urheberrecht entwickeln, um dieser Herausforderung gerecht zu werden?
Das Urheberrecht müsste verändert werden, mit einer klareren Nutzerzentrierung, weil das Konsumieren von Kultur heute im digitalen Raum auch immer mit dem Produzieren einhergeht. Er kann heute sehr leicht selber Inhalte herstellen und ins Internet stellen und wird damit selber sehr leicht zu einem Urheber. Plötzlich sind wir alle Urheber. Das Urheberrecht müsste dem Rechnung tragen.

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Zur Person
Dirk von Gehlen ist Leiter "Social Media Innovation" bei der "Süddeutschen Zeitung" in München. Er unterrichtet auch an der Uni Hohenheim und der LMU München. 2011 veröffentlichte er bei Suhrkamp sein Buch "Mashup - Lob der Kopie". Sein jüngstes Werk, "Eine neue Version ist verfügbar", erscheint im Herbst beim Berliner metrolit Verlag.

"Shared Digital Futures"
Bei der Konferenz "Shared Digital Futures" diskutieren Experten am Freitag und Samstag in der Wiener Kunsthalle am Karlsplatz die Auswirkungen digitaler Netzwerke und Technologien auf die Kulturproduktion.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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